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Oberberger GeschichteWie das NS-Regime in der Schule vertreten war

Lesezeit 5 Minuten

der Volksschule Hohkeppel im 1936 mit Lehrer Johannes Ortmann.

Oberberg – Auf den allerersten Blick scheint das Klassenfoto aus dem Jahr 1936 unverdächtig. Es zeigt die Oberklasse der Volksschule in Hohkeppel samt ihrem Lehrer Johannes Ortmann und der Hilfslehrerin Klara Kagner. Doch bei genauerem Hinsehen fällt auf: Von den 19 Schülern tragen 13 die Uniform der Hitler-Jugend, drei der 14 Mädchen können dem Bund Deutscher Mädel (BDM) zugeordnet werden. „Bislang ist mir kein zweites, derart nationalsozialistisch ausgerichtetes Klassenfoto untergekommen“, sagt Michael Kamp. Der Leiter des LVR-Freilichtmuseums Lindlar erforscht die oberbergische Schulgeschichte der NS-Zeit. „Johann Ortmann war ein glühender Nazi und darüber hinaus noch Funktionsträger des Regimes“, so Kamp. Damit war Ortmann beileibe kein Einzelfall.

Antisemitische Hetze war Teil des Unterrichts

Rund ein Drittel aller Lehrkräfte in Deutschland war Mitglied der NSDAP, 1937 gehörten 97 Prozent aller Pädagoginnen und Pädagogen - also rund 300 000 Frauen und Männer – dem Nationalsozialistischen Lehrerbund an. „Der NSLB war eine verbrecherische Organisation, die nach dem 8. Mai 1945 von den Alliierten mit gutem Grund verbote wurde. Er wirkte als Arm des Staates in der Schule und Erziehungsinstitutionen mit. Seine Mitglieder haben sich wissentlich und bewusst an der Unterstützung des NS-Regimes beteiligt“, schreiben die Historiker Saskia Müller und Benjamin Ortmeyer in ihrem 2017 erschienenen Buch „Die ideologische Ausrichtung der Lehrkräfte 1933 bis 1945“.

Aber: Rund drei Prozent der Pädagogen, also immerhin rund 9000 Lehrer, waren nicht Mitglied im NSLB. Für die Forscher der Beweis dafür, dass die „faule Ausrede“, man musste angeblich Mitglied sein, nicht stimmt. Wie sah der Schulalltag an deutschen Schulen zwischen 1933 und 45 aus? Welche Inhalte wurden den Kindern vermittelt, und welche Rolle hatte dabei die NS-Ideologie?

Quellen sind unter anderem Schulchroniken, viele sind jedpch nicht vollständig

Eine wichtige Quelle, die bislang kaum ausgewertet wurden, stellen die Schulchroniken der Volksschulen dar. Die Lehrer waren verpflichtet, regelmäßig Aufzeichnungen zu führen, und so finden sich auch im Lindlarer Gemeindearchiv und im Wipperfürther Stadtarchiv eine Reihe solcher Chroniken erhalten. Dass dort auch „brisantes Material“ zu finden ist und dies den Verantwortlichen bewusst war, zeigt die Tatsache, dass in mehreren dieser Chroniken die Einträge für die Jahre 1933 bis Mai 1945 fein säuberlich herausgetrennt und vernichtet wurden.

Das Buchprojekt „Nationalsozialismus im Bergischen Land“

Der Landschaftsverband Rheinland, der Förderverein des Freilichtmuseums Lindlar und der Geschichtsverein Rösrath wollen Anfang Dezember 2021 ein umfassendes Buch zum „Nationalsozialismus im Bergischen Land“ vorlegen, unter Mitarbeit vieler renommierter Forscher. Eine Auswahl:Manfred Huppertz, Archivar des Oberbergischen Kreises und der Stadt Gummersbach, beschäftigt sich in zwei Beiträgen mit der Behördenstruktur der NS-Zeit und dem Thema Kirchenkampf. Sein Vorgänger Gerhard Pomykaj nimmt die sozialen Milieus und den Aufstieg des Nationalsozialismus bis 1933 unter die Lupe. Dr. Alexander Friedmann schreibt über „Robert Ley als Protagonist rheinischer politischer Witze aus der NS-Zeit“. Ein zentrale Rolle in dem Buch kommt der NS-Schulgeschichte zu, die Spanne reicht von der Volksschule in Waldbröl-Hermesdorf, die ins Freilichtmuseum transloziert wurde, über die Erforschung der Schulchroniken bis hin zur Napola in Bensberg. Auch die Opfer der NS-Gewaltherrschaft kommen zu Wort. Der kommunistische Widerstand in Hückeswagen ist Thema eines Beitrags von Iris Kausemann vom Stadtarchiv Radevormwald. Robert und Guido Wagner beschäftigen sich mit dem polnischen Kriegsgefangenenlager Stefansheide in Rösrath, Walfried Höller untersucht das Kriegsgefangenenlager in Lindlar-Hommerich. Die Verfolgung und Deportation von Sinti und Roma im Bergischen Land sind Thema eines Aufsatzes von Ulrich Opfermann. (cor)

Viele Lehrer sympathisierten offen mit dem NS-Regime und seiner menschenverachtenden Ideologie. Ein besonders erschreckendes Beispiel liefert die Schulchronik der Evangelischen Volksschule Wipperfürth. Wilhelm Schön, geboren 1901 in Kreuznach, war seit 1933 dort als Lehrer tätig. Er schreibt in der Schulchronik: „Erregung und Erwartung, was in unserem Staat geschieht, geht auf- und abwärts, herrscht überall. Die Nationalsozialisten erhielten bei der Wahl am 5.3.33 eine überwältigende Mehrheit, 288 Sitze. Die Ruhe, Ordnung ist wieder hergestellt. Mit eiserner Disziplin ist die ,nationale Revolution’ durchgeführt worden. Jeder hofft auf bessere Zeiten. Der Ansatz dazu ist da. Die Arbeitslosigkeit nimmt langsam ab. Allerdings wird die Freude dadurch getrübt, dass im Ausland eine gewaltige ,Greuelpropaganda’ getrieben wird, über Mord, Totschlag, Vergewaltigung jüdischer Frauen und Mädchen. Es ist allerdings alles gelogen. Eine Boykottbewegung wird am 1.4.33 einsetzen, um der Verächtlichmachung Deutschlands zu begegnen. Kein Deutscher kauft an diesem Tage bei einem Juden. Hoffentlich wirkt sie.“

„Die Schule ist zu einem Instrument der Nazi-Partei herabgesunken“

Antisemitische und rassistische Hetze war von Anfang an Teil des Unterrichts. In einem Schönschreibheft der Schülerin Maria Loosen (1920 bis 1993) aus Nörvenich findet sich unter anderem folgende Passage: „26.3.33 Wie sah es in unserer früheren Provinz Posen aus, als sie zu Preußen geschlagen wurde? Früher sah es in der Provinz Posen sehr schmutzig und unordentlich aus. Nur wenige große Orte waren da. Die Dörfer waren sehr klein. In den Dörfern fand man keine Straßen, nur enge und schmutzige Gassen. Auch fand man hier keine Steinhäuser, nur Lehmhütten, welche mit Schilf bedeckt waren. Die Bewohner der Provinz Posen waren schmutzige und faule Leute. Sie konnten weder lesen noch schreiben.“ Die damals 13-jährige Maria stammt aus einer katholischen Familie, die dem Gedankengut der Nazis eher fern stand.

„Die Schule ist zu einem Instrument der Nazi-Partei herabgesunken“, beklagte der Verband Deutscher Lehrer-Emigranten bereits im Jahr 1934 (zitiert nach Müller/Ortmeyer). 1938 veröffentlichte Erika Mann im Exil ihr Buch „Die Schule der Barbaren“, das in Deutschland erst 1986 unter dem Titel „Zehn Millionen Kinder – Die Erziehung der Jugend im Dritten Reich“ erschien. Klar erkennt Mann das übergeordnete Ziel der nazistischen Erziehung - nämlich die Vorbereitung auf die Welteroberung.

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Die Erforschung der NS-Schulgeschichte hat erst ansatzweise begonnen. Ein Grund dafür: Die meisten Lehrer der NS-Zeit konnten nach 1945 die Entnazifizierung ohne besondere Probleme hinter sich bringen und durften in der Bundesrepublik weiter als Pädagogen arbeiten, oft geachtet und geehrt. Seriöse Forscher, die das Thema aufarbeiten, müssen bis heute mit Anfeindungen rechnen.

Das LVR-Freilichtmuseum Lindlar ist an weiteren Unterlagen zur NS-Schulzeit wie Schulheften und Klassenfotos sehr interessiert. Hinweise nimmt das Museum per E-Mail an Michael.Kamp@lvr.de entgegen.