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Dramatisches Jahr für die KirchenZahl der Austritte in Oberberg auf sehr hohem Niveau

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OB Kirchenaustritt

Im ersten Halbjahr haben die drei Amtsgerichte bereits 1570 Kirchenaustritte erfasst. (Symbolfoto)

Oberberg – Mit großer und wachsender Sorge blicken Christoph Bersch, Kreisdechant der katholischen Kirche für Oberberg, und Michael Braun, Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises An der Agger, auf die Zahl der Austritte aus den beiden Kirchen in den ersten sechs Monaten dieses Jahres. Denn diese liegt bisweilen schon heute über mancher Gesamtzahl für eines der Jahre seit 2019. Das geht aus den Statistiken hervor, die von Oberbergs Amtsgerichten in Gummersbach, Wipperfürth und Waldbröl geführt werden. Dabei unterscheiden die Gerichte allerdings nicht nach den Konfessionen, auch sind die Austritte, die in einer Notarkanzlei erfolgen, nicht berücksichtigt.

„Für mich ist diese Entwicklung sehr bedrückend“, gesteht Kreisdechant Bersch. „Schließlich kommen täglich neue Austritte hinzu – und das wird auch so weitergehen.“ Er erwarte ein durchaus verheerendes Jahr für die katholische Kirche, auch in Oberberg. „Gleichwohl kann ich die Menschen sehr gut verstehen, die sich für den Austritt entscheiden: In der katholischen Kirche schwelt so vieles, es gibt große Spannungen.“

Statistik über die Zahl der Austritte

Zahlen der Austritte

Die Amtsgerichte im Oberbergischen Kreis führen zwar eine Statistik über die Zahl der Austritte aus der katholischen und der evangelischen Kirche, dabei unterscheiden sie aber nicht zwischen den Konfessionen. Hier die Zahlen der Austritte seit 2019:

Gummersbach: 766 (2019), 493 (2020), 968 (2021) und bisher 660 (erstes Halbjahr 2022)

Waldbröl: 459 (2019), 331 (2020), 585 (2021) und bisher 362 (erstes Halbjahr 2022)

Wipperfürth: 544 (2019), 405 (2020), 728 (2021) und bisher 548 (erstes Halbjahr 2022)

„Hinzu kommen natürlich die mangelhafte Aufarbeitung der Missbrauchsskandale, das ungewisse Schicksal von Erzbischof Woelki, die Unzufriedenheit mit dem Synodalen Weg und die Ungewissheit über die Zukunft mancher Gemeinde“, führt Bersch aus. Immer noch – und dafür habe er noch nie Verständnis aufgebracht – sei die Mentalität des Aussitzens zu ausgeprägt. Vor allem der Prozess vor dem Kölner Landgericht gegen einen Geistlichen, der auch in Gummersbach tätig war, habe Oberbergs Gläubige ins Mark getroffen, glaubt Bersch.

Von einem Jahr der Verunsicherung spricht Superintendent Braun. „Leider ist es nachweislich so, dass die evangelische Kirche unter der Situation der katholischen Kirche leidet“, sagt er. „Die Menschen differenzieren nicht mehr – sie ziehen sofort die Konsequenzen und treten aus. Und das finde ich sehr frustrierend.“ Ein anderer, konkreter Anlass, der evangelische Kirchen den Rücken zu kehren, sei finanzieller Natur, weiß Braun: „Grund dafür ist die Lage nach den schweren Corona-Jahren 2020 und 2021 – aber es gibt Möglichkeiten, Menschen in solcher Not zu helfen.“

Zeremonien an der frischen Luft heute besonders gefragt

Echte Freude bereitet dem Superintendenten dagegen der Blick auf die große Zahl der Taufen und Hochzeiten in allen 24 Gemeinden des Kirchenkreises. Viele seien für die beiden vergangenen Jahre geplant gewesen und würden nun nachgeholt. „Allein in Wiehl sind bis Ende dieses Monats mehr als 20 Kinder für eine Taufe angemeldet“, sagt Michael Braun und berichtet, dass Zeremonien an der frischen Luft heute besonders gefragt seien.

Eine Ausnahme in der Statistik der Amtsgerichte ist 2020: In diesem Jahr ist die Zahl der Austritte stark gesunken. Über die Gründe dafür sind sich Kreisdechant und Superintendent einig: Zum einen hätten viele Menschen in jenem schlimmen Jahr einen spirituellen Halt gesucht. „Zum anderen aber wurden persönliche Entscheidungen – und dazu gehört eben auch der Austritt aus der Kirche – auf die Jahre 2021 und 2022 verschoben“, erklärt Christoph Bersch. „Und das bekommen wir nun zu spüren.“

Für Bersch selbst steht das Jahr 2020 für gelebte Ökumene. Damals taten sich beide Kirchen in Oberberg vor dem Osterfest zusammen und schrieben eine Osterbroschüre, die in einer Auflage von fast 80.000 Exemplaren verteilt wurde. „Gemeinsam konnten wir den Menschen Mut machen, ihnen Unterstützung bieten, sie ein Stück durch die damals manchmal einsame Zeit begleiten.“ Leider, so bedauert Kreisdechant Christoph Bersch, werde alles von der Situation in der katholischen Kirche überschattet. „So viel Großartiges, das die Kirchen zu bieten haben, gerät dadurch in Vergessenheit. Das macht mich traurig.“