Außerordentlich milde hat das Jugendgericht über einen Mehrfachräuber aus Bergisch Gladbach entschieden. Doch war der Fall außergewöhnlich.
JugendgerichtStatt acht Jahren Haft Verwarnung für jungen Räuber aus Bergisch Gladbach
16 Monate nach der Tat hat sich ein Räuber vor Gericht verantworten müssen, der gemeinsam mit drei Komplizen im Januar 2023 einen 62-jährigen Odenthaler Zuhause überfallen hat, um dessen vermeintlich sehr hohen Bargeldvorräte zu erbeuten. Morgens um 7.20 Uhr klingelten drei Täter, gaben vor, eine Autopanne zu haben und baten, sein Telefon benutzen zu dürfen.
Als der Odenthaler die Tür schließen wollte, um sein Telefon zu holen, schlugen die Täter auf ihn ein und schossen mit einer Schreckschusspistole. Dem Mann gelang es, die Tür wieder zu schließen; die Polizei kam den Tätern unter anderem über ein Blitzerfoto auf die Spur.
20-jähriger Gladbacher musste sich wegen drei Taten vor Gericht verantworten
Der Überfall in Odenthal ist nur eine von drei Taten, deretwegen sich an diesem Donnerstag ein 20-jähriger Gladbacher vor Gericht verantworten muss. Ein weiterer schwerer Raub in Köln ist dabei und eine gefährliche Körperverletzung in Grevenbroich. Jedoch ist im Fall von Patrick W. (Name geändert) alles unglaublich untypisch – so sehr, dass schließlich sogar die Staatsanwältin eine Verwarnung statt Haft fordert.
Eine Verwarnung plus 1100 Euro Schmerzensgeld für die Opfer und drei handschriftliche Entschuldigungsschreiben – das sind am Ende auch die Sanktionen für den jungen Mann, der inzwischen von Bergisch Gladbach in die Schweiz zu seinem Vater gezogen ist. Um die Milde zu verstehen, muss man mehr über den getrennt von seinen Komplizen verurteilten Patrick wissen.
Verteidiger Yannick Börter fängt bei der Geburt an: Von Anfang an scheint der Knabe dem Tode geweiht. Er leidet an Lymphdrüsenkrebs, direkt an der Halsschlagader. Mit drei wird er zum ersten Mal operiert. Es folgen Chemotherapien und Bestrahlungen, immer wieder, in der Schule wird der Junge als „Alien“ gehänselt. „Wo andere Kinder Spielplätze entdeckten, lernte er die Kliniken in Aachen, Köln und Düsseldorf kennen“, sagt der Anwalt. Der Junge leidet so stark unter Schmerzen, dass er eine Schmerztherapie macht.
Er lässt sich mit den falschen Leuten ein
Die dauert statt drei Wochen zweieinhalb Monate. Nachdem sich sein Zustand zu stabilisieren scheint, meldet sich der Krebs zurück. Wegen der Nähe zur Halsschlagader habe er außerdem gute Chancen auf einen Schlaganfall. „Das hat ihm völlig den Boden unter den Füßen weggezogen“, sagt der Anwalt.
Patrick, bis dahin völlig unauffällig, denkt sich „Egal, was ich mache, ich gehe eh drauf“. Er lässt sich mit den falschen Leuten ein, „Lebensversagern“. In kürzester Zeit kommt es zu drei schweren Straftaten, für die Patrick nach Erwachsenenstrafrecht wohl sechs bis acht Jahre Haft bekommen hätte, wie Richter Ertan Güven sagt.
Feuerwerksverkäufer in Köln-Niehl ausgeraubt
Am 26. Oktober schlägt der junge Mann mit Komplizen in Grevenbroich einen Kumpel zusammen. Am 21. Dezember 2022 überfallen Patrick und Kumpane in Köln-Niehl einen Feuerwerksverkäufer, rauben Feuerwerk, 20 Euro, ein Handy. Am 31. Januar 2023 folgt der Überfall in Odenthal, bei dem Patrick Schmiere steht.
Danach ist wieder Funkstille. Patrick kommt zur Besinnung, stellt nichts mehr an – und beschließt, keine weiteren Therapieversuche mehr zu unternehmen. Bei der Abwägung des Gerichts, ob Patrick „schädliche Neigung“ habe, kommt ihm die Zeit zwischen dritter Tat und Prozess zugute.
In seiner Begründung weist Richter Güven darauf hin, dass im Jugendrecht „Erziehungsstrafrecht“ gelte, nicht Bestrafungsstrafrecht. Für Patrick spreche unter anderem, dass er nicht „rumgeeiert“ habe. Für die Opfer sei es andererseits „egal, ob der Täter 16,18 oder 40 Jahre alt ist“. Ein persönlicher und handgeschriebener Entschuldigungsbrief könne ihnen aber helfen, die Tat zu bewältigen.