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GleichstellungWarum das Gendern auch in Wiehl wichtig ist

Lesezeit 6 Minuten
Verana Kahl und Martina Kalkum stehen nebeneinander im Büro des Rathauses in Wiehl.

Das Büro, das Martina Kalkum (r.) sich damals direkt am Eingang des Rathaus-Altbaus eingerichtet hat, will Verena Kahl übernehmen.

Interview über die Arbeit der Gleichstellungsbeauftragten in Wiehl mit Verena Kahl und Martina Kalkum.

Das neue Jahr beginnt für die beiden mit einem Neuanfang: Martina Kalkum geht in den Ruhestand, Verena Kahl übernimmt ab 1. Februar die Position der Gleichstellungsbeauftragten der Stadt Wiehl. Reiner Thies sprach mit den Damen über Quotenfrauen, Gendersprache, das Verhältnis zum Bürgermeister und andere heikle Themen.

Frau Kalkum, wie lautet der wichtigste Ratschlag, den Sie ihrer Nachfolgerin geben?

Kalkum: Den gibt es nicht, sie sollte die Arbeit in ihrem Sinne machen. Ich habe mir allerdings viel Zeit genommen, um Verena Kahl etwas mitzugeben, und deshalb meinen Wechsel in den Ruhestand noch ein paar Wochen verschoben.

Ich habe Ordner mit Ideensammlungen und vor allem vielen Kontakten angelegt. Mir ging es immer darum, dass ich nicht nur für die Frauen, sondern für alle da bin. Nach meinem Dienstantritt besuchte ich damals als erstes den Bauhof, um zu zeigen: Ich bin nicht die Frauen-, sondern die Gleichstellungsbeauftragte.

Dennoch freut es mich zu sehen, dass der Anteil von Frauen in Führungspositionen von 23 Prozent bei meinem Dienstantritt auf 50 Prozent im Dezember 2022 gestiegen ist. Bald werden es mehr als 60 Prozent sein, das entspricht dem Anteil, den Frauen in der Stadtverwaltung ausmachen.

Umgekehrt habe ich mich immer dafür eingesetzt, dass etwa im pädagogischen Bereich mehr Männer beschäftigt und gefördert werden. Nebenbei bemerkt sind alle weiblichen Führungskräfte in dieser Position, weil sie für diese entsprechend qualifiziert sind.

Kahl: Ich denke ziemlich ähnlich. Für die Starthilfe bin ich sehr dankbar, das macht es mir einfacher.

Passiert es noch, dass Kolleginnen als „Quotenfrau“ unterstellt wird, sie seien nicht qualifiziert für ihre Aufgabe?

Kahl: Bei den Frauen in Führungspositionen hier in der Stadtverwaltung habe ich das noch nicht erlebt. Sie wissen aber auch, was sie können. Ich glaube, die Frauenquote ist noch nicht überflüssig, aber wir sind auf dem besten Weg dorthin.

Frau Kahl, was hatten Sie nicht erwartet, als Sie sich für die neue Aufgabe interessierten?

Kahl: Ich wusste nicht, wie groß die Bandbreite der Themen ist, die bei der Gleichstellung auflaufen. Da geht es dann auch um häusliche Gewalt oder die Probleme in Einrichtungen von Menschen mit Beeinträchtigung. In vielen Fragen werde ich mir keinen Rat erlauben können und die Menschen an die zuständigen Stellen weiterleiten müssen.

Kalkum: Das habe auch ich schon aus Zeitgründen oft machen müssen und die Leute etwa an die Gewaltschutzberatung der Caritas verwiesen. Wegen meiner langjährigen Erfahrungen und Qualifikationen bin ich in vielen Fragen zur Vertrauensperson geworden, die über die Gleichstellung hinausgehen, und auch von Bürgern und Bürgerinnen, sowie bei Mitwirkenden des Rates zurate gezogen worden. Das hat mich immer glücklich gemacht, das wird mir fehlen.

Frau Kahl, was reizt Sie an der Gleichstellung?

Kahl: Bei Vorstellungsgesprächen, an denen ich als stellvertretende Schwerbehindertenvertreterin teilgenommen habe, habe ich Martina Kalkums imposanten Auftritte erlebt und gedacht: Das ist ein toller Job, nur leider schon besetzt.

Als er dann frei wurde, haben Kollegen und Kolleginnen gesagt, dass das doch etwas für mich wäre. Welche Stellung hat die Gleichstellung im Wiehler Rathaus?

Kalkum: Es ist eine Stabsstelle, die direkt dem Bürgermeister zugeordnet ist, ohne dass dieser weisungsbefugt wäre. Ich habe an allen Sitzungen des Verwaltungsvorstands teilgenommen und an Dienstanweisungen mitgewirkt.

Die Gleichstellungsbeauftragte - in Nordrhein-Westfalen ist es immer eine Frau - hat weitergehende Befugnisse als der Personalrat. Diese Rechte werden leider nicht in allen Rathäusern gewährt und beansprucht.

Das ist aber auch kein Wunder, wenn die Gleichstellungsbeauftragte nur ein paar Stunden für diese Aufgabe aufwenden darf und sonst in einem anderen Bereich einer Fachbereichsleitung unterstellt ist. Dann kann es natürlich Konflikte mit der oder dem Vorgesetzten geben.

Selbst mir, die ich dieses Problem nicht hatte, ging es gelegentlich vor Gesprächen so, dass ich vor der Tür noch einmal Luft holen und mir sagen musste: Martina, das ist dein Job!

Der Bürgermeister sucht die Gleichstellungsbeauftragte aus. Besteht da nicht die Gefahr, dass er sich eher nicht für eine starke Persönlichkeit entscheidet?

Kalkum: Die Verwaltungsleitung muss schon ein Interesse am Thema haben, so wie es hier in Wiehl der Fall ist. Aber noch besser wäre es natürlich, wenn sich die Aufgabe der Gleichstellungsbeauftragten irgendwann erledigt hat.

Glauben Sie wirklich, dass der Job überflüssig werden könnte?

Kalkum: Ja, das glaube ich. Weil ich sehe, wie viel sich in ein paar Jahren schon verändert hat. Etwa beim Umgang mit Menschen mit Handicap. Und in der Sprache.

Kahl: Und beim Thema LGBTQ, also in Fragen der Geschlechtsidentität und sexuellen Orientierung.

Brauchen wir eine gegenderte Sprache?

Kalkum: Sprache beeinflusst das Denken, Begriffe verändern mein Gegenüber. Darum werbe ich dafür von „Mitarbeitenden“ zu sprechen oder von „Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern“. Ich persönlich halte aber nichts von Sternchen, Unterstrichen oder gar Sprechpausen. Das macht es nur für alle schwieriger.

Kahl: Das sehe ich genauso. Ich arbeite gern mit Sprache und mag es nicht, das große I zu sprechen. Die Gender-Debatte ist aber wichtig. Was Sprache ausmacht, kann man daran sehen, wie verletzend das Wort „behindert“ wirkt.

Sie sprachen eben LGBTQ an. Welche Rolle spielt diese Bewegung in der Gleichstellung?

Kahl: Ich glaube nicht, dass bei der Arbeit im Rathaus die sexuelle Orientierung irgendeine Rolle spielen sollte. Bei der Geschlechtsidentität sieht es schon anders aus. Neue Stellen auch für „divers“ auszuschreiben, ist für mich ein Zeichen von Toleranz und Rücksichtnahme.

Kalkum: Und es ist ohnehin eine rechtliche Pflicht.

Sehen Sie sich denn als Feministinnen?

Kalkum: Nein, ich kämpfe dafür, dass alle Menschen eine Chance bekommen. Ich möchte mit allen Menschen empathisch sein und das Positive in ihnen sehen und fördern.

Kahl: Alle Menschen sollten fühlen, dass sie gesehen werden, egal welches Geschlecht sie haben. Ich möchte eine Vertrauensperson für alle Geschlechter sein. Und sogar für Nicht-Geschlechter.

Kalkum: Bei mir suchen auch viele Männer Hilfe, und oft geht es um häusliche Gewalt. Die kann physisch, aber auch psychisch sein. Zu den Ratsuchenden gehören auch Jungs, die mich noch aus dem Drabenderhöher Jugendheim kennen und schon längst erwachsen sind.

Als ich Gleichstellungsbeauftragte wurde, habe ich mir das Büro direkt am Eingang des Rathaus-Altbaus ausgesucht, damit mich jede Person diskret aufsuchen kann, ohne sich durchs Haus fragen zu müssen.

Haben Sie nie unter männlicher Unterdrückung gelitten?

Kalkum: Ich hatte in meinem ganzen Leben keine Mühe, mich gegen männliche Autoritäten durchzusetzen. Ich habe mir schon als Jugendliche immer verbeten, als „Frollein“ angesprochen zu werden. Als ich damals im Jugendheim anfing, spielten die Jugendlichen unter meiner Leitung als erstes ein Theaterstück, bei dem die Jungen die weiblichen Rollen übernommen haben und umgekehrt.

Kahl: Als ich im Krankenhaus in Bergisch Gladbach als Gesundheits- und Krankenpflegerin auf Station gearbeitet habe, hatte ich schon einen ziemlich schweren Stand gegenüber einigen Ärzten. In einer Klinik gilt ja eine sehr steile Hierarchie. Aber ich habe zwei ältere Brüder und mein Vater ist Polizist. Da habe ich gelernt, mich durchzusetzen.

Frau Kalkum, welchen Neuanfang wagen Sie im Ruhestand?

Kalkum: Davor gruselt es mich ein wenig, ich habe bis heute immer gern gearbeitet. Ich werde mir jetzt ein weiteres Ehrenamt suchen, bei dem ich meine Erfahrungen einbringen kann. Ich wäre sehr gern zur Notfallseelsorge gegangen, jedoch ist mir 365 Tage Bereitschaft zu viel. Vielleicht helfe ich Kriminalitätsopfern beim Weißen Ring oder engagiere mich in der Trauerbegleitung. Auf jeden Fall werde ich weiterhin eng bei dem Menschen sein.