Ein bewegtes LebenDie Reichshoferin Edelgard Jaeger feiert ihren 100. Geburtstag
Wipperfürth/Denklingen – Das Foto von dem Mann auf einer Holzbank hat Edelgard Jaeger in Höhe ihres Kopfkissens befestigt. Der Mann lächelt in die Sonne. Und wenn Edelgard Jaeger aufwacht, fällt der erste Blick auf Rudi, die Liebe ihres Lebens. Er starb in Auschwitz.
Heute feiert die Reichshoferin, die seit dem vergangenen Jahr im Seniorenzentrum auf dem Silberberg in Wipperfürth lebt, den 100. Geburtstag. Nach dem Ersten Weltkrieg wird sie mit dem Nachnamen Beer im westfälischen Hagen geboren. Vater Emil ist Bauunternehmer, Lederfabrikant und erwirbt für die Familie ein Wochenendhaus in der Nähe von Denklingen. Vor allem Edelgards Mutter findet Gefallen am Oberbergischen – so sehr, dass die Familie 1924 in die Nähe der heutigen Wiehltalsperre umsiedelt. „Offenbar war ich schon damals recht vorlaut. Bevor hoher Besuch kam, bat mich meine Mutter, wenigstens für einen Abend einmal den Schnabel zu halten“, sagt Jaeger und lacht. Im Bergischen verliebt sie sich in Rudi Löwenstein, der einer jüdischen Familie entstammt.
Im zweiten Weltkrieg wegen "Rassenschande" auf der Flucht
Das Verlöbnis steht nach Hitlers Machtergreifung unter keinem guten Stern. Für die Herrschenden gilt die Beziehung als „Rassenschande“. „Wir waren gläubige Christen und besuchten einmal die Kirche in Denklingen. Wir dachten hier kennt uns niemand“, erinnert sich Jaeger. Doch auf dem Rückweg habe sie ein Polizist abgefangen und gewarnt: „Meidet die Öffentlichkeit. Die bringen Euch um!“ Tatsächlich ergeht wenig später Haftbefehl gegen beide. Rudi wird 1944 in Auschwitz ermordet, das Foto auf der Bank entsteht bei ihrem letzten Treffen. Edelgard gelingt die Flucht.
Das könnte Sie auch interessieren:
Vor seiner Verschleppung arrangiert Rudi die Ehe zwischen Edelgard und Werner Jaeger, dem er bedingungslos vertraut. „Ich kannte diesen Mann nur vom Sehen und habe für eine glückliche Beziehung gebetet“, gesteht Jaeger. Drei Kinder bekommt das Paar, hinzu kommt eine Tochter, die durch den Krieg verwaist ist und von den Jaegers aufgenommen wird. 50 Nachkommen zählt Edelgard Jaeger heute – darunter Ururenkel.
Der 100. Geburtstag sei Freude und Last zugleich, findet Edelgard Jaeger. Im Grunde ein Jubeltag – aber ohne die allermeisten Freunde, Bekannten und Weggefährten. Sicher ist, dass sie heute – wie an jedem Morgen – noch vor dem Frühstück zur Mundharmonika greift. Und später dann kommen Oberbergs stellvertretende Landrätin Ursula Mahler und auch Reichshofs Bürgermeister Rüdiger Gennies zu Besuch.