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Sommerserie „Mein Ort, meine Heimat“Im alten Hermesdorf kannte jeder jeden

Lesezeit 4 Minuten

Die alten Schlüssel zu ihrem Elternhaus hat Marita Halberstadt noch. Mit Hermesdorf verbindet sie viele Erinnerungen.

Hermesdorf – Wenn sie das schmuck renovierte, weiß strahlende Schulhaus in Hermesdorf sieht, kommen unweigerlich Erinnerungen auf. „Acht Schuljahre waren dort untergebracht in zwei Klassen. Schuljahr 1 bis 4 unten im Gebäude und Schuljahr 5 bis 8 oben“, erinnert sich Marita Halberstadt.

Ihre ganze Schulzeit hat die gebürtige Hermesdorferin in diesem, damals neuen Schulhaus verbracht. Daneben stand die viel kleinere, 1861 erbaute alte Dorfschule, die im April 2018 behutsam abgebaut und dann im Bergischen Freilichtmuseum in Lindlar wieder aufgebaut wurde. Im vergangenen Februar war dort Richtfest.

Hermesdorf

In der Kehre, in der heute der Bus hält, war früher der Schulhof. Der Schaukasten mit den aktuellen Informationen aus dem Ort und von den Vereinen hing damals an der Wand von Beckers Scheune auf der gegenüberliegenden Straßenseite.

Daneben führt die Straße leicht abschüssig zum Bahnhof der Waldbröler Ortschaft. „Hier sind wir früher mit dem Schlitten runtergesaust“, sagt Marita Halberstadt und muss schmunzeln, angesichts des – objektiv betrachtet – doch sehr geringen Gefälles der einst in Kinderaugen so rasanten Strecke.

Jeder kannte jeden

Auf halben Weg zum Bahnhof wohnte ihre Familie in einem alten Fachwerkhaus, die antiken Schlüssel zum Haus hat sie noch. Vom Fenster aus konnten sie sehen, wer täglich mit dem Zug ankam. „Jeder kannte hier jeden, ich glaube deswegen fühlte ich mich so gut aufgehoben und sicher im Dorf“, glaubt sie. Und zwar im ganzen Ort.

Der war damals unterteilt in den oberen, den mittleren und den unteren Hof. Und in jedem Hof gab es ein eigenes Lebensmittelgeschäft. Zudem gab es zwei Bäcker, einen Metzger, einen Schuster, ein Postamt, ein Milchgeschäft, zwei Kohlehändler und einen Textilladen. „Mehr brauchte man nicht.“

Bahnschienen in Hermesdorf

Um den Ort herum stand das Vieh auf den Wiesen, bis Waldbröl schien sich eine unendliche Weite zu erstrecken. „Es war undenkbar, dass die beiden Orte mal zusammenwachsen würden“, sagt Marita Halberstadt, die selbst sehr lange in Waldbröl wohnt. Sie hat zwar nur bis zum 18. Lebensjahr in Hermesdorf gelebt, aber trotzdem sei der Ort immer Heimat geblieben. Und das, obwohl ihre Familie eine der fünf katholischen Familien war – inmitten der evangelischen.

„Die anderen im Dorf haben uns das aber nie spüren lassen“, lobt Halberstadt die Hermesdorfer. Im evangelischen Gemeindehaus sind damals alle Kinder und Jugendlichen ein- und ausgegangen. Beim weihnachtlichen Krippenspiel durfte die katholische Marita sogar die Maria spielen. Zum Kommunionsunterricht und zur Beichte mussten die katholischen Kinder aber ins drei Kilometer entfernte Denklingen.

Kinder haben überall im Ort gespielt

„Auf dem Rückweg haben wir uns Süßigkeiten zu zwei mal fünf Pfennig im Denklinger Dorfladen gekauft, und bis wir zu Hause waren, hatten wir den Gaumen wund und die Sündenregister wieder fast voll“, erzählt Marita Halberstadt und schmunzelt. Gespielt haben Hermesdorfs Kinder überall im Ort. Auch am Bahnhof, an dem die Wärter sie immer wieder verscheuchten.

In der Bahnhofskneipe trafen sich alle Erwachsenen zum Fußballgucken, dort stand der erste Fernseher im Dorf. In der Fabrik neben dem Bahnhof hat ihr Vater nachts als Heizer geschuftet. An Heiligabend sind sie zu ihm in die Fabrik gegangen und wenn dort das rote Feuer glühte, wussten die Kinder, dass das Christkind endlich gekommen war.

Das Elternhaus von Marita Halberstadt

„In jeder Ecke des Dorfes stecken Erinnerungen“, sagt die heute 75-jährige Wahl-Waldbrölerin. Nach Hermesdorf zurückziehen möchte sie dennoch nicht, zu lange wohnt sie schon mit ihrem Mann in Waldbröl. Aber wenn sie in Erinnerungen schwelgen will, dann fährt sie auf einen Kaffee zu einer alten Schulkameradin, die vor kurzem nach Hermesdorf zurückgekehrt ist.

Vor zwei Jahren gab es ein Klassentreffen, Marita Halberstadt hat es mitorganisiert. Eingeladen wurden alle, die auf einem schwarz-weißen Gruppenbild abgebildet sind – von der ersten bis zur achten Klasse. Zum Wiedersehensfest in der Vierbuchermühle kamen dann 24 ehemalige Schüler aus Hermesdorf mit vielen alten Geschichten von damals.