Ruhestand nach 36 JahrenRichterin Helga Bischoff: „Das Leben zu leben, ist mir genug“
Waldbröl – „Für mich stand immer der Mensch im Mittelpunkt, denn Gesetze sind für die Menschen gemacht“, erklärt Helga Bischoff, seit dem 1. Juli Richtern im Ruhestand. Nach 36 Arbeitsjahren, in denen sie am Amtsgericht in Waldbröl und zuvor in Siegburg und Bonn Recht gesprochen hat, ist sie am Donnerstag mit 64 in den wohlverdienten Ruhestand gegangen – als eine von fünf Richterinnen und vier Richtern des Waldbröler Gerichts.
„Als ich mich in den 1980-er Jahren um ein Praktikum fürs Studium in Waldbröl beworben hatte, saß mir der damalige Direktor in seinem grünen Lehnstuhl gegenüber und sagte nur: „Frauen? Hatten wir hier noch nie“, blickt Helga Bischoff zurück. Ob dieser Umstand – der ihr schon im Jura-Studium in Marburg Ende der 1970-er Jahre entgegengeschlagen war, als einer ihrer Professoren unumwunden kundgetan hatte, dass Frauen an der Universität nichts zu suchen hätten – ihr einen zusätzlichen Ansporn gegeben hat oder nicht: Im Jahr 1991 kam sie im Alter von 34 Jahren zum Amtsgericht in die Marktstadt und nahm in eben jenem grünen Lehnstuhl ihren Platz als Richterin ein – als einzige und erste Frau im Richteramt im ganzen Haus. „Sogar an den Wänden in den Fluren hingen nur Porträts von – in meinen jungen Augen damals – alten Männern“, erinnert sie sich und schmunzelt.
Sie hat dann erst mal ein paar Dinge verändert. Als erstes kaufte sie eine Kaffeemaschine für ihre kleine Amtsstube im zweiten Stock und rief die heute noch lebendige Tradition der Kaffeerunde ins Leben. „Bis dahin hatte kaum ein Austausch zwischen den Kollegen stattgefunden, das hat mir gefehlt und so habe ich diese Treffen als zwangloses Format für alle erfunden“, sagt sie. An manchen Tagen sei ihre Stube gerammelt voll und die Luft zum Schneiden verqualmt gewesen. Denn damals durfte man noch überall rauchen.
Neben den wöchentlichen Kaffeerunden organisierte Helga Bischoff jährliche Familien-Wandertage und gemeinsame Weihnachtsessen. Und so wurde die Richterin, gebürtig aus Morsbach-Überasbach stammend, zum sozialen Motor des Betriebs. Ein Betrieb, in dem sie stellvertretende Direktorin sowie Vorsitzende des Richterrates war und in den vergangenen 20 Jahren Richterin für Familienrecht und Betreuungssachen.
Sie hat tausende Betreuungsverfahren für Menschen, die nicht mehr für sich selbst entscheiden können, eingeleitet und begleitet, geschätzte 4800 Familienrechtsfälle verhandelt. Es sei ihr immer ihr Bestreben gewesen, in streitigen Familiensachen noch eine gütliche Einigung zwischen den Parteien zu erreichen. „In rund 90 Prozent der Fälle ist mir das auch gelungen“, sagt sie – nicht ohne ein bisschen Stolz in der Stimme.
In all den Jahren viel Elend und viel Leid gesehen
In all den Jahren hat sie aber auch viel Elend und viel Leid gesehen, die Spuren der Gewalt gegen Kinder ansehen oder Einblicke in zutiefst zerrüttete Familien nehmen müssen. Einmal wurde sogar ihr Leben von einem Beteiligten in einem Gewaltschutzverfahren bedroht. Deshalb heißt es jetzt für sie: Abstand gewinnen, morgens mit dem Kaffee in der Hand zusehen, wie die Pflanzen in ihrem Garten wachsen, und mit dem E-Bike durch die Wälder der Region brausen.
Auf der Urlaubsliste wartet erst mal Österreich und sobald die Corona-Pandemie Geschichte ist, wollen sie und ihr Mann mit dem Auto ans Nordkap. Und dann wollen da noch stapelweise Bücher, vorzugsweise Biografien und Romane, endlich mal gelesen werden. Ihren Sohn, der als Richter am Landgericht in Koblenz tätig ist, wird sie vielleicht auch öfter besuchen als es bisher möglich war. „Langweilig wird mir nicht, aber ich will auch gar nicht so viel auf dem Zettel haben. Das Leben zu leben, das ist mir schon genug“, sagt die Richterin a.D.