„Kinder werden abgehängt“Eine Lehrerin aus Oberberg über die Schulschließungen
Oberberg – Die Sonderpädagogin und Grundschullehrerin Jana Koch (34) aus der Gemeinde Reichshof ist stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Oberberg und im Kreisverband zuständig für Grundschulfragen. Arnd Gaudich sprach mit ihr über die Folgen des erneuten Pandemiebetriebs für Oberbergs jüngste Schülerinnen und Schüler.Bis Monatsende sollen auch die Erst- bis Viertklässler auf Distanz unterrichtet werden, parallel sollen die Grundschulen eine Betreuung der Kinder anbieten – gut oder schlecht?Jana Koch: Tatsächlich ist das Vorgehen ein zweischneidiges Schwert. Als Gewerkschaft begrüßen wir das Umdenken der Landesregierung, die ja noch vor Weihnachten am Präsenzunterricht festhalten wollte. Mit der Corona-Lage und dem Infektionsschutz war das einfach nicht zu vereinbaren. Deswegen ist es gut, dass die Grundschulen nun mit dem Distanzunterricht zumindest bis Ende Januar eine klare Vorgabe und damit Planungssicherheit haben. Die Monate, in denen immer neue Anweisungen aus dem Schulministerium übers Wochenende umgesetzt werden mussten, sind meinen Kolleginnen und Kollegen an die Substanz gegangen. Allerdings: Hätte sich das Land früher dem Modell des Wechselunterrichts geöffnet, stünden die Grundschulen jetzt wahrscheinlich nicht vor der Herausforderung, Distanzunterricht und dazu noch eine Notbetreuung zu organisieren, in der ein adäquates Lernen auch für diese Kinder sichergestellt ist.
Das Land hatte das aus Solingen vorgeschlagene Modell, Schüler zu gestaffelten Zeiten zu unterrichten, untersagt. Sie hätten es befürwortet?
Koch: Es wäre zumindest ein Baustein gewesen, um den Schulbetrieb im Präsenzunterricht weiterlaufen zu lassen. Dazu hätten sich auch die Grundschulen etwa Plexiglasscheiben und Luftreinigungsgeräte gewünscht. Vom Land bekommen haben sie aber ein vierseitiges Papier, wie Klassenräume auch bei Frosttemperaturen am besten zu lüften sind. Das sorgt bei meinen Kolleginnen und Kollegen nicht gerade für Begeisterung.
Gelüftet werden muss weiterhin, weil die Grundschulen Kinder betreuen müssen. Was erwarten Sie: Werden das viele Eltern in Anspruch nehmen?Für die Schulen ist das schwer absehbar. Im ersten Lockdown war diese Notfallbetreuung ja nur für Kinder, deren Eltern einem „systemrelevanten Beruf“ nachgingen. Jetzt hört es sich so an, als ob es diese Hürde nicht mehr gibt. Die Schulen werden die Eltern vermutlich erneut kontaktieren und abfragen, welche Kinder zur Betreuung kommen.
Nun also Distanzunterricht, wie schon vor den Sommerferien. Wie hat es denn da geklappt, Kinder zwischen sechs und zehn Jahren ohne direkten Kontakt zu beschulen?
Koch: Man darf sich das nicht so vorstellen wie bei älteren Schülern, die sich in einer Videokonferenz mal eben so mit ihrem Lehrer zusammenschalten. Natürlich gibt es auch die toll ausgestatteten Grundschulen, wo jede Lehrkraft einen eigenen Dienst-Rechner hat und es eine Online-Plattform fürs Lehren und Lernen gibt. Aber so digital aufgestellt sind eben nicht alle Schulen. Zudem haben nicht alle Kinder in ihrem Zuhause die Möglichkeit, in dieser Form am Unterricht teilzunehmen. Manche Familien sind dafür gar nicht technisch ausgestattet, ihnen mangelt es an einem schnellen Netzanschluss, andere Familien haben nur ein Tablet oder einen PC für drei Kinder. Ohnehin lassen sich Grundschulkinder nicht über längere Zeit in einer gemeinsamen Videokonferenz unterrichten.
Warum?
Koch: Den klassischen Frontalunterricht gibt es in Grundschulen kaum noch. Wenngleich die Kinder gemeinsam in einer Klasse sitzen, gehen die Lehrerinnen und Lehrer auf jedes Kind individuell ein. Und genau das müssen die Grundschulen nun auf Distanz machen: Da werden dann Wochenpläne mit Aufgaben rausgegeben, die von den Schülerinnen und Schülern eigenständig abgearbeitet werden, und die Lehrkraft steht mit jedem Kind einzeln in Kontakt, sei es über Video, Chat, Mail oder auch Telefon. Die Grundschulen wissen, wie das geht, und haben dafür gute Konzepte erarbeitet.
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Also wäre es kein Problem, auf längere Zeit über Distanz zu unterrichten?
Koch: Je schneller wir zu einem normalen Schulbetrieb zurückkehren, desto besser. Ich habe die böse Befürchtung, dass manche Grundschülerinnen und Grundschüler schon im zurückliegenden Corona-Jahr mit seinen Einschränkungen für die Schulen abgehängt worden sind. Meine Kolleginnen und Kollegen bestätigen das, haben es nach dem ersten Lockdown gemerkt. Es wird viel Arbeit brauchen, diese Kinder wieder abzuholen. Denn auf Distanz ist vieles einfach nicht machbar. Vielmehr brauchen die Grundschullehrer und Lehrerinnen den direkten Blick aufs Kind, um zu sehen: An welcher Stelle macht es einen Denkfehler, aus dem es lernen kann? Welche spezielle Förderung braucht es? Vielleicht kommt die NRW-Landesregierung ja doch noch zu dem Schluss, dass der Wechselunterricht dafür der bessere Weg ist.