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MigrationGeflüchtetes Ehepaar erzählt Geschichte der mühevollen Integration in Bergisch Gladbach

Lesezeit 5 Minuten
Das Ehepaar steht vor einem abstrakten Bild, das an der Wand hängt.

Amed Gharib schreibt gerade seine Doktorarbeit. Seine Frau Raz hat auch einen Job: Das Ehepaar ist angekommen in Bergisch Gladbach.

Die Eheleute sind aus dem Irak geflohen. Heute schreibt Amed Gharib seine Doktorarbeit. Eine außergewöhnliche Geschichte über Integration.

Vor sieben Jahren sind Raz und Amed Gharib aus dem Irak geflohen und landeten in einer Unterkunft in Kürten. Heute sprechen die Eheleute fließend Deutsch, haben beide eine gut bezahlte Arbeit und sogar eine Wohnung in Bergisch Gladbach gefunden. Amed schreibt gerade seine Doktorarbeit an der Uni Düsseldorf im Fach Philosophie. Es ist eine unvergleichliche Geschichte über Mühe und Integration. Aber auch darüber, dass man zurück ins Leben finden kann, obwohl man dachte, es geht nicht mehr weiter.

„Manchmal sind wir selbst überrascht darüber, dass wir es überhaupt geschafft haben“, sagt Amed Gharib. Das Ehepaar stammt aus Sulaimaniyya im Irak, eine der größten Städte der Autonomen Region Kurdistan. Raz (38) hat Kunst studiert und arbeitete als Lehrerin an einem Gymnasium. Amed (35) hatte eine Anstellung als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der philosophischen Fakultät der Universität in seiner Heimatstadt.

Sieben Tage zusammengekauert auf einem Boot

Über den Grund ihrer Flucht möchten die Eheleute nicht sprechen, um die Sicherheit der Familie in der Heimat nicht zu gefährden. Amed Gharib sagt nur: „Für freidenkende Menschen ist das Leben dort schwer.“

„Wir sind mit dem Rucksack aufgebrochen und blieben zwei Monate in der Türkei“, berichtet seine Frau Raz. Von dort ging es weiter in einem vollbesetzten Frachtboot sieben Tage lang über das Mittelmeer nach Italien, mit 90 Menschen an Bord, zusammengepfercht im Schiffsbauch: „Es war so eng, dass alle nur zusammengekrümmt auf dem Boden hocken konnten.“

Wir hatten Ziele und haben so viel Zeit verloren
Amed Gharib. Geflüchteter

Zwei Menschen starben unter diesen Bedingungen. Am Ende musste die italienische Seenotrettung die Besatzung wegen eines Lecks vor dem Ertrinken retten. „Erst im Rückblick uns bewusst geworden, dass wir Überlebende sind“, sagt Amed Gharib.

Über mehrere Stationen in Deutschland landeten die beiden schließlich im November 2017, nachdem ihr Antrag auf Asyl anerkannt worden war, in der Unterkunft in Kürten. Und dann passierte erst einmal gar nichts. Die Neuankömmlinge warteten sieben Monate auf ihren ersten Deutschkurs, ein weiteres halbes Jahr ging ins Land, bis sie am zweiten teilnehmen durften. Im Nachhinein sei dies immer noch ein Schock. „Wir hatten Ziele und haben so viel Zeit verloren“, bedauert Amed Gharib.

Großer Dank geht an die Helfer vom Fluchtpunkt Kürten

In dieser Zeit seien sich die beiden vorgekommen, „wie ein Gegenstand in einem Raum, dessen Aufgabe es ist, zu warten, zu warten, zu warten, jeden Tag.“ Der Stillstand sei für beide Seiten nicht gut, kritisiert Amed, nicht für die Geflüchteten und nicht für die Kommunen, denn sie bezahlten die Geflüchteten fürs Nichtstun.

Umso größer ist der Dank der Gharibs an die ehrenamtlichen Helfer der Initiative Fluchtpunkt: „Sie haben diese Lücke ausgeglichen.“ Mit ihren vielen sportlichen und kreativen Angeboten, mit ihren Sprachkursen und ihren Ideen haben sie uns eine Orientierung gegeben. „Wir hatten Glück, dass wir sehr nette Menschen kennengelernt haben, die uns das Gefühl gegeben haben: Wir gehören dazu. So wussten wir, wir müssen weitermachen.“

Die Neuankömmlinge halfen bei der Tafel mit

Gleich an ihrem ersten Tag in Kürten haben sie im internationalen Café Leute kennengelernt. Und um selbst etwas Sinnvolles zu tun, halfen die beiden Geflüchteten später bei der Essensausgabe der Kürtener Tafel mit. So sind Freundschaften entstanden, die bis heute bestehen. Und wenn die Eheleute über ihre kleine Wohnung sprechen, die sie nach jahrelanger Suche Ende 2021 in der Gladbacher Innenstadt gefunden haben, dann klingt es, als könnten sie ihr Glück immer noch nicht fassen.

„Ich bewundere die beiden für ihre Geduld, so lange und beharrlich ihre Ziele zu verfolgen“, sagt Wegbegleiter Willi Broich von der Initiative Fluchtpunkt. Ganz am Anfang ist er mit seinen Schützlingen zur Uni Köln zur Beratungsstelle für ausländische Studenten gefahren. Es sei ernüchternd gewesen, zu erfahren, was alles zu tun ist, um hier studieren zu können, erinnert er sich.

Raz Gharib fand Stelle im Caritas-Kindergarten

Raz Gahrib musste beispielsweise zwei Jahre lang darauf warten, bis ihr Studienabschluss als Lehrerin für Kunst anerkannt wurde. Aber, dass sie wieder vor eine Klasse stehen wird, ist trotzdem nicht möglich. In Deutschland benötige man für Lehramt zwei Fächer, bedauert die 38-Jährige.

Stattdessen fand sie 2021 eine befristete Stelle in einem Caritas-Kindergarten in Bergisch Gladbach als Inklusions-Begleiterin. Im Oktober hat sie eine neue Stelle angetreten als pädagogische Betreuerin in einer Wohngruppe des DRK in Köln für unbegleitete minderjährige geflüchtete Mädchen.

Amed Gharib promoviert an der Universität Düsseldorf

Ihrem Mann gelang es nach vielen Absagen, 2020 einen Studienplatz an der Uni Düsseldorf zu bekommen, um den Masterabschluss in Philosophie zu absolvieren. Und aktuell verwirklicht er seinen großen Traum: „Ich promoviere zum Thema Flüchtlingsbegriff. Es geht um die Frage, was bedeutet es, ein Flüchtling zu sein“, erzählt er.

Außerdem hat der 35-Jährige eine halbe Stelle als Sozialarbeiter in der DRK-Flüchtlingsunterkunft in Lückerath: „Es macht mir sehr viel Freude, dass ich den Menschen helfen kann.“ Er wünsche sich, dass er für sie auch eine Hoffnung darstelle, als jemand, der es geschafft habe. In den Gesichtern der Bewohner könne man ablesen, dass sie einen wesentlichen Teil ihres Lebens verloren haben. Erst da sei es ihm so richtig bewusst geworden: „So geht es uns auch.“

Eine dieser Wunden ist, dass Raz und Amed Gharib nie wieder ihre Heimatstadt im Irak besuchen können. Wenn Raz Gharib von den Telefonaten mit ihrer Mutter berichtet, bricht die Anstrengung durch, die sie hinter sich hat und die Traurigkeit, ihr Zuhause verloren zu haben. Man spürt, sie trägt ihre Heimat immer im Herzen, auch wenn sie nicht dort sein darf. Amed kann die Frage nicht beantworten, ob er Deutschland eines Tages als Heimat ansehen kann: „Aber vielleicht kommt dieses Gefühl eines Tages.“


Amed Gharib stellt Roman vor

Amed Gharib hat auch einen Roman geschrieben, eine Fluchtgeschichte. Zusammen mit seinem Lektor, Kai Kreuzfeldt vom Fluchtpunkt Kürten, liest er Passagen vor: Beim Begegnungsfest Fluchtpunkt, Sonntag, 10. November, Gesamtschule Kürten, Olpener Straße 4, 13.30 bis 17 Uhr.