RegierungsbunkerZu Besuch am geheimsten Ort der Bonner Republik
Lesezeit 6 Minuten
In Bad Neuenahr-Ahrweiler zeugt noch heute ein riesiger Geheimbunker von den Zeiten des Kalten Krieges.
Auf 17,3 Kilometern erstreckte sich dort eine Anlage mit Büros und Betten für die höchsten Repräsentanten der Bonner Republik.
Mehr als 17 000 Menschen arbeiteten an der Fertigstellung der Räume, die nie genutzt wurden. Zum Ernstfall kam es nie.
Unsere Reporterin hat den Bunker, der heute ein Museum ist, besucht.
Stellen Sie sich die Gegend um Bad Neuenahr-Ahrweiler vor. Sanft ansteigende Weinberge, üppiger Wald, kleine malerische Orte, die Ahr fließt vorbei. Mitten in dieser Idylle gibt es einen Ort, der davon zeugt, dass nichts so ist, wie es scheint: den ehemaligen Regierungsbunker der Bonner Republik. Verdeckt von hohen Tannen liegt unter einem Berg eine riesige unterirdische Anlage, in der zu Zeiten des Kalten Krieges im Falle eines Atomangriffs die Verfassungsorgane der Bundesrepublik Deutschland 30 Tage lang Unterschlupf gefunden hätten.
Konkret heißt das: Auf insgesamt 17,3 Kilometern gab es unter der Erde 936 Schlafräume mit je vier Betten und 897 Büroräume für den Bundespräsidenten, den Bundeskanzler sowie Mitglieder und Mitarbeiter von Bundestag, Bundesrat, Bundesverfassungsgericht und Gemeinsamem Ausschuss von Bundestag und Bundesrat. Bei einem Atomangriff oder einer anderen Gefahr hätten hier unten die Regierungsgeschäfte fortgeführt werden müssen. Alles völlig geheim.
Mitgebaut haben Bergleute aus NRW
Der Regierungsbunker war das geheimste Bauwerk der Bundesrepublik Deutschland. Seine Planung reicht bis Anfang der 1950er-Jahre zurück, der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer gab 1962 den Startschuss für den Bau. Natürlich konnte man eine derart monströse Anlage nicht komplett ohne Mitwisser bauen.
Insgesamt haben bis zur Fertigstellung 1972 mehr als 17 000 Menschen an der Fertigstellung gearbeitet, die meisten davon ehemalige Bergleute aus dem Ruhrgebiet, die immer nur einzelne Teile sahen und regelmäßig ausgetauscht wurden, um das große Geheimnis zu wahren. Offiziell sollte in zwei alten Eisenbahntunneln der nie fertig gestellten Ruhr-Mosel-Entlastungslinie ein Bunker für die Bundesschule des Technischen Hilfswerks (THW) in Marienthal entstehen. Inoffiziell wurde im Ahrtal aber schon bald über ein unterirdisches Luxuskaufhaus oder Bordell gemunkelt. Angeblich sollte es eine unterirdische Straße geben, von der aus man in den Bunker hätte einziehen können.
Das „Hamburger Abendblatt“ war 1961 das erste Medium, das den Verdacht mit dem Titel „Tief unter den Weinstöcken: Riesiger atombombensicherer Stollen an der Ahr“ verschriftlichte. Einige Zeit später zog die Zeitschrift „Quick“ mit der Schlagzeile „Hier baut Bonn seinen Befehlsbunker“ nach. „Man kann das heute kaum noch glauben, aber kurz nach Erscheinen haben Polizisten versucht, aus allen Quick-Zeitschriften die entsprechenden Seiten herauszureißen“, erzählt Heike Hollunder, die seit der Fertigstellung der Dokumentationsstätte im Jahre 2008 Besucher durch den Bunker führt. Im Zweijahresrhythmus fanden von 1966 bis 1989 insgesamt zwölf Übungen mit jeweils etwa 2000 Personen im Regierungsbunker statt. Die meisten Politiker kamen nicht selbst, sondern schickten ihre Vertreter. Von den Bundeskanzlern hat fast jeder zumindest bei den Übungen vorbeigeschaut.
Rote Sofas für den Präsidenten
Bundeskanzler und Bundespräsident bekamen ein Einzelzimmer, für den Bundespräsidenten gab es sogar einen Raum mit stylischen roten Sofas – der einzige Farbtupfer im Regierungsbunker. Selbst die höchsten Repräsentanten hätten ihre Frauen und Familien im Ernstfall nicht mitbringen dürfen.
Der Bunker ist der erste Atomschutzbunker, der in Deutschland gebaut wurde. Die Eingänge sind mit 25 Tonnen schweren Rolltoren gesichert, die bei Bedarf innerhalb von zehn Sekunden schließen. „Man hat damit gerechnet, dass eine Atombombe im Raum Köln/Bonn herunterkommen würde und hier nur Druckwellen ankommen“, erzählt Hollunder. Um mögliche Stöße abzufedern, sind alle Gänge im Bunker verwinkelt.
Luftschutzbunker kannte man zwar aus dem Zweiten Weltkrieg, wie man einer möglichen Verstrahlung Herr wird, schien man aber nicht hundertprozentig einschätzen zu können. Im Regierungsbunker kam zum Beispiel die Dekontaminationsanlage kurz hinter dem Eingang zum Einsatz. Hier sollten Menschen, bei denen äußere Strahlung gemessen worden war, ihre Kleidung ausziehen und mit kaltem Wasser und Säurezusatz duschen. Anschließend gab es Einheitskleidung für jeden. „Unbeantwortet bleibt, was mit den Menschen passiert wäre, die zu verstrahlt gewesen wären. Das Duschen wurde nie wirklich geübt“, sagt Hollunder.
Unter der Erde gab es auch Zahnarzt, Feuerwehr, Krankenstation
Der Bunker hatte eine völlig autarke Luft-, Wasser- und Stromversorgung. Es gab eine eigene Werksfeuerwehr und fünf Krankenstationen inklusive Zahnarztstuhl. Für jede einzelne Maschine die passenden Ersatzteile. Von der Kommandozentrale aus ließen sich alle Türen, Klappen und Jalousien verschließen und die Wasser- und Luftversorgung regeln. Die Außenbereiche wurden über Monitore überwacht. Außerdem boten fünf Speisesäle jeweils Platz für 600 Personen, sogar evangelische und katholische Gottesdienste hätte es gegeben.
Etwa 30 Tage hätten Lebensmittel und Energie hier unten ausgereicht. „Es ging darum, handlungsfähig zu bleiben, nicht darum, den Dritten Weltkrieg zu überleben. Vor allem musste die Kommunikation mit den anderen Nato-Quartieren aufrechterhalten werden“, sagt Hollunder. Nachrichten wurden aus der Kommunikationszentrale verschickt – von Kryptomaschinen verschlüsselt. Jeden Tag änderte der Kryptomeister die Zugangsdaten. Um zu testen, ob die Maschinen funktionieren, wurde jeden Morgen zuerst der Satz „Bitte kaufen Sie vier gute, bequeme Pelze xyz 1234567890“ übermittelt, denn in diesem Satz sind alle Buchstaben und Zahlen enthalten.
Eine Rede an die Nation für den Ernstfall
Während der Übungen wurden auf einer Weltkarte mögliche Bedrohungssituationen nachgestellt. Die blauen Schilder standen dabei für die Nato-Staaten, die orangefarbenen für die Staaten des Warschauer Paktes. Bulgarien taucht bei der ersten Übung unter dem Code-Namen „Lime Peel“, Jugoslawien als „Blue Leg“ und Ungarn als „Mercedes Benz“ auf. Der Ernstfall war bis ins letzte Detail durchgeplant. Für jede neue Übung lieferte das Bundespresseamt eine Rede, die der Bundespräsident im Ernstfall hätte vorlesen müssen. Zu diesem Zweck gab es im Regierungsbunker von 1965 an ein geheimes WDR-Studio mit Kamera. Von hier aus sollte die Rede „über den Hörfunk und in Wiederholungen auch über das ZDF gesendet werden“.
Die vorbereitete Rede beginnt so: „Heute früh haben Einheiten der sowjetzonalen Volksarmee die Demarkationslinie überschritten und erste Kampfhandlungen ausgelöst. Das ist ein Bruch des Völkerrechts. Die Aggressionen richten sich nicht nur gegen uns, sondern gegen alle mit dem deutschen Volk verbündeten Mächte der Welt.“ Sie endet mit den Worten: „Lasst uns in dieser Stunde der Gefahr zusammenstehen, dass der Friede doch noch gerettet, dass die gemeinsame Freiheit doch noch errungen werden kann. Nicht nur wir, Europa darf diesem schändlichen Anschlag nicht erliegen. Das Recht ist auf der Seite der freien Welt.“
„Für den Ernstfall nicht gerüstet"
Diese Reden wurde nie gebraucht, der Ernstfall trat nie ein. Nach dem Ende des Kalten Krieges wurde die Anlage schließlich von 2001 bis 2006 zurückgebaut und leer geräumt. „Kurz nach den Anschlägen vom 11. September 2001 hat man kurz überlegt, ob man den Bunker doch noch brauchen könnte. Mittlerweile gibt es Ausweichorte rund um Berlin. Für den Ernstfall ist Deutschland aber nicht gerüstet“, glaubt Heike Hollunder.Zugeschüttet werden dürfen die alten Tunnel nicht. Irgendwann soll es auch hier Führungen geben. Die Menschen könnten sich heute eine echte Bedrohungslage, die nicht unbedingt Krieg bedeuten muss, nicht mehr vorstellen, meint Hollunder: „Es ist nicht mehr in den Köpfen drin, sich für den Ernstfall vorzubereiten und Vorräte anzulegen.“