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LebensmittelspendenDie Tafel ist für arme Menschen in Bergisch Gladbach der letzte Rettungsanker

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Der Helfer räumt eine Kiste mit Radieschen aus dem Regal.

Trägt die schweren Kisten zur Auslage: Der Syrer Ali ist „Nachleger“ am letzten Ausgabetag der Gladbacher Tafel vor Weihnachten.

Am letzten Ausgabetag der Tafel ist der Andrang groß. Es wird besonders deutlich, was es bedeutet arm zu sein – in einer reichen Stadt wie Bergisch Gladbach.

Die Schlange ist lang. Alte und Junge, Männer und Frauen, die Arme auf Trolleys gestützt, manche mit Kindern im Kinderwagen oder an der Hand. Die Leute stehen am Samstag im Regen in einem Hof an der Kalkstraße an, um bei der Tafel einzukaufen. An Weihnachten wird es besonders deutlich, was es bedeutet arm zu sein – in einer reichen Stadt wie Bergisch Gladbach, die bei der Lebensqualität einen Spitzenplatz einnimmt.

Am letzten Ausgabetag der Bergisch Gladbacher Tafel vor Weihnachten und Silvester ist der Andrang besonders groß. Mehr als 200 Kundinnen und Kunden werden gezählt. Zu vielen, die kommen, müssen weitere Personen dazugerechnet werden. Eine Frau gibt beispielsweise am Empfang an, sie habe sechs Kinder.

Die Menschen warten vor der Lebensmittelausgabe, bis sie dran sind.

Der Andrang bei der Tafel am Samstag ist groß. Aber keiner geht mit leeren Händen nach Hause.

Andreas H. (Name geändert) bleiben vom Bürgergeld nach Abzug aller Fixkosten höchstens 70 Euro pro Woche zum Leben übrig. Er habe sich arbeitssuchend gemeldet, habe aber bisher nur Absagen für seine Bewerbungen als Betreuungsassistent erhalten. „An Weihnachten trifft einen das Gefühl, abgehängt zu sein, besonders hart“, sagt der 49-Jährige.

Er könne es sich ja noch nicht einmal leisten, einen Kaffee trinken zu gehen. Was es bei ihm an Heiligabend zu essen geben wird, könne er noch nicht sagen. „Ich gucke, was da ist, und mache etwas daraus.“ Für Weihnachtsstimmung reicht das kaum – in diesen Tagen, an denen Geschenke und Festessen für viele selbstverständlich sind.

„Leider sind die Regale heute nicht so gut gefüllt“, sagt Karsten, ehrenamtlicher Mitarbeiter. Wie seine Mitstreiter belässt er es beim Vornamen. Die Schere gehe immer weiter auseinander: „Es werden mehr Kunden, wir erhalten weniger Ware“, stellt er fest. Seit Corona disponierten die Supermärkte knapper, sodass sie weniger abgeben könnten. Diese Tendenz beobachte das Tafel-Team schon seit Längerem. Mit einem Blick erkennt Karsten: „Wir werden heute das Brot rationieren müssen, damit für jeden etwas da ist.“

Der Helfer hält eine Kiste mit Bananen in den Händen.

Das Angebot an Bananen ist diesmal besonders groß, freut sich Helfer Karsten. Die Anzahl der Bedürftigen ist in den vergangenen Jahren gestiegen.

Dafür sind viel mehr Bananen da als sonst, im Sortierraum stapeln sich die Kisten zu hohen Türmen. Außerdem gibt es einige besondere Angebote, über die sich die Tafelgäste besonders freuen, weil sie sie sich sonst nicht leisten können: Blumensträuße, Baumkuchen, Kuchenglasur und Glückskekse. Auch Tomaten, Spinat, Rosenkohl und Paprika können heute großzügig ausgegeben werden.

Um vier Sortiertische stehen acht Helferinnen und Helfer, die Gemüse und Obst genau unter die Lupe nehmen. Was angedötscht ist, wird weggeworfen. Ziel ist es, nur qualitativ einwandfreie Lebensmittel, die im Wirtschaftsprozess nicht mehr verwendet werden, an Obdachlose, Arbeitslose, Rentner und Geringverdiener – darunter sind viele Alleinerziehende und Migranten - weiterzugeben. Sie alle kommen nicht mehr über die Runden. Die Tafel ist für sie der letzte Rettungsanker.

Die Menschen stehen hintereinander und warten vor der Eingangstür.

Die Schlange am letzten Ausgabetag in diesem Jahr ist lang. Mehr als 200 Kundinnen und Kunden werden gezählt.

„Ein großer Anteil unserer Kunden, etwa 20 Prozent, sind Kinder und Jugendliche“, berichtet Markus Kerckhoff, stellvertretender Vorsitzender des Tafel-Vereins. Er steht am Eingang, prüft die Berechtigungsscheine und sammelt von jedem den symbolischen Beitrag von 2 Euro ein. Viele Menschen seien bedürftig, weil sie über wenig Bildung verfügten oder über keine Anleitung, wie sie sie erhalten könnten.

Die Dunkelziffer der tatsächlich bedürftigen Rentner sei vermutlich sehr hoch. „Vor allem alte Menschen empfinden eine große Scham, uns um Hilfe zu bitten“, sagt Kerckhoff. Deshalb kooperiert der Tafelverein mit der Kirche, deren Mitarbeiter Rentnern Lebensmittelpakete nach Hause bringen, damit Bekannte nichts merken: „Armut wird in unserer Gesellschaft als Makel empfunden“, meint Kerckhoff. Dabei ginge es nicht nur ums Essen. „Die Einsamkeit, das Gefühl, von der Gesellschaft ausgegrenzt zu werden, wiegt genauso schwer.“

Die beiden Männer stehen zwischen Kisten und Regalen mit Gemüse.

Tarik (l.) und Jürgen, sind Kunden der Bergisch Gladbacher Tafel und arbeiten dort ehrenamtlich.

Unermüdlich füllt Ali die Regale nach. Er ist heute „Nachleger“ und trägt die Nachschub-Kisten aus dem Sortierraum zur Ausgabe. Das ist richtige Knochenarbeit. Am Ende des Tages wird er mehrere hundert Kilo transportiert haben. „Dafür, was Deutschland für uns getan hat, werde ich ein Leben lang dankbar sein“, sagt Ali. Er stammt aus Syrien und lebt seit drei Jahren mit seiner Frau und den drei Kindern in Bergisch Gladbach: „Ich bin sehr froh, dass ich dem Land mit meinen Einsätzen bei der Tafel etwas zurückgeben kann.“

Seine Kollegin Barbara beobachtet die Schlange vor dem Eingang. „Noch 30“, ruft sie laut in die Halle, damit Ali weiß, wie viele Produkte wie Joghurt, Pudding, Käse, Wurst er aus dem Kühlraum holen und wie viele Kisten Obst und Gemüse in der Auslage gebraucht werden. Damit es kein Gedränge gibt, kommen die Leute, aufgeteilt in feste Gruppen, zu unterschiedlichen Zeitpunkten.

„Man sucht sich Armut ja nicht aus, das kann jedem passieren“, betont Tarik (50), „man braucht ja nur seine Arbeit zu verlieren oder krank werden.“ Tarik ist wie Jürgen Kunde der Tafel und ehrenamtlicher Helfer. „Alles ist so teuer geworden“, sagt Jürgen (64). Die Tafel, eigentlich gedacht, um Menschen mit schmalem Geldbeutel zu unterstützen, sei für viele existenziell geworden. Beide wollen, solange sie können, sich hier weiter einbringen: Tarik, als einer der vielen Fahrer, die die Waren aus den Geschäften abholen, und Jürgen als Teamleiter.

Mitten durch das Getümmel bahnt sich jetzt Ella Zelinski einen Weg. Die 23-Jährige interessiert sich dafür, ihren Bundesfreiwilligendienst bei der Gladbacher Tafel zu leisten. „Durch meine ehrenamtliche Arbeit in der Suppenküche, bin ich mir bewusst geworden, dass ich eine soziale Ader habe“, berichtet sie.

Eine gute Nachricht für das Tafel-Team. „Junge Leute tun unserem Team sehr gut“, freut sich Kerckhoff über die Bewerberin. Besonders im Fahrdienst würden sie gebraucht, wenn die Kisten in die Wagen getragen müssten. Außerdem profitierten die jungen von den älteren Mitarbeitern und umgekehrt.

Die Tafel sei 2007 angetreten, um gegen die Spaltung in Arm und Reich etwas zu tun, indem armen Menschen geholfen werde. „Erreicht haben wir nichts. Das Problem ist größer geworden“, sagt Kerckhoff. Er wünscht sich eins: „Die Armen dürfen nicht vergessen werden, in dieser Zeit mit so vielen Problemen. Das ist das Wichtigste.“


Der Tafel-Verein

Als die Bergisch Gladbacher Tafel 2007 zum ersten Mal aufmachte, versorgte sie rund 180 Haushalte, heute kommen wöchentlich bis zu 494 Haushalte mit bis zu 1100 Personen, um Lebensmittel abzuholen. Die Tafel ist zum Seismografen für Veränderungen in der Gesellschaft geworden.

6878 Haushalte mit insgesamt 13.930 Personen haben einen Kundenausweis für die Tafel erhalten. Es gibt wöchentlich drei Ausgabetage: Dienstags und samstags in der Kalkstraße in der Innenstadt(Bergisch Gladbach) und donnerstags in der Reginharstraße in Bensberg. Die Lebensmittel werden von 30 Geschäften und einem Lebensmittelhersteller gespendet.

Das ehrenamtliche Team besteht aus 120 Mitarbeitern, die durchschnittlich zwölf Stunden im Monat arbeiten, einige von ihnen sind auch Kunden. Außerdem sind bis zu sieben Bundesfreiwillige im Einsatz.

Zudem freut sich das Team immer über neue Helfer und finanzielle Unterstützung. Die Bergisch Gladbacher Tafel finanziert sich ausschließlich durch Mitgliedsbeiträge, Spenden und die zwei Euro, die jeder Haushalt für jede Abgabe bezahlt. (ub)