Serie Oberbergs GastgeberEhemaliger Metzger bietet Kuhkuscheln an
- Das Kuhkuscheln fing an mit dem behinderten Kälbchen Sissy.
- Ein ehemaliger Metzger gründet einen Gnadenhof.
- Unternehmer können sich Zeiten reservieren zum Stressabbau.
Neuenhähnen – Frau Schäfer ist zickig. Heute will sie nicht gestreichelt und erst recht nicht gekuschelt werden. „Lieber ein paar Meter Abstand halten“, rät Uwe Eschmann. Er weiß eben genau, wann die 13-jährige Aubrac-Kuh eine Pause braucht.
Dafür sind Ida und Lotta sofort zur Stelle und fordern Streicheleinheiten, am liebsten lassen sie sich die Wamme kraulen. „Das ist die weiche Haut unter dem Kinn“, erklärt Eschmann (48). Seit dem Sommer 2011 bieten er und seine Ehefrau Melanie Eschmann-Rosenthal im Waldbröler Weiler Neuenhähnen Kuschelstunden mit Kühen an.
Diesmal sind es Lydia, Sonja, Marten und Thorsten, die sich auf der Weide erst mal sehr vorsichtig den Tieren nähern. Die Gruppe unternimmt einen Ausflug ins Oberbergische – weil Lydia aus Köln Geburtstag hat und an ihrem Dreizigsten etwas Besonderes erleben will.
„Ich bin verrückt nach Tieren, auch nach den ganz großen Bauernhoftieren“, erzählt Lydia, die schon mal mit Eulen, aber eben nicht mit Kühen gekuschelt hat. Jetzt geht sie auf der weiten Wiese der vier Jahre alten Ida behutsam ans Fell, und die Freunde machen Fotos mit den Handys.
Das Kuhkuscheln begann im Sommer 2010 mit Kälbchen Sissy
Die Geschichte des Kuhkuschelns beginnt mit dem Kälbchen Sissy, das im April 2010 mit einer Behinderung auf die Welt gekommen ist. Damals hat Uwe Eschmann noch ganz anderes vor mit dem Vieh: Er ist Metzger von Beruf.
Doch Sissy rührt das Herz ihrer Besitzer: Die kleine Kuh hat keinen Schwanz, die Wirbelsäule ist verkrümmt. „Sie konnte nur im Stall liegen“, erinnert sich Melanie Eschmann-Rosenthal (46). „Und trotzdem versuchte sie immer wieder aufzustehen.“ Dieser starke Wille habe die ganze Familie beeindruckt. Und als Uwe Eschmann einen Unfall hat und sich am Knie verletzt, ist für immer Schluss mit dem Metzgern: Kühe werden geknuddelt und verwöhnt, das Ehepaar stellt sich eine Art Gnadenhof vor.
Weil aber Kühe sanfte Gemüter haben, fast jedem Zweibeiner sympathisch sind und bereits ihre Gegenwart gestresste Großstädter zur Ruhe bringt, ist die Idee mit dem Kuscheln plötzlich da. Und sie kommt an.
Seither ist der Kuschelkalender auf dem Familienhof vor allem an Wochenenden prall gefüllt. Manager dürfen sogar Einzeltermine in einer Box buchen. „Längst bieten wir auch Stunden in der Woche an“, schildert Melanie Eschmann-Rosenthal. Und wer möchte, der kann bei Trekkingtouren mit einer Kuh an der Leine loswandern.
Aus Dortmund haben Anna und Carina, beide 28, den Weg nach Neuenhähnen gefunden. Gerade gründen die Jungunternehmerinnen eine Firma und brauchen dringend eine Auszeit. Jetzt sitzen sie auf der Weide, graben die Finger in hellbraunes Fell, zwischen Halmen und Fladen ist jede Scheu rasch vergessen.
„Fast wäre ich eingeschlafen, so entspannt war ich plötzlich“, sagt Carina später. Und Anna ist „echt begeistert“, weil sie zudem so viel Neues über Kühe erfahren hat. „Das lenkt ab, der Job war heute bisher kein Thema“, freut sie sich.
Das Freunde-Quartett lernt im Stall derweil dicke Freunde kennen: Valentino (6), Nico (5) und Bambi (5) hängen am liebsten gemeinsam ab und chillen lässig im Stroh, das Ochsen-Trio ist unzertrennlich. Bambi schnauft und schnurrt beinahe, als ihm Marten (34) den Rücken schuppert.
„Das ist Kindheit hier“, verrät der Informatiker aus Aachen. „Ich komme vom Land.“ Freundin Lydia, Mitarbeiterin eines bischöflichen Hilfswerks, hat es sich längst auf Nicos Rücken gemütlich gemacht. Der Frankfurter Thorsten (34) und die Kölner Beamtin Sonja (38) greifen zu Bürsten, legen Hand an.
Das Tier zeigt, ob es gekrault werden will
„Wenn es den Tieren zu viel wird, stehen sie auf und gehen weg“, sagt Uwe Eschmann. An der Haltung des Kopfes erkenne er, ob Kraulen gewünscht ist oder besser nicht: „Eine Kuh schlägt erst leicht mit dem Kopf und dann immer stärker, wenn sie ihre Ruhe haben will.“
Die Kuschelanbieter haben ihre Gäste ebenso im Blick wie ihre zehn tierischen Kollegen. Nie sind mehr als drei Gruppen auf dem Hof zwischen Weide und den Ställen unterwegs. Und wenn auch Frau Schäfer wieder mitmachen will, dann wird sie es die Besucher wissen lassen.