Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Zwischen Rheinland-Pfalz und NRWEin Ort, drei Grenzen – Wittershagen ist kaum zu finden

Lesezeit 4 Minuten

Wittershagen – Ein Ort, zwei Gemeinden, zwei Kreise, zwei Bundesländer. Wer in Stentenbach ins Stolpern gerät, könnte in Rheinland-Pfalz hinfallen. Zwischen dem Nachbarland und Nordrhein-Westfalen liegt nur eine Straße – gute zwei Meter breit, staubig, holprig, von Gras gesäumt.

Die Welt geht dort also nicht zu Ende, wohl aber die Gemeinde Morsbach, der Oberbergische Kreis und eben auch das Land Nordrhein-Westfalen. Von Morsbach aus gesehen ist Stentenbach die letzte Bastion Oberbergs, dahinter liegt Wittershagen. Und zwar das Wittershagen der Ortsgemeinde Friesenhagen im Landkreis Altenkirchen und in Rheinland-Pfalz gelegen. Allerdings gibt es da auch noch die andere Seite Wittershagens, die größere, die sich hinter den ersten Hügel duckt, jenseits weniger Häuser, hinter Büschen und Bäumen. Und dieses Wittershagen gehört zu Morsbach, wie auf der Karte zu sehen.

„Das war schon immer so“, sagt Anwohner Dieter Chlistalla, der seit 1978 in Wittershagen lebt. Namen haben die Straßen in diesem Ort nicht, die Häuser tragen bloß Nummern. Chlistalla, 25 Jahre lang Polizist in Morsbach, wohnt im Haus Nummer 4. Und in Friesenhagen. Seine Steuern bezahlt der Mann in Rheinland-Pfalz, sein Auto hat das Kennzeichen „AK“ für Altenkirchen.

Doch in Wittershagen-Morsbach mit 36 Einwohnern gibt es ebenfalls ein Haus, das die „4“ trägt. „Insgesamt gibt es dieses Problem fünfmal“, berichtet Chlistalla. „Fünf doppelte Hausnummern gibt es hüben und drüben.“ Doch nicht nur das: Nach Wittershagen-Morsbach findet das Navigationsgerät ohne Probleme. Will man aber unbedingt nach Wittershagen-Friesenhagen (nicht mehr als zehn Einwohner), verliert die Technik prompt die Orientierung: „In 200 Metern rechts abbiegen“, ruft das Gerät und zeigt an, dass die gesuchte Adresse zur Linken liegt. Soll man sich zerreißen? „Bitte nicht“, wehrt Friesenhagens Ortsbürgermeister Norbert Klaes ab. Er kennt das doppelte Wittershagen, kennt die Probleme. Und Klaes hat nicht nur Abhilfe versprochen, sein Versprechen hat er jüngst auch gehalten: Funkelnagelneue Ortsschilder weisen auf Friesenhagen-Wittershagen hin.

Und wäre Dieter Chlistalla nicht schon 82 Jahre alt, so würde er wohl Purzelbäume schlagen vor Glück. „Denn nun sind wir eine geschlossene Ortschaft“, jubelt der Pensionär. Will sagen: Jeder Autofahrer durfte mit 100 Sachen an den üppigen Gärten von Wittershagen (Friesenhagen!) vorbeirasen, und das mit vollem Recht. Das zuvor einsame Ortsschild „Stentenbach“ stand nämlich am linken Fahrbahnrand. „Damit hatte es keine Rechtskraft“, erklärt Chlistalla, der sich mit den Vorschriften auskennt. „Solche Schilder müssen rechts stehen. Oder eben auf beiden Seiten der Straße.“ Und der Anwohner fordert gleich noch zwei Schilder, damit Ruhe einkehrt: „Eins für Tempo 30 und eins, das unsere Straße als Sackgasse ausweist.“ Chlistallas Haus ist das letzte in der Reihe, dahinter ist nur Wald. „Was aber Motorradkolonnen nicht davon abhält, hier durchzudonnern.“ Auch rolle mancher Lastwagen auf Irrfahrt am Gartenzaun vorbei. Im April strandete ein niederländischer Lastzug im Grünen, kippte um, schüttete 15 Tonnen Obst und Gemüse in die idyllische Landschaft. Zwar war das drüben, in Wittershagen-Morsbach, doch war wahrscheinlich ein orientierungsloses Navi die Ursache des kuriosen Unfalls.

Postbote ohne Probleme, Bürokratie ohne Grenzen

„Solche Probleme habe ich nicht“, betont Martin Schmidt. Der arbeitet bei der Deutschen Post, seit 15 Jahren stellt er Briefe und Pakete zu. Und zwar grenzübergreifend, sozusagen in „Groß-Wittershagen“. „Ich kenne jedes Haus, jeden Bewohner, da passieren keine Fehler“, schildert Schmidt (57). Unterdessen berichten die Anwohner, dass die Boten anderer, sogar weltweit tätiger Lieferunternehmen bisweilen kreuz und quer durch den Ort brausten auf der Suche nach dem richtigen Empfänger.

Auch die beiden Oberhäupter des geteilten Ortes denken eher global als lokal. „Wenn unser Schneeräumer unterwegs ist, dann bremst er nicht 600 Meter vor dem Ende der Straße, weil da Friesenhagen anfängt“, bestätigt Jörg Bukowski, Morsbachs Bürgermeister. Und auch Norbert Klaes gibt zu, dass er gern den kurzen Dienstweg einschlägt.

Wie oft es in Deutschland vorkommt, dass eine Landesgrenze einen kleinen Ort derart spaltet, ist nicht bekannt. Ratlosigkeit herrscht da ebenso bei den emsigen Statistikern des Landesbetriebs Information und Technik wie auch in der Münchener Redaktion von „Müllers großes deutsches Ortsbuch“, dem 1922 erstmals gedruckten Nachschlagewerk.

Also doch irgendwie einzigartig, dieses Wittershagen ...