AboAbonnieren

200 Jahre PapierfabrikKölner Künstlerin erinnert an die Geschichte von Zanders

Lesezeit 4 Minuten
Künstlerin Iris Stephan.

Bei ihrer Spurensuche auf dem Zanders-Gelände stößt Künstlerin Iris Stephan auf Überbleibsel des Industriebetriebs und verarbeitet sie zu Materialcollagen und Skulpturen.

Iris Stephan geht auf Schatzsuche auf dem Zanders-Areal in Bergich Gladbach. Und macht daraus Kunst.

Rostige Maschinenteile, Schrauben, Fragmente von Dokumenten und Vorhängen und Schilder – Künstlerin Iris Stephan hat ihr Material gefunden: Fundstücke der Industriegeschichte. Sie sucht sie überall auf dem Zanders-Areal zusammen, wo auch immer sie sie herbekommen kann: Übrig gebliebene Reste der fast 200 Jahre alten Papierfabrik Zanders, die der Refratherin als Inspiration für ihre Materialcollagen und Skulpturen dienen.

Zanders-Gelände. Künstlerin Iris Stephan. Gesammeltes

Überbleibsel, die Künstlerin Iris Stephan auf dem Zanders-Gelände gefunden hat.

„Ich bin verliebt in das Gelände“, schwärmt Iris Stephan. Bei ihrer Schatzsuche stöbert sie in den dunkelsten und schmutzigsten Ecken der Industriebrache. Alles ist wichtig, auch das kleinste Fitzelchen, um gerettet zu werden vor der Entsorgung. Immer wieder entdeckt sie Details, die sonst für niemanden mehr einen Wert haben: wie ein Stückchen Siebgewebe der Papiermaschine 3, dem einstigen Herzstück der Papierfabrik. Das Fitzelchen lag da auf dem Boden der jetzt leeren riesigen Halle wie überflüssig – einst Bestandteil wertschöpfender Arbeit und jetzt nur noch Müll in einem Zustand zwischen Abbruch und Aufbruch. Iris Stephans Lager füllt sich immer mehr.

„Vollkommen verrückte Sachen“ auf Zanders Gelände gefunden

Wer den Raum in der ersten Etage der früheren Walzenschleiferei betritt, wird sofort in die Welt des Industriebetriebs hineingesogen, fast erschlagen von der Üppigkeit der Überbleibsel: Darunter sind „vollkommen verrückte Sachen“, erzählt die Künstlerin. Kassetten mit türkischen Liedern aus den 1960er Jahren. Messgeräte, um die Zähigkeit von Flüssigkeiten zu messen. Augenduschen, um im Verletzungsfall schnell handeln zu können. Noch originalverpackte Dichtungsringe in verschiedenen Größen. „Sogar Molche habe ich auf einem Streifzug entdeckt“, grinst Iris Stephan.

Gemeint sind natürlich nicht die Amphibien. Stattdessen hält sie ein Gerät aus braunem Hartplastik in der Hand mit Drahtbürsten-Aufsatz zur Reinigung von Durchflussleitungen. Der Molch, „ich liebe solche Begriffe“, sagt sie, wurde dazu benutzt, um Leitungen von Farbresten zu reinigen. Das hat sie sich erklären lassen – von Frank Detering , einem ehemaligen Zandrianer. Die Zukunft lässt sich nur gewinnen, wenn man was über die Vergangenheit weiß. Deshalb hat sie sich ein Papiermacher-Handbuch besorgt, um die Prozesse zu verstehen. Die Künstlerin sichtet auch das Archiv der Zanders-Stiftung mit 2500 Fotos.

Dabei ist sie auf ein Foto aus den 1950er Jahren gestoßen, aufgenommen im Sortiersaal: Eine Arbeiterin im weißen Kittel steht vor einer Feinwaage und kontrolliert, ob die Stärke des Papiers stimmt. „Verborgen unter einer Plane habe ich exakt diese Waage gefunden“, berichtet Iris Stephan, begeistert über diesen Zufall. Bei ihrer Spurensuche hat die Refrather Künstlerin oft Sophie Korst von der Projektgruppe Zanders an ihrer Seite: „Es ist die Chance, Bergisch Gladbach eine Altstadt zurückzugeben.“ Die Projektgruppe lege großen Wert darauf, das Erbe der Papierfabrik zu dokumentieren und als festen Bestandteil in die Gestaltung des neuen Quartiers einfließen zu lassen.

Der künstlerische Blickwinkel trage dazu bei, gute wie nicht so gute Erinnerungen zu bewahren, sagt Korst, „ohne zu verklären und gleichzeitig die Vorfreude auf das Neue zu wecken, das entsteht.“ Ihre Kostbarkeiten verarbeitet Iris Stephan zu Material- und Fotocollagen – abstrakt und realistisch – und kreiert skulpturale Objekte. Die Aufschriften alter Schilder wie „Außer Betrieb“, „Vorsicht Säure“ oder die Reifenabdrücke eines Abbruchbaggers überträgt sie als Frottagen auf Papier. Für diese Oberflächenreliefs benutzt sie zum Abpausen Original-Kohlestücke, die sie noch im Kohlekraftwerk aufgelesen hat. Die Grafiken wie auch die Collagen ergänzt und verfremdet sie durch ihre Fundstücke.

Kölner Künstlerin schafft emotionalen Zugang

Die Überbleibsel werden zu Protagonisten in neuen Geschichten: Ein Schwarz-Weiß-Foto in Großformat zeigt die alte Zentralküche, wo viel Technik und Chemie im Einsatz war. Oben montiert Stephan ein altes Messgerät und unten an den Rand ein Koch-Foto aus den 50er-Jahren. Auf diese humorvolle Art der Künstlerin, Dinge zusammenzubringen, die nichts miteinander zu tun haben, trifft man bei vielen Werken. Es gelingt ihr, einen emotionalen Zugang und neue Sichtweisen zu schaffen. Verwertet werden dabei auch die oberen Regalbleche von zehn Spindschränken, in denen die Arbeiter früher ihre Sachen gelagert haben.

Jetzt sind sie Bestandteil einer Serie. Eines der Bleche wurde zu einer Collage mit der jungen Maria Zanders im Hochzeitskleid vor dem Hintergrund der alten Kläranlage. „Mein Ziel ist es, nicht nur das Vermächtnis der Papierproduktion, sondern auch den Transformationsprozess zu dokumentieren“, sagt Iris Stephan. Am Ende dieser Forschungsreise sollen einige ihrer großformatige Materialcollagen sogenannte „Unorte“ wie etwa verwitterte Eingangstore neu gestalten.

Über die Künstlerin

Iris Stephan (54) studierte Bildhauerei und Malerei sowie Kunst im Dialog in Bonn. Sie lebt in Refrath und hat ihr Atelier am Barbarossaplatz in Köln. Gefördert durch die Stiftung Kunstfonds bezog sie im Oktober 2022 ihr temporäres Atelier auf dem Zanders-Areal. Einen ersten Eindruck ihrer Arbeit können Interessierte am 10. September, Tag es offenen Denkmals, gewinnen, kündigt die Stadt an. In einem multimedialen Blog (https://zanders-kunst.blogspot.com) gibt Iris Stephan Einblicke in ihr Atelier und den Schaffensprozess sowie in die Erinnerungen der alten Zandrianer, die die Künstlerin mit ihrem Wissen und ihrer Ortskenntnis unterstützen. (ub)