Keine Kirmes ohne BreakdanceGladbacher Innenstadt in Teenager-Paradies verwandelt
Bergisch Gladbach – Wenn die rosarote Zuckerwatte mit Kölsch runtergespült wird und ein maues Bauchgefühl nach dem Schleudergang auf „Breakdance“ entsteht, dann ist es wieder soweit: Die Gladbacher Pfingstkirmes bringt die Stadt zum Beben. Doch was wird heute unter „Spaßhaben“ verstanden? Was hat sich im Laufe der Zeit verändert, und welche alten Traditionen haben noch ihren Bestand? Davon erzählen Gladbacher und Ortsnachbarn auf der diesjährigen Pfingstkirmes.
Die lauten Sprüche der Kirmesansager sind nicht zu überhören: Die gute Laune schwingt mit, auch wenn sich die Stimmen aus den Lautsprechern etwas näselnd anhören. Mit jedem weiteren Schritt in Richtung Konrad-Adenauer-Platz wird auch die Musik eindringlicher und der Geruch von Bratwürsten und gebrannten Mandeln steigt in die Nase. Wohin man schaut, blinken Leuchtelemente und die warmen Sonnenstrahlen animieren zum Rundgang. Die Musiken aus den Boxen der nah beieinanderstehenden Fahrgeschäfte mischen sich, bilden eine abstruse Komposition aus unterschiedlichen Popmusikstücken.
Adrenalin statt Flirt
Aber was lockt die Jugendlichen hierher? „Breakdance, Autoscooter, Frisbee“, sagen fast einhellig vier junge Mädchen. An Flirten denken die 14-Jährigen eher weniger, vielmehr gehe es ihnen um den Adrenalinstoß. So geht es auch anderen Jugendlichen: „Heute gehe ich auf den Autoscooter, beim nächsten Mal dann auf Breakdance und vielleicht noch Frisbee“, so die Pläne der 18-jährigen Dana Auduljaj. Sie ist eine von 15 Jugendlichen zwischen 13 und 18 Jahren, die sich zum Auftakt des Festes treffen, um „Spaß zu haben, den Kick zu suchen und abzuschalten.“
Kirmes im Wandel der Zeit: vom Absatzmarkt zum Vergnügungspark
Jahrmärkte gehörten im Mittelalter zu den wichtigsten Ereignissen einer Stadt – vor allem in punkto Wirtschaft. Einmal jährlich versammelten sich Stadtbürger und Ortsnachbarn zum Feiern, Tratschen und zum Handeln. Denn neben Musikern, Wahrsagern und Gauklern, die für den Spaßfaktor zuständig waren, kamen regelmäßig Fernkaufleute zu den Volksfesten und eröffneten so dem örtlichen Handwerk eine Absatzchance. Das machte auch eine örtliche Spezialisierung der Waren möglich. So erhielten Tücher, Töpfe und Schmiedewaren ihre ortstypischen Merkmale.
Im Laufe der Zeit wurde aus den Jahrmärkten immer mehr ein Vergnügungspark. Der Viehhandel entwickelt sich zum Imbissstand, Musikanlagen ersetzten den Flötenspieler und bunte und schnelle Fahrgeschäfte sorgen nun für den Spaßfaktor, für den einst die Gaukler zuständig waren. Als die Kirmes als Nachfolgerin des Jahrmarktes vor über 175 Jahren auch nach Bergisch Gladbach kam, sah das Volksfest noch ganz anders aus. Elektronische Fahrgeschäfte waren noch nicht erfunden und für den Spaßfaktor mussten Pferdekarusselle erstmal genügen.
Im 19. Jahrhundert war dann die Jahrmarktorgel die automatisierte Musikbegleitung, die häufig an den inzwischen etablierten elektrischen Karussells angebracht war. Nach der Kriegszeit nahm die Kirmes, ähnlich wie der Karneval, eine besondere Rolle ein. Die Menschen hatten wieder Lust am gesellschaftlichen Leben. Die Kirmes wurde ein Ort zum Kennenlernen. Und das ist bis heute so geblieben. (kas)
Am ersten Kirmestag ist jedoch zuerst „Abhängen“ angesagt. „Flirten ist nur für manche ein Thema“, erzählt Auduljaj. Dabei war das Kennenlernen für Jugendliche vor rund 50 Jahren einer der zentralen Anreize, zur Kirmes zu kommen: „Flirten war für uns damals Standard“, erinnert sich Heinz Golenia (68). Die Veränderungen der Zeit sind ihm nicht entgangen. „Heute ist alles schneller, größer und bunter geworden“, sagt der Kürtener.
Und auch das Ehepaar Lenges genießt das Fest, obwohl beide durchaus einige Unterschiede bemerken: „Früher war alles auf jeden Fall billiger“, lacht Manfred Lenges. „Und man hat viele Leute gekannt. Heute ist mir noch keiner über den Weg gelaufen, den ich grüßen konnte“, wundert sich der 73-Jährige. Das Ehepaar Lenges genießt den traditionellen Kirmesgang trotzdem: „Wir treffen uns jetzt mit unseren Freunden und trinken ein Bierchen.“
Und Alkohol scheint auch bei Jugendlichen eine Rolle zu spielen, das weiß Justin Daubenberger. „In Gladbach gehen viele Jugendliche auf die Kirmes, um zu trinken, manche betrinken sich auch. Die treffen sich dann alle beim Breakdance“, erzählt der 17-Jährige. Nickend stimmt ihm seine Freundin Alexandra Persicke zu. Die 17-Jährigen möchten sich davon distanzieren: „Wir trinken später vielleicht ein Radler, aber harten Alkohol mögen wir nicht“, so Persicke. Flirten war aus diesem Grund für die beiden auch vor ihrer Beziehung kein Thema, denn: „Wenn die Mädels betrunken sind, dann verliert man das Interesse an ihnen“, findet Daubenberger.
Alkohol für die einen, Zuckerwatte für die anderen. „Ich bekomme von meinen Eltern 30 Euro für die Kirmes“, sagt die 16-jährige Melina Kaya. Ähnlich ist es bei ihren vier Freundinnen. Hier und da werden zwar auch dreistellige Summen genannt. Die meisten Jugendlichen berichten jedoch von Kirmesgeld in einer Höhe zwischen 30 und 40 Euro.
Und das wird auch komplett ausgegeben: für eine herzhafte Mahlzeit, einen süßen Nachtisch, etwas zum Anstoßen und vor allem für die Fahrgeschäfte. Und als es langsam dunkel wird und Breakdance, Frisbee und Co. schließen, wird deutlich: Auch wenn sich vieles im Wandel der Zeit verändert hat – was wahrscheinlich immer Bestand einer Kirmes sein wird, ist die Gemeinschaft. Denn bei einem sind sich fast alle Befragten einig: „Ohne Freunde geht man nicht auf die Kirmes.“