- Wir haben mit den beiden den beiden Schiedsrichterwarten Daniel Köpplin (HVM) und Tobias Marx (HKO) gesprochen.
- Der Rückgang der Schiedsrichter im DHB wird aktuell stark diskutiert.
- Die beiden erklären uns, wie dramatisch die Situation wirklich ist und welche Auswirkungen das auf die Zukunft des deutschen Handballs haben könnte.
Seit der WM 2007 hat der DHB rund 9000 Schiedsrichter verloren. Wie stellen sich die Zahlen dar?
Daniel Köpplin: Durch die Weltmeisterschaft 2007 in Deutschland gab es wie bei den Handballern auch bei den Schiedsrichtern einen Boom. Damals hatten wir bundesweit 30 156 Schiedsrichter. Zunächst gab es einen Rückgang von rund 1500 auf das normale Maß. Damit waren es 2010 28 601. 2017 waren es dann nur noch 23 581 und aktuell sind es 21 429: Das sind schon viel weniger.
Gilt das auch für den Handballverband Mittelrhein?
Köpplin: Wir haben im HVM 526 Schiedsrichter, das ist nicht gut, aber auch nicht so dramatisch wie in anderen Verbänden. Noch sind wir in der Lage, alle Seniorenklassen mit pro Spiel zwei Schiedsrichtern zu besetzen. In manchen Landesverbänden werden beispielsweise Frauenspiele bis zur Oberliga nur von einem Schiedsrichter gepfiffen. Bei uns pfeift einer alleine nur dann, wenn es kurzfristige Änderungen gibt. Aber natürlich spüren wir auch bei den Schiedsrichtern den demografischen Wandel. Zudem tragen wir das Los, dass wir 24 Gespanne im DHB stellen und davon kommen alleine 17 Schiedsrichter aus dem Handballkreis Oberberg.
Macht sich das auf Kreisebene bemerkbar?
Tobias Marx: Bei uns ist die Situation ähnlich wie im HVM. Auch uns fehlen die Schiedsrichter im mittleren Alter. Die Jugendlichen gehen nach der Schule in die Ausbildung und haben keine Zeit mehr. Oder sie wechseln in die Verbandsklassen. Wir sind ja stolz darauf, wenn unsere Schiedsrichter hoch pfeifen, auch wenn sie uns dann fehlen. Dafür haben wir relativ viele jüngere und ältere Schiedsrichter. Von den 130 Schiedsrichtern im Kreis gehören 30 der Seniorenklasse an.
Wie versuchen Sie, neue Schiedsrichter zu gewinnen?
Marx: Mit viel Einsatz bemühen wir uns, schon Jugendspieler für den Einsatz an der Pfeife zu begeistern und sie bei Spielen der D- und E-Jugend einzusetzen. Dann sehen wir schon früh, wie sie sich entwickeln und können sie fördern. In den DHB-Klassen gibt es das System der Patengespanne. Etwas Ähnliches müssen wir versuchen, wieder in den Kreis zu übertragen.
Köpplin: Man muss die Schiedsrichter mehr betreuen, das gilt auch für die Vereine.
Wie sieht es bei den Mädchen und Frauen aus. Haben sie es noch immer schwerer, akzeptiert zu werden?
Köpplin: In einigen Bereichen schon, aber es wird besser. Wobei wir bei den weiblichen Gespannen prozentual stärker wachsen.
Was wollen Sie tun, damit die Zahl der Schiedsrichter nicht noch weiter schrumpft?
Marx: Wir müssen vor allem Zeit investieren. Der TuS Derschlag mit dem hauptamtlichen Jugendleiter Markus Kraufhoff-Murfuni zeigt doch, was man in der Jugendarbeit erreichen kann, wenn man nur genug Zeit investiert. So ist es auch bei den Schiedsrichtern, man braucht Zeit und Manpower. Eltern und Spielern muss klar sein, dass ein neuer Schiedsrichter auch Fehler macht, und es eben die Basis ist, die auf der untersten Ebene Spiele leitet.
Köpplin: Das Wichtigste ist, dass die Jugendlichen gecoacht werden. Das heißt, ein neuer Schiedsrichter bekommt einen erfahrenen zur Seite gestellt. Damit haben wir 2004 im Handballkreis Oberberg begonnen, machen es im HVM nun seit zwei Jahren, und haben schon 14 Schiedsrichter-Gespanne mehr, was schon einen Erfolg darstellt. Zudem ist das Feedback nach dem Spiel von Bedeutung. Schritt für Schritt geben die erfahrenen Schiedsrichter damit ihr Wissen weiter.
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Ab welchem Alter dürfen die Jugendlichen pfeifen?
Marx: Ab 13 Jahren. Das geht aber nur, wenn die Eltern mit im Boot sind. Denn mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu den Spielen zu kommen, ist nur mit einem riesigen Zeitaufwand möglich. So sind zum Beispiel der TV Wahlscheid und der SSV Nümbrecht kleine Schiedsrichterhochburgen bei den Jungschiedsrichtern, haben aber auch die weitesten Wege zurückzulegen.
HVM und Handballkreis stellen Gespanne, die in den oberen Ligen bis hin zur Bundesliga pfeifen. Ist es nicht möglich, die ebenfalls mit in die Betreuung des Nachwuchses einzusetzen?
Marx: Das würde ich mir wünschen, wenigstens ab und zu. Es ist aber auch eine Frage der Zeit. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. Die Kollegen, die in der Ersten und Zweiten Liga pfeifen, nehmen für ihre Einsätze Teile ihres Jahresurlaubs.
Auf dem Spielfeld sind die Schiedsrichter in der Minderheit und auf sich alleine gestellt. Der Druck von außen über die Zuschauer wird größer. Sicher auch ein Grund, dass viele aufhören, oder nicht?
Köpplin: Auf jeden Fall. Da ist auch ein Umdenken bei den Vereinsaktiven und den Jugendtrainern gefragt. Wir haben dazu auf den unteren Ebenen ein Pilotprojekt des technischen Delegierten, der wie in der Bundesliga über das Kampfgericht auch als Blitzableiter dienen kann. Zudem gibt es seit dem 1. August im Internet ein Schiedsrichterportal, in dem alle Schiedsrichter Tipps, Empfehlungen und Weiterbildungen bekommen. Es ist bundeseinheitlich und schon mal ein Schritt in die richtige Richtung.
Marx: Toll ist, dass jeder Schiedsrichter unseres Landesverbandes die Möglichkeit hat, auf dieses Portal zuzugreifen. Die Lizenzen wurden übrigens über Einnahmen der letzten Handball-WM gekauft. Wünschenswert wäre es auch wieder, ein Patensystem mit den aktuellen und ehemaligen HVM-Schiedsrichtern zu installieren.
Trotzdem werden Sie verstärkt um Schiedsrichter werben müssen. Wie wollen Sie das tun?
Marx: Das geht vor allem über Mund-zu-Mund-Propaganda. Wer sich gut als Schiedsrichter fühlt, der wird es auch andere dazu animieren. Zudem müssen wir als Handballkreis aufzeigen, wie gut sich das Schiedsrichtern auf die Persönlichkeitsentwicklung auswirkt. Die Jugendlichen wachsen mit ihren Aufgaben, und ein Spiel zu leiten, schafft Durchsetzungsvermögen. Das bringt einen in der Schule und im Job weiter, weil man schon Konfliktmanagement gelernt hat.
Köpplin: Neben den sozialen Komponenten bietet das Schiedsrichtern Handballern die Möglichkeit, dem Sport verbunden zu bleiben und aufzusteigen, wenn sie beispielsweise als Spieler an ihre Grenzen kommen. Dazu müssen wir verstärkt an der Talentförderung arbeiten und mit Vorbildern werben. Ich habe schon Spiele in der Lanxess-Arena gepfiffen, das sind für mich unvergessliche Erlebnisse. Solche Eindrücke kann ich an den Nachwuchs weitergeben. Bei all dem dürfen wir aber nicht unsere langjährigen Schiedsrichter vergessen. Das Motto muss heißen: die Jungen fördern und die Älteren fixieren.
Marx: Das entspricht auch der langjährigen Handball- Schiedsrichter-Tradition, die in Oberberg herrscht.