Das Wiehler Jugendamt räumt Fehler in der Statistik ein. Ein kritisches Ausschussmitglied bleibt unzufrieden und erklärt seinen Rücktritt.
StatistikfehlerDoch mehr Fälle von Kindeswohlgefährdung in Wiehl
Nach aktuellem Stand hat es 2024 in Wiehl neun Fälle von Kindeswohlgefährdung gegeben. Und schon zum Zeitpunkt der vorhergehenden Darstellung des Jugendamts waren es acht gewesen – und nicht nur drei, wie es Mitte November geheißen hatte. Diese niedrige Zahl hatte für Zweifel gesorgt und nach der Berichterstattung in dieser Zeitung dazu geführt, dass der Jugendhilfeausschuss des Stadtrats am Donnerstag zu einer Sondersitzung zusammentraf.
Wie der städtische Beigeordnete Peter Madel eingangs erklärte, ergab sich die falsche Zahl aus einem bedauerlichen Fehler beim Umgang mit einem EDV-Programm. Zur Einordnung der tatsächlichen Wiehler Zahlen sagte Madel, dass man bei den Hilfen zur Erziehung, die Wiehl den Familien gewährt, leicht über dem Durchschnitt vergleichbarer Jugendämter liegt.
Auf Nachfrage ergänzt Madel, dass die Stadt hinsichtlich der Zahl der gemeldeten Verdachtsfälle von Kindeswohlgefährdung sich mit 45 im Rahmen dessen bewege, was die städtischen Jugendämter in Wipperfürth und Radevormwald dokumentieren. Warum die Zahl der bestätigten Fälle noch immer nur halb so groß ist wie der Kreisdurchschnitt, sei unklar. Eine mögliche Erklärung sei der „günstige Sozialraum“, sagt Madel, sprich: In Wiehl gibt es weniger arme Familien als anderswo.
Jugendamtsleiterin Andrea Stawinski hob in der Sitzung hervor, dass ihre Mitarbeiter in zwölf weiteren der 45 gemeldeten Fällen zwar keine Kindeswohlgefährdung festgestellt , aber mit den Familien freiwillige Hilfen wie Erziehungsberatung vereinbart haben. Die mit dem Allgemeinen sozialen Dienst betrauten Kollegen erläuterten noch einmal detailliert das standardisierte Verfahren, mit das Jugendamt im Team die Fälle beurteilt und bearbeitet.
Wiehler Amt will seine Arbeit analysieren lassen
Der Beigeordnete Madel sieht keinen Hinweis, dass das Amt im Umgang mit Kindeswohlgefährdungsfällen nicht korrekt arbeitet. Dennoch habe man sich um die Teilnahme an einem Programm des Landesjugendamts zur Fall- und Strukturanalyse beworben, um die eigene Arbeit auf den Prüfstand zu stellen. Ersatzweise könne man die Wiehler Praxis zusammen mit einem Vergleichsjugendamt im Rahmen einer Fallwerkstatt analysieren.
Nicht zufrieden mit diesen Erklärungen zeigte sich Jörg Decker, Geschäftsführer der Wiehler Sozialraum-Management-GmbH und Ausschussmitglied als Vertreter der freien Träger der Jugendhilfe. Im Anschluss an die Sitzung erklärte er seinen Rücktritt. Die aus seiner Sicht niedrige Zahl der Meldungen und Feststellungen deute darauf hin, dass Schulen und Kita beim Thema Kindeswohl keinen ausreichenden Austausch mit dem Jugendamt haben. Hintergrund sei ein häufiger Personalwechsel in den vergangenen Jahren.
Die Stadt sollte sich fragen, ob ihr Jugendamt von der wachsenden Menge der Aufgaben überfordert ist und ob Wiehl sich freiwillig wieder in die Obhut des Kreisjugendamts begeben sollte. „Vielleicht liege ich ja mit meiner kritischen Haltung falsch“, sagt Decker im Gespräch nach der Sitzung. „Aber da ich im Ausschuss keine Mitstreiter gefunden habe, halte ich es für besser, mich zurückzuziehen.“ Tatsächlich gab es aus dem Kreis der Ratsfraktionen keine kritischen Nachfragen.
Die Bedeutung der Kontroverse ließ sich daran ablesen, dass Bürgermeister Ulrich Stücker an der Sitzung teilnahm. „Diese Diskussion hat uns in den vergangenen Wochen sehr belastet“, sagte Stücker über die Folgewirkungen des Statistikfehlers. „Beim Kindeswohl darf es keine Zweifel geben. Ich gehe davon aus, dass diese jetzt ausgeräumt sind.“ Wenn es noch kritische Fragen gebe, stehe er auch für vertrauliche Gespräche zur Verfügung, bot Stücker an.