In Bergisch Gladbach ist ein Streit zwischen Nachbarn eskaliert. Nach einem Gerichtsurteil kann Irmintraut Fuchs ihr Haus jetzt quasi nicht mehr verlassen.
„Fehler meines Lebens“90-Jährige fürchtet, in ihrem Haus in Gladbach eingesperrt zu werden
Irmintraut Fuchs weint viel, ist verzweifelt und sucht nach Hilfe. Sie ist 90 Jahre alt und in ihrem Haus praktisch eingesperrt. Ihre Geschichte ist die eines unglaublich eskalierten Nachbarschaftsstreits mit einem gerichtlichen Urteil, das, wenn auch in der juristischen Logik nachvollziehbar, in der Realität geradezu absurd wirkt. Irmintraut Fuchs sitzt neben einem Kamin, der den Raum völlig überhitzt: „Es war der größte Fehler meines Lebens, in dieses Haus zu ziehen.“
Irmintraut Fuchs wohnt in einem kleinen Haus, idyllisch gelegen auf einem Bergrücken im Osten von Bergisch Gladbach. Umgeben von Wald und erreichbar nur über einen kleinen Weg, der durch eine verschachtelte Häuserkulisse führt. Ein Blick auf die Grundstückskarten lässt vermuten, dass hier jemand unter Drogen Grundstücksgrenzen gezogen hat. Nichts erscheint geordnet, ein Beispiel für Planer, wie es nicht sein soll.
Bergisch Gladbach: 90-Jährige wohnt am Ende einer Sackgasse
„Meinem Vater hat hier einmal alles Land gehört, und er hat dann stückweise fast alles verkauft“, erzählt Irmintraut Fuchs und zeigt ein altes Foto, wohl aus den 50ern des vergangenen Jahrhunderts. Auf dem Foto ist ein Holzhaus zu sehen. Es sieht wie ein Ferienhaus aus. Die Häuser, die dann auf dem Bergrücken gebaut wurden, sehen nicht wie Ferienhäuser aus. Eine kleine Siedlung entsteht. Früher führte ein kleines Sträßchen durch die Häuser hindurch, eine Art Kreisverkehr. Der Weg ist an einem Ende zugeschüttet und blockiert, Irmintraut Fuchs wohnt heute am Ende einer Sackgasse.
1998 ist sie von Stuttgart wieder auf das elterliche Grundstück in das kleine Haus gezogen. Und der Ärger begann - so erzählt es jedenfalls Irmintraut Fuchs. Streitereien mit dem Nachbarn, einem ganz speziellen Nachbarn, gehörten fortan zum Alltag. Zumindest in diesem Punkt herrscht Einigkeit bei allen Beteiligten. Der Rechtsanwalt des Nachbarn spricht von einer „jahrzehntelangen rechtswidrigen Nutzung fremden Eigentums“. Es ist der Weg, „dieser verfluchte Weg“ wie Irmintraut Fuchs es sagt, der ins Zentrum aller Streitigkeiten rückt.
Irmintraut Fuchs wohnt in dem Haus nicht allein. Ihr Sohn mit seinen zwei Kindern wohnt ebenfalls dort. Neben ihrem Haus gibt es noch ein weiteres Haus, in dem ihre Schwägerin lebt. Schriftlich teilt der Rechtsanwalt des Nachbarn mit, dass die „höchste Stufe der Eskalation“ erreicht wurde, als sein Mandant auf seinem eigenen Grundstück von einem Auto „zur Seite geschoben“ wurde. Die Aktion landet vor Gericht.
Wenn der Anwalt von dem „eigenen Grundstück“ schreibt, dann ist damit ein kleiner Fitzel Weg gemeint, der vor seiner Garage zum Grundstück von Irmintraut Fuchs verläuft. Aber wie klein dieses Stückchen Land auch ist, ohne diesen Fitzel ist das Haus nicht zu erreichen. Vor Gericht ging es dann eben um die Frage, ob der Nachbar ein Recht dazu habe, Durchgang und Durchfahrt ein für allemal zu verbieten. Und das Kölner Landgericht kam zu dem eindeutigen Ergebnis: Der Nachbar hat das Recht dazu.
Vor Gericht spielte es keine Rolle, ob Irmintraut Fuchs verzweifelt ist. Ob alle anderen Personen, die dort leben, nun durch den Wald gehen oder über einen Zaun klettern müssen. Vor Gericht ging es um die Frage, ob der Nachbar über sein Eigentum nach freiem Ermessen entscheiden kann – oder ob andere Rechte ihm im Weg stehen.
Wenn der Anwalt des Nachbarn von Schwarzbauten spricht, hat er Recht
Alle Geschichten über die Vergangenheit, über das Entstehen der Siedlung haben einen großen weißen Fleck: die fehlenden Baugenehmigungen. Vieles ist noch unklar, aber Fakt ist, dass es kein eingetragenes Wegerecht gibt. Damit aber nicht genug. Für das Haus von Irmintraut Fuchs gibt es auch keine Baugenehmigung. In dem gerichtlichen Verfahren teilte die Gladbacher Bauaufsichtsbehörde mit, dass die Gebäude dort nur geduldet werden. Wenn der Rechtsanwalt des Nachbarn von „Schwarzbauten“ schreibt, dann hat er Recht.
Die weitere juristisch Logik geht dann wie folgt: Wenn ein Gebäude ohne Genehmigung in der Landschaft steht, dann gibt es auch kein Recht darauf, dieses zu erreichen. Das Gericht führt aus, dass es zu Schwarzbauten auch kein „Notwegerecht“ gebe.
Dieses Notwegerecht war so etwas wie die letzte Hoffnung von Irmintraut Fuchs in der juristischen Auseinandersetzung. Schließlich wird ihr Schwarzbau ja immerhin „geduldet“. Kurz und bündig heißt es in dem Urteil: „Eine schlichte Duldung entfaltet ebenfalls keine Legalisierungswirkung.“
Für das Gericht ist 90-jährige Bergisch Gladbacherin „Störerin“
Jegliche Hinweise auf die jahrzehntelange Praxis der Zuwegung wurden in dem Urteil beiseite geschoben. Wenn es Eigentümer des Grundstücks anders gehandhabt hätten, sei das irrelevant. Entscheidend sei, was der Eigentümer heute mit seinem Eigentum zu tun gedenke. Für das Gericht sind Irmintraut Fuchs und alle anderen, die über das Grundstück des Nachbarn gehen „Störer“ - sie stören einen Grundstückseigentümer, seine Immobilie zu nutzen.
Zwar hat das Urteil noch keine Rechtskraft, aber gegen Zahlung von 6000 Euro Sicherheitsleistung wurde eine vorläufige Vollstreckbarkeit möglich gemacht. Der Nachbar zahlte umgehend diese 6000 Euro und baute einen massiven Zaun. Bei Eis und Schnee der vergangenen Woche saß Irmintraut Fuchs in ihrem Haus fest. In dem Urteil ist davon die Rede, dass auch über andere Wege das Haus zu erreichen sei - und der Neubau einer Privatstraße auch technisch möglich wäre.
Für eine 90 Jahre alte, gehbehinderte Frau war der Zaun praktisch nicht überwindbar – ebenso wenig wie der Gang durch den Wald oder die Kletterei über einen Zaun eine Möglichkeit waren, das Grundstück zu verlassen. Aber auch ihre Pflegekraft konnte Irmintraut Fuchs nicht mehr erreichen. Ohne eine dauerhafte Lösung für das Wegerecht wird die 90-Jährige dort nicht leben können.
Rechtsanwalt verneint einsperrenden Charakter des Zauns
Zwar verneint der Rechtsanwalt in einer Stellungnahme dieser Zeitung gegenüber den einsperrenden Charakter des Zauns, allerdings werden Zugeständnisse gemacht. Für die Zeit bis zum Eintritt der Rechtskraft des Urteils oder der Einlegung der Berufung wird zugestanden, das Grundstück von Irmintraut Fuchs wenigstens zu Fuß zu erreichen.
„Ausdrücklich ohne jedes Präjudiz und unter dem Vorbehalt, diese Verstöße, die täglich erfolgen, als sei kein Urteil in der Welt, mit dem im Urteil festgelegten Ordnungsgeld zu belegen.“
Irmintraut Fuchs weint viel, ist verzweifelt und sucht nach Hilfe. Sie hat den Rechtsanwalt gewechselt. Eine Berufung wird vorbereitet. Im Gespräch mit dieser Zeitung wird auf eine mögliche Neubewertung der Duldung der Gebäude der Stadt Bergisch Gladbach hingewiesen. Dann gebe es mutmaßlich Baugenehmigungen für Ausbauten an den grundsätzlich nicht genehmigten Häusern.
Paragrafen werden zitiert. Und dann taucht doch noch die wahrscheinlich entscheidende Frage auf: „Was zum Teufel ist dort auf dem Berg passiert, dass eine 90-Jährige so etwas erleben muss?“