David Hahn übernimmt in Waldbröl die Leitung eines Wohnhauses der Oberbergischen Gesellschaft zur Hilfe für psychisch Behinderte: die frühere Winterschule.
„Häuser mit Geschichte(n)“Waldbröls Landwirte drückten einst in einer Villa die Schulbank
Ganz am Ende der Gerdesstraße ist es herrlich ruhig. Mächtige Bäume strecken sich dem Himmel über Waldbröl entgegen, imposant ist auch die Villa dort. „Als ich mich hier vorgestellt habe, habe ich den Mund nicht mehr zubekommen“, erinnert sich David Hahn an einen Tag im März des Jahres 2015. Da nämlich erhält der gelernte Altenpfleger den Zuschlag: Der heute 44 Jahre alte Gummersbacher übernimmt in der Marktstadt die Leitung eines Wohnhauses der Oberbergischen Gesellschaft zur Hilfe für psychisch Behinderte (OGB) – die frühere Winterschule, 1907 erbaut, ist ab sofort Hahns Arbeitsplatz. Und für den schwärmt er auch heute noch: „Die langen Flure, die knarzenden, ochsenblutroten Dielen, das alles hat einfach unglaublich viel Charme.“
1899 erhält auch die Stadt Waldbröl – wie zuvor einige andere Kommunen im Rheinland und 1875 bereits Gummersbach – eine erste Winterschule an anderer Stelle, dort beginnt der Unterricht für junge Landwirte mit theoretischem Rüstzeug für den Beruf. Und gute zehn Jahre später zieht diese Schule in die bergische Villa in der Nähe des Bahnhofs und an den heutigen Standort, so schreibt es etwa die Stadt in ihren „Geschichtsstationen“. Da ist das Haus die Nummer 20. Schulstunden gibt’s indes nur im Winter: Im Sommer schuften die jungen Männer auf den Feldern und Äckern.
„Am 2. November ging’s los und dann immer bis Ende März“, erinnert sich der Thierseifener Landwirt Helmut Dresbach (73). Bis ins Frühjahr 2020 war er Vorsitzender der Kreisbauernschaft Oberberg, damals erhielt Dresbach auch den Goldenen Meisterbrief. Seine Zeugnisse von der Winterschule hat er schnell zur Hand. „An diese Zeit erinnere ich mich sehr gerne“, betont der Waldbröler, denkt er an die beiden winterlichen Schulzeiten 1966/67 und 1967/68. Damals hat der junge Dresbach bereits eine vierjährige Lehre auf dem Hof seiner Eltern in Thierseifen hinter sich. Denn die Winterschule reiht sich stets an die Ausbildung, zwei Halbjahre dauert der Unterricht dort. „Es gab nur eine Klasse, wir waren 25 junge Männer bestimmt.“
Und die sind seit 1957 nicht mehr unter sich: Dann erhalten auch junge Frauen, die in der Landwirtschaft arbeiten, Unterricht – vorwiegend mit hauswirtschaftlichen Inhalten. „Nebenan stand der Neubau für die Mädels“, schildert Helmut Dresbach. Heute beherbergt jenes Gebäude eine Zulassungsstelle des Oberbergischen Kreises.
Die Winterschule hat er genau vor Augen. „Der Eingang war an der Gerdesstraße, hinter der Tür war auf der linken Seite gleich das Direktorenzimmer, den Flur hinunter, rechts, war das Klassenzimmer.“ Ein Versuchstechniker hat ebenfalls seine Dienststelle dort. „Wir haben Versuche gemacht im Grünland, im Ackerbau, mit Getreide, mit Kartoffeln“, zählt Dresbach auf. „Im Sommer gab’s dann Besichtigungstouren durch die Region.“
Viel, sehr viel habe er in dieser Schule gelernt. „Die Lehrer um Direktor Dr. Becker waren echte Persönlichkeiten, sie waren auch in der Politik und im Kulturleben Waldbröls sehr engagiert – Fritz Evang zum Beispiel gründete den Kulturkreis. Wir jungen Männer haben zu ihnen aufgeschaut.“ 1971 aber wird die Winterschule geschlossen: Es gibt nicht mehr genügend Schülerinnen und Schüler.
Zu Beginn des Jahres 2011 kauft die OGB das mächtige Gebäude, eröffnet wird das Wohnheim mit 24-stündiger Betreuung dann am 22. März 2013. In den 14,5 bis 18 Quadratmeter großen Räumen wohnen heute 14 Menschen mit den unterschiedlichsten Persönlichkeitsstörungen und führen ein selbstbestimmtes Leben. Mehr als 1,2 Millionen Euro investiert die OGB in Waldbröl, sie fügt der Villa 2012 einen Anbau hinzu. Hell und freundlich gestaltet sind im Erdgeschoss und auf der ersten Etage die Küchen und Gemeinschaftsräume, im Altbau finden sich links und rechts der Flure jeweils sieben Bewohnerzimmer.
„Unser Team zählt acht Mitarbeitende“, führt Leiter David Hahn aus. „Wir selbst nutzen das Dachgeschoss, etwa für Workshops und Besprechungen.“ An die Historie erinnern vor allem großformatige Fotografien des Gebäudes aus verschiedenen Jahrzehnten und aus den Tagen des Vieh- und Krammarktes sowie historische Metallschilder. Eine dieser Aufnahmen lädt 1928 etwa zum Besuch einer landwirtschaftlichen Ausstellung ein, die ihren Höhepunkt in einem Festzug am Sonntag, 23. September 1928 findet. Eine andere wirbt forsch für eine „Große Geflügelausstellung“ am 11. und 12. Dezember des Jahres 1927: „Von 36 Rassen“, so heißt es, „werden nur beste ausgesuchte Tiere ausgestellt“. Und: „Geflügelzüchter u. Liebhaber besucht die Ausstellung! Lehrreich für jeden Landwirt!“.