„Die Vernachlässigten“Ehemaliger Gladbacher Schülersprecher veröffentlicht Buch

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Eine vernachlässigte Generation? Schüler und Schülerinnen während der Pandemie. (Symbolbild)

Bergisch Gladbach – Der Schülervertreter aus Bergisch Gladbach kritisiert in seiner Streitschrift über die Situation der Schülerinnen und Schüler, wie Schule und Politik versagt haben – mit zum Teil persönlichen Erlebnissen aus seiner Schulzeit in Bergisch Gladbach.

Für wen haben Sie das Buch geschrieben? Für Gleichaltrige, damit sie Trost finden?

Schramm: Ich habe das Buch vor allem zum Wachrütteln geschrieben. Viele der Missstände in der deutschen Bildung sind uns allen bekannt, wir haben sie über die Jahre einfach akzeptieren gelernt. Ich möchte mit diesem Buch alle erreichen, die anpacken wollen: Lehrer, Eltern, Schüler sowie schlussendlich die Politik.

Was empfinden Sie persönlich als besonders schlimm?

Dario Schramm.

Beim Schreiben haben mich besonders die Themen Armut und Chancengleichheit mitgenommen. Eine Zahl ist einfach für mich unbegreiflich: 2,8 Millionen Kinder und Jugendliche leben in Deutschland in Armut. Wohlgemerkt in der Wirtschaftsnation Deutschland. Das ist ein Zustand, der allen Bildungspolitikern schlaflose Nächte bereiten sollte.

Sie beschreiben die Angst der Abiturienten vor schlechten Abschlüssen. Ist Ihre Generation auch auf dem Arbeitsmarkt die „Generation der Vernachlässigten“?

Viele junge Menschen konnten aufgrund der Pandemie kein Praktikum absolvieren oder mal einen Tag an einer Universität ins Studium hineinschnuppern. Berufs- und Studienorientierung fanden in den letzten Jahren so gut wie nicht statt. Das halte ich für sehr gefährlich. Zudem mangelt es enorm an Ausbildungsplätzen. Die Situation nach der Schule ist aktuell für junge Leute nicht wirklich rosig.

Viele Schüler fallen in der Pandemie durchs Raster. Das ist ein weiterer Hauptkritikpunkt. Haben Sie das auch in Ihrem Umfeld so erlebt?

Ich kenne einige Fälle von Kindern, die schlichtweg verschwunden sind. Viele stillere Schüler sind besonders in der Zeit des Homeschoolings einfach durchs Raster gefallen. Mir machen aktuell aber vor allem die Langzeitfolgen Sorge. Viele junge Menschen kämpfen mit psychischen Folgen. Therapieplätze sind maßlos überlaufen. Daher ist es für mich nicht nachvollziehbar, warum man den Einstieg in Psychologie und ähnliche Studiengänge nicht endlich erleichtert. Der Mangel an Fachkräften kann nur so behoben werden.

Aber Sie geben den Lehrern nicht die Schuld, dass das Homeschooling oft nicht klappte?

Mein Buch soll keine Wutschrift auf die Lehrerinnen und Lehrer sein, die in den letzten Jahren wirklich Außerordentliches geleistet haben. Sicherlich gab es den ein oder anderen, der besonders mit den technischen Dingen etwas überfordert war. Das lag aber nur selten am Lehrer selber, sondern viel mehr an fehlender Fort- und Weiterbildung.

Schulgebäude erinnern Sie eher an Gefängnisse als an Orte des Lernens. Welche Beispiele aus Ihrer eigenen Schulzeit in der Gesamtschule Paffrath fallen Ihnen als erstes ein?

Das klingt womöglich banal, aber stellen Sie sich vor, sie kommen als junger Mensch fünf Mal die Woche in ein Gebäude das gefängnisartig umzäunt ist. Schule muss offener gestaltet werden – nicht nur außerhalb des Gebäudes. Junge Menschen brauchen Freiräume und nicht 30 Tische in Reih und Glied und das tagtäglich für neun Stunden. Das kann nicht die Bildung von Morgen sein.

Was müsste passieren, um die Modernisierung zu beschleunigen?

Wir müssen bereit sein, Schule in den Grundpfeilern anzugehen. Schulgebäude müssen einladender werden und die Technik auf einen aktuellen Stand kommen. Hierfür braucht es deutlich einfachere Wege, damit die Schulträger bei Land und Bund finanzielle Mittel abrufen können.

Sie kritisieren, dass der Protest der Bundesschülerkonferenz in der Pandemie-Krise nicht gehört wurde. Was muss sich ändern?

Zur Person

Dario Schramm (21) war bis Frühjahr 2021 Schulsprecher und Abiturient an der Integrierten Gesamtschule Paffrath sowie bis Herbst 2021 Sprecher der Bundesschülerkonferenz. Heute studiert er in Frankfurt/Oder Recht und Politik.

Im Februar 2022 ist Dario Schramms Buch „Die Vernachlässigten. Generation Corona: Wie uns Schule und Politik im Stich lassen“ erschienen. Droemer Knaur Verlag, 14 Euro, ISBN: 978-3426278888.

Die Bundesschülerkonferenz wurde genau wie die Eltern und Lehrerverbände immer erst nach einer Entscheidung in politische Gespräche eingebunden. Das ist ein grundlegend falscher Ansatz. Die Praxisvertreter müssen endlich vor einer und nicht nach einer Entscheidung mit an den Tisch geholt werden.

Hat sich die Situation jetzt, wo die Schulen wieder offen sind, entspannt?

Ich bin sehr froh, dass Schulschließungen in weiter Ferne liegen. Was wir aktuell erleben, ist aber ebenso alarmierend. Wir haben mehrere Hunderttausend neue Covid-19-Fälle täglich, darunter viele Schüler und Lehrer. Die Klassen sind wirklich ordentlich leer. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Schule aktuell „normal“ stattfinden kann. Wenn wir jetzt noch die ukrainischen Kinder mit einrechnen, kommt da wieder eine ganz neue Herausforderung auf die Schulen zu.

Wie sind die Reaktionen ihrer Gladbacher Mitschüler oder früheren Lehrer auf Ihr Buch?

Bis jetzt habe ich durchweg positive Rückmeldungen erhalten. Lehrer, die sagen „endlich“ spricht jemand das Thema an. Oder ehemalige Mitschüler, die mir berichten, wie sehr sie ihre eigene Zeit dort wiedersehen. Das macht Mut, weiter anzupacken und Dinge zu verändern.

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Sie stellen Ihr Buch gerade in Buchhandlungen vor. Wird es auch einen Termin in Bergisch Gladbach geben?

Aktuell sind noch keine Lesungen in der Heimat geplant, gerade befinde ich mich auf einer Tour durch Deutschland und würde mich natürlich freuen, mal in der Heimat lesen zu dürfen!

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