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Pilgerweg-SerieNeue Ein- und Aussichten auf der zweite Etappe „von Rade nach Rom“

Lesezeit 4 Minuten

Ländliches Idyll in Hinterrübach: Die Biolandwirtschaft ist im Oberbergischen auf dem Vormarsch. Besonders in den kleinen Weilern.

  1. Die zweite Etappe seiner Wanderung durch den Kreis führt unseren Autor von Wipperfürth nach Lindlar. Ihn beschäftigen Wildtiere aus Korsika, Pflastersteine aus Indien und die Frage: Ist der Oberberger ein Stadtmensch oder ein Landei?

Wipperfürth – Der heilige Engelbert blickt wohlgefällig herab von seinem Sockel vor dem Wipperfürther Rathaus. Der neugestaltete Marktplatz scheint ihm so gut zu gefallen wie mir. Leider verträgt sich die Gastronomie nicht mit der Pandemie. Wenn hier endlich wieder Kaffee und Bier serviert wird, findet man kaum einen urbaneren Ort in Oberberg als diese Piazza.

Dennoch brauche ich nur ein paar Schritte den Gaulbach hinauf zu gehen und schon bin ich wieder raus aus der ältesten Stadt des Bergischen Landes und mitten auf dem Land. Allerdings nur, wenn ich die Außendörfer nicht mitzähle. Ich werde noch lange zwischen Wiesen und Weiden und durch Wälder wandern, bis ich die eigentliche Stadtgrenze erreicht haben werde. Das Zeichen X28 weist mir die Richtung, die Route ist auch bekannt als „Graf-Engelbert-Weg“.

Oberberg ist ein Dorf

Der Landkreis mag nominell aus mehr Städten als Gemeinden bestehen, tatsächlich ist Oberberg ein Dorf. Wenn überhaupt. Viele der mehr als 1400 oberbergischen Streusiedlungen sind nur kleine Weiler oder gar Einzelgehöfte. Und wenn ein paar mehr Leute rund um eine Kirche wohnen, kristallisiert sich schnell ein sehr lokaler Lokalpatriotismus heraus. Da ist es nur noch eine zweitrangige Frage, welches Rathaus denn nun gerade für das Dorf zuständig ist.

In Agathaberg, stolz gelegen auf einer Anhöhe, findet sich hinter dem Gemeindehaus noch ein altes Ortsschild, das verrät, dass das Dorf bis 1975 ein Teil der selbstständigen Gemeinde Klüppelberg war. Den schmucken „Freizeitpark“ will der Bürgerverein weiter ausbauen.

Die Pilgerroute von Radevormwald bis nach Rom.

Zu Klüppelberg gehörte auch das Dorf mit dem hübschen Namen Fähnrichstüttem, das ich als nächstes durchquere. Die Kunststoffeimerfirma Jokey unterhält hier eine Fabrikation. Auch das ist typisch für Oberberg: Bevor es allzu idyllisch wird, taucht mitten im Nirgendwo eine Fabrik auf. Je weiter man in den Süden vordringt, desto mehr wird der Kreis vom Bauern- zum Arbeiterland.

Plaudern mit schöner Aussicht

Oberhalb von Oberkemmerich bietet sich ein schöner Ausblick. Den genießen Monika Lison und Wilhelm Rölver, die sich auf einer Bank niedergelassen haben und zum Plaudern geneigt sind. Diese Kontaktfreudigkeit habe ihr auch geholfen, als sie vor 30 Jahren nach Wipperfürth-Thier kam, sagt die Sauerländerin Lison. „Man darf nicht darauf warten, dass die Leute einen ansprechen, man muss selbst aktiv werden.“

Dorf mit Zukunftsideen: In Agathaberg kann man sitzend auf eine Mitfahrgelegenheit nach Wipperfürth warten.

So hat es auch ihr Lebensgefährte gehalten, der im Münsterland geboren wurde und vor 17 Jahren Thierer wurde. Rölver singt im Chor und bedauert, dass die Dorfkneipe derzeit wegen Corona als wichtiger Treffpunkt ausfällt. „Die Thierer halten zusammen wie Pech und Schwefel“, versichern die beiden.

Weiter unten im Tal begegnet mir in Dörrenbach der kleine Hof der Eheleute Brinkmann. Die beiden sind ebenfalls eine sauer-münsterländische Mischung, hierzulande offenbar ein Erfolgsrezept. Das Oberbergische Land war für die beiden ein Kompromiss: Er wollte ins Grüne, sie möglichst nah ran an Köln. Die beiden haben den Hof vor 32 Jahren übernommen und züchten im Nebenerwerb Limosin-Rinder. Die Brinkmanns sind keine Hippies, dennoch habe es lange gedauert, bis sie mit ihrer Biolandwirtschaft von den Einheimischen akzeptiert worden seien, berichtet Annedore Reich-Brinkmann. Doch die Zeiten haben sich geändert. Hans Brinkmann lobt das gute Miteinander unter den Bauern. Sein Biofleisch ist längst kein Nischenprodukt mehr und findet reißenden Absatz. Die Grünen, für die Reich-Brinkmann im Stadtrat sitzt, stellen vielleicht bald die Bundeskanzlerin.

Freilebende Mufflons

Die Nachbarhofstelle namens Berghäuschen liegt schon auf Lindlarer Gemeindegebiet. Ich wandere durch Bühlstahl und um den 323 Meter hohen Vogelberg herum. Zur Rechten entdecke ich auf einer Weide seltsame Tiere, die wirken wie eine Mischung aus Reh und Schaf. Es müssen Mufflons sein. Von diesen Wildschafen, die eigentlich auf Korsika und Sardinien zu Hause sind, gibt es im Raum Engelskirchen und Lindlar ein paar freilebende Rudel.

Der Lindlarer Steinbrucharbeiter schwingt den Hammer.

Das Mufflon gilt als standorttreu und ist darin dem Oberberger ähnlich. Im nächsten Ort mache ich die Bekanntschaft der nächsten selbstbewussten Dorfgemeinschaft. Das Kürzel BVB hat hier nichts mit Fußball zu tun, sondern bedeutet „Bürgerverein Brochhagen“.

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Anders als in Wipperfürth lebt in Lindlar weniger als die Hälfte der mehr als 21 000 Einwohner im Hauptort. Wie in Marienheide und Wiehl, erst recht in Reichshof, gibt es hier eine gewisse Konkurrenz von Kirchdörfern auf Augenhöhe, die das Geschäft belebt.

Um zum Markt und zum Busbahnhof zu gelangen, verlasse ich vorübergehend den Graf-Engelbert-Weg und folge dem „Steinhauerpfad“ (Wegzeichen ist die weiße „8“ auf Rot). Ich muss an den Startpunkt meiner Tagestour denken: Der neuen Wipperfürther Marktplatz ist nicht mit Lindlarer Grauwacke gepflastert, sondern mit Steinen aus Indien. Aber das ist eine andere Geschichte.