Premiere in LindlarErster Zumba-Kurs für Rollstuhlfahrer in Deutschland
Lindlar – „Es wird schwitzig, sehr schwitzig.“ Conny Runge klatscht zweimal kräftig in die Hände und fährt ins Scheinwerferlicht. Die Boxen werden eingeschaltet. Runge strahlt und hebt die Arme zur Dance-Hymne „Endless Summer“. Der erste Zumba-Kurs für Rollstuhlfahrer im Bergischen Land nimmt im wahrsten Sinne Fahrt auf.
Dass der kolumbianische Mix aus Tanz und Fitness speziell für Querschnittsgelähmte absoluten Seltenheitswert hat, beweist der Blick in die Teilnehmerliste. Drei Dutzend Menschen aus allen Teilen NRWs sind in den Industriepark Klause angereist. „In unserer Ecke gibt es jedenfalls weit und breit kein vergleichbares Angebot“, berichtet Andrea Unverzagt. Die Paderbornerin hat die weiteste Anfahrt des Abends hinter sich.
Auf der Erde gibt es derzeit genau vier Menschen, die den Zumba-Trainerschein im Rollstuhl bestanden haben. Conny Runge, 41 Jahre alt, ist einer von ihnen. „Sämtliche Choreographien, die die Fußgänger mit den Beinen machen, ersetzen wir durch Bewegungen mit dem Rolli“, erklärt die Kölnerin. Breiten Raum in ihrem einstündigen Fitness-Programm nimmt deshalb auch das Aufwärmen der Schultern ein. Vorfreude hin oder her: „Wer zu spät kommt und das verpasst, darf nicht mitmachen. Die Verletzungsgefahr wäre zu groß“, erklärt Runge.
Im Erdgeschoss des Lindlarer Glaspalastes haben ihre Schützlinge inzwischen die nötige Betriebstemperatur für die klassischen Zumba-Moves erreicht. „Marmeladen-Brot schmieren“, „Machete“ oder „Bogenschießen“ – allesamt Übungen, die sämtliche Fasern des Oberkörpers in Aktion bringen.
Sportler bekommen Gefühl für richtigen Abstand
Die ersten Pirouetten enden noch in einem kleinen Verkehrschaos vor der Bühne, schnell bekommen die Sportler aber ein Gefühl für den richtigen Abstand zum Nachbarn. „Geht es euch gut?“, ruft Conny Runge von der Bühne und erntet einen dicken Applaus.
„Tanzen ist Träumen auf Rädern“ – unter dieses Motto hat die Trainerin den Zumba-Abend in Lindlar gestellt. Ihren persönlichen Traum, die Auszeichnung als offizieller „Zumba-Instructor“, hat sich Conny Runge vor zweieinhalb Jahren erfüllt. Eher beiläufig machte sie eine Physiotherapeutin während eines Reha-Aufenthaltes in Berlin auf das Ganzkörper-Training aufmerksam. Runge entdeckte ihre große Leidenschaft und meldete sich im April 2016 zur Trainer-Prüfung.
An das erste Zusammentreffen mit den 39 anderen Lehrgangsteilnehmern vor einer Berliner Turnhalle erinnert sich Runge noch gut. „Sie schauten mich an, als käme ich vom Mond. Obendrein war die Halle nur über eine steile Treppe zu erreichen. Ich musste hineingetragen werden, das verbesserte die Stimmung nicht unbedingt.“ Doch Runge setzte sich durch. Mit Akribie schaute sie auf die Bein-Bewegungen der anderen und entwickelte Alternativen für Rollstuhlfahrer, die im gleichen Takt passieren.
Wenig später gab sie für den Rollstuhl Sportclub Berlin ihre erste eigene Einheit, seit dem Umzug nach Köln 2017 leistet sie im Westen Entwicklungshilfe in Sachen „Rolli-Zumba“. Gerade ist ein fester Kursus in der Bonner Klinik „Godeshöhe“ angelaufen, hinzu kamen in diesem Jahr Auftritte auf Fachmessen und Festivals. Allerdings: „Manchmal fühlt man sich wie der Pausenclown. Es ist unglaublich schwer, das Konzept zu verbreiten“, sagt Runge. Aber für diejenigen, die den Sport für sich entdeckten, sei das regelmäßig der Auftakt für ein viel aktiveres und gesünderes Leben im Rollstuhl – und das sei jeden Aufwand wert.
Sport soll in allen Ecken des Landes ankommen
In vielen Reha-Kliniken werde Rollstuhl-Basketball angeboten – mehr nicht, berichten Ute Köhler aus Leichlingen, Emine Gündüz-Domanski aus Hilden und Ümran Kanar aus Bergkamen, die sich im Internet zur Lindlarer Zumba-Party verabredet haben. Kürzlich sei in Bergkamen ein neues Tanzstudio gebaut worden, erzählt Kanar. Monatelang habe sie sich auf dessen Eröffnung gleich um die Ecke gefreut. Doch schon auf dem Weg zur Eröffnungsparty folgte die Ernüchterung für die Rollstuhlfahrerin: Das Tanzparkett liege in der ersten Etage – Aufzug Fehlanzeige.
Frauen lieben Musik und das Tanzen, strahlt Ute Köhler, als sie zur Pause nass geschwitzt mit ihren neuen Bekanntschaften zur Getränke-Bar rollt. Ganz gleich, ob auf zwei Beinen oder vier Rollen. Anderen Rollstuhlfahrern werde man den Rolli-Zumba-Kursus jedenfalls dringend empfehlen, da sind sie sich einig, – und darauf hoffen, dass der Sport möglichst bald in allen Ecken des Landes ankommt.