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„Wirklich Geschichte erlebt“Irene Textor aus Nümbrecht feiert 105. Geburtstag

Lesezeit 3 Minuten

Ihren 105. Geburtstag feierte Irene Textor kürzlich. Ihre früheste Erinnerung ist ein Moment nach Ende der Ersten Weltkriegs.

Nümbrecht – Ihre erste bewusste Erinnerung datiert aus 1918. Der Erste Weltkrieg war vorüber und ein deutscher Soldat schenkte Irene Textor einige Plätzchen. Da war die Nümbrechterin, die zu dieser Zeit in Waldbröl-Hermesdorf lebte, vier Jahre alt. Gerade feierte sie ihren 105. Geburtstag und sagt: „Ich habe ja wirklich Geschichte erlebt.“

Und von dieser Geschichte kann sie Geschichten erzählen. Von ihrer Schulzeit zum Beispiel, in der sie in einem Nonnenkloster von Ursulinenschwestern unterrichtet wurde, von ihrer zweijährigen Ausbildungszeit, in der sie in Witten an der Ruhr Psychologie und Pädagogik studierte und von ihrer ersten Lehrtätigkeit in Gelsenkirchen. „Ab Kriegsbeginn habe ich unterrichtet“, erinnert sie sich.

Der Tag des Kriegsbeginns ist ihr noch deutlich vor Augen. „Ich hatte eine Radtour nach Essen unternommen und als ich zurückkam, hieß es, wir seien im Krieg. Später habe ich eine Reise nach Danzig gemacht, um den Ort zu sehen, an dem die ersten Schüsse gefallen waren. Schrecklich!“ Auch die Gedanken an die Pogromnacht im November 1938 sind noch lebendig: „Eine Freundin kam zu mir und sagte, dass in Essen die Synagoge brenne. Es war furchtbar.“

105Jaehrige

Irene Textor traf als Schiedsfrauen-Vertreterin im Jahr 1977  in Bonn bei einem Empfang den  vierten Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland, Walter Scheel. Sie füllte dieses Ehrenamt zwischen 1970 und 1985 aus.

Obwohl die Pädagogin nie ein Parteibuch besaß, musste auch sie sich nach Kriegsende der Prozedur der Entnazifizierung stellen. „Letztlich bekam ich von der britischen Militärregierung meinen Schein mit einem großen Stempel darauf und wurde Lehrerin in der Gemeinde Lieberhausen mit acht Jahrgängen in einem Raum.“

Irene Textor unterrichtete alle Fächer, besuchte Kurs um Kurs, um sich stetig weiterzubilden, studierte schließlich noch einmal mit dem Fach evangelische Religion als Schwerpunkt an der Pädagogischen Akademie in Kettwig. Als Lehrerin arbeitete sie danach in Reichshof-Odenspiel und in Waldbröl-Thierseifen.

Unvergesslicher Regenbogen

1970 begann Irene Textor mit einem besonderen Ehrenamt. Sie wurde weiblicher Schiedsmann: „Die Stadt Waldbröl hatte mitgeteilt, dass einer aus dem Kollegium dieses Amt übernehmen solle und meine Kollegen hatten einstimmig mich ausgeguckt“, sagt die Jubilarin schmunzelnd. Damit wurde die Pädagogin plötzlich zum Exoten, denn Schiedsfrauen waren 1970 nicht gerade alltäglich, in Oberberg war sie die einzige. Und äußerst erfolgreich. 1977 wurde sie als Vertreterin der Schiedsfrauen zu einem Empfang bei Bundespräsident Walter Scheel in Bonn eingeladen. Bis zum Ausscheiden aus ihrem Amt im Jahr 1985 hatte sie in mehr als 200 Fällen helfen können. Ein Jahr später, im Januar 1986, erhielt Irene Textor das Bundesverdienstkreuz für ihr Engagement als Schiedsfrau und bedankte sich auf besondere Weise. „Die Auszeichnung nehme ich in Vertretung für die vielen Schiedsmänner und -frauen entgegen, die ihre Arbeit im Stillen tun“, sagte sie damals.

Im Einsatz für andere Menschen war Irene Textor auch in der Hausaufgabenhilfe des Aktionsrings „frau und welt“ und in der Arbeit mit Senioren. Dazu zog sie Obst und Gemüse im heimischen Garten in Waldbröl, reiste viel, schrieb unzählige Ansichtskarten und berührte gar in Washington in einer Ausstellung ein Stück Gestein vom Mond: „Der Mond da oben und ich hier unten – das war aufregend. Aber wirklich wunderschön und unvergesslich war auch der Regenbogen beim Anflug auf Teneriffa.“