Im Interview sagt Oberbergs scheidende Gleichstellungsbeauftragte Sabine Steller: „Ich wünsche mir mehr Angebote für Männer“.
BilanzSabine Steller war fast 30 Jahre Gleichstellungsbeauftragte des Oberbergischen Kreises
Die Gleichstellungsbeauftragte Sabine Steller achtet seit 1994 beim Oberbergischen Kreis darauf, dass der zweite Absatz von Artikel drei des Grundgesetzes eingehalten wird: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“. Am 31. Oktober geht die Verwaltungsbeamtin in den Ruhestand. Sabine Eisenhauer sprach mit ihr über veränderte Rollenverständnisse und noch offene Anliegen.
Trafen Sie auf viele Widerstände, als Sie Ihre Tätigkeit als Gleichstellungsbeauftragte in der Kreisverwaltung aufnahmen?
Widerstände gab es überhaupt nicht. Denn zum einen hatten meine beiden Vorgängerinnen bereits viele Gleichstellungsanliegen geprüft, juristisch fixiert und deren praktische Umsetzung in Angriff genommen. So hatte die oberbergische Kreisverwaltung schon immer eine Vorreiterrolle eingenommen, wenn es um Gleichberechtigung und Vereinbarkeit von Familie und Beruf ging.
Anfang der 2000er-Jahre wurde zum Beispiel ein Eltern-Kind-Zimmer im Kreishaus eingerichtet: Fiel bei Mitarbeitenden die Kinderbetreuung aus, konnte der Nachwuchs mitgebracht werden. Dahinter steckte die Überzeugung, dass Kinder der Grundbaustein der Gesellschaft sind, dass wir mit dem Unterstützen ihrer Eltern in die Zukunft investieren und zum guten Betriebsklima beitragen.
Der Oberbergischer Kreis wurde bereits im Jahr 2007 das erste Mal als „Familienfreundlicher Arbeitgeber“ zertifiziert. Tele-Arbeitsplätze und mobiles Arbeiten waren bei uns früh möglich, heute gibt es unter anderem 500 Teilzeitmodelle und das Angebot einer dreiwöchigen Kinderbetreuung in den Sommerferien.
Gegen den Fachkräftemangel setzen derzeit fast alle Arbeitgeber auf Gleichstellung und Familien-Vereinbarkeit. Ändert sich das wieder, wenn die Arbeitskraft von Frauen von der Wirtschaft nicht mehr benötigt wird?
Das denke ich nicht. Im Gegenteil: Es gab noch nie so viele gut ausgebildete Frauen wie heute, ihre Chancen und ihr Wert auf dem Arbeitsmarkt sind nicht mehr zu negieren. Über einen sehr langen Zeitraum hat in unserer Gesellschaft seit den 70er Jahren ein Umdenken beim Rollenverständnis stattgefunden. Diese Veränderung brauchte ihre Zeit, sie geschah dafür aber in den Köpfen und ist meiner Meinung nach nicht mehr umkehrbar.
Während meines Dienstes im Personalrat gehörte es zum Beispiel in den 80er-Jahren noch zu meiner Aufgabe, bei Bewerbungsgesprächen mit Frauen, das Erkundigen nach Schwangerschaft und Kinderwunsch zu unterbinden. Ich glaube, dass diese Fragen heutzutage nicht mal mehr in den Köpfen von Personalverantwortlichen auftauchen. Tatsächlich nehmen seit einigen Jahren auch Männer vermehrt Elternzeit, Teilzeit oder mobiles Arbeiten in Anspruch, um ihre Kinder zu betreuen.
Altersarmut und unbezahlte Care-Arbeit sind in unserer Gesellschaft jedoch nach wie vor weiblich.
Das sind sie vor allem in unserer ländlichen Region mit ihren dörflichen Strukturen. Hier sorgen Frauen immer noch wie selbstverständlich bei nachbarschaftlichem und sozialem Engagement für ihr unmittelbares Umfeld, sie arbeiten nach wie vor häufiger als Männer in Teilzeit oder in Berufen mit niedrigeren Gehältern.
Mit unserem Informationsportal „WoMan@Work“ greifen wir im Rahmen der Wirtschaftsförderung daher auch diese Themen auf und geben konkrete Hinweise etwa zur Absicherung im Alter und zu beruflichen Perspektiven und Unterstützungsmöglichkeiten zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
Zu Ihren Aufgaben gehört auch das bürokratisch klingende „Einbringen frauenspezifischer Belange bei allen Planungsvorhaben“ – dahinter stecken jedoch ganz praktische Ideen und Konzepte.
Solche Planungsvorhaben können neu angelegte Wege durch einen Park, der Bau eines Parkhauses oder die Taktung des öffentlichen Nahverkehrs betreffen. Bei allen Konzepten, Entwürfen und Plänen ist es meine Aufgabe, die Belange von Frauen, aber auch von Männern, in den Blick zu nehmen.
Das betrifft dann zum Beispiel die Beleuchtung von Parkflächen ohne dunkle Winkel, die Möglichkeit, mit dem Bus die Ärztin oder den Musikunterricht der Kinder zu erreichen, oder das Einrichten von Räumen in Gebäuden des Kreises, in denen auch Väter ihre Kinder wickeln können.
Mit der Initiative „NO“ setzen Sie sich seit 2002 zudem im kreisweiten Netzwerk gegen Gewalt ein. Derzeit scheinen aber die Übergriffe vor allem gegen Frauen eher zuzunehmen, oder?
Auch wenn die Fallzahlen schwanken, wichtig ist, dass Gewalt, die sich überwiegend gegen Frauen richtet, immer mehr zum öffentlichen Thema wird. Vor allem wird deutlich, dass nicht nur Schläge mit offensichtlichen körperlichen Verletzungen, sondern auch der erst einmal unsichtbare emotionale, psychische Missbrauch oder die Drohung reine Gewalt darstellen. Es war daher ein wichtiger Schritt, dass wir auch die Prävention gefördert haben. Dabei stärken Mädchen ihre Selbstbehauptung, sie trainieren mit Auftritt, Haltung und Stimme, ihre Grenzen anzuzeigen und zu verteidigen.
Welches Ihrer Meinung nach wichtige Anliegen wurde dagegen bisher noch nicht umgesetzt?
Ich finde es eine Katastrophe, dass es auch nach Jahrzehnten noch immer keine bundesweite Finanzierung der Frauenhäuser gibt. Bis jetzt muss immer wieder in aufwendigen Verfahren durch Fördermittel, Träger- und Sozialhilfemittel und nicht zuletzt Spenden um eine Weiterfinanzierung gerungen werden.
Außerdem würde ich mir für den Oberbergischen Kreis auch Angebote für Männer wünschen. Das könnten zum Beispiel Antigewalt-Trainings oder ein Coaching sein, bei dem Männer einen angemessenen Umgang mit Wut und Aggressionen trainieren.
Ausstellung
Sabine Steller arbeitet seit dem Antritt ihrer Ausbildung im Jahr 1978 bei der oberbergischen Kreisverwaltung. Zu ihrem Abschied lädt sie zu der Ausstellung „Female Anger – Die Wut ist weiblich“ mit Werken der Aachener Fotografin Rosa Engel ein. Die Ausstellung im Gummersbacher Kreishaus kann vom 30. Oktober bis 3. November während der Öffnungszeiten angeschaut werden.