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Gebäude wird DiscounterBergisch Gladbacher Suchtberatung sucht neue Bleibe

Lesezeit 5 Minuten

Die Fachdienstleiterin Lydia Heup und Peter Thölen von der Suchtberatung suchen Räume in ähnlicher Lage, wenn das Gebäude an der Bensberger Straße 190 in Heidkamp im Herbst einem Neubau weichen soll.

Bergisch Gladbach – Lydia Heup und ihr Team schätzen die Hintertür. Nicht für sich, sondern für ihre Klienten. Für sie und ihre Angehörigen ist der Eingang neben dem Supermarktparkplatz auf der Rückseite des früheren Molkereiareals schräg gegenüber der Heidkamper Kirche vielfach ein sicherer Hafen, um ihr Leben, das Zusammenleben in der Familie zu stabilisieren, in den Griff zu bekommen. Doch der Hafen ist gefährdet. Denn die Suchtberatung der Caritas Rhein-Berg von Fachdienstleiterin Lydia Heup und ihren 13 Mitarbeitern ist bedroht.

„Das Haus wird abgerissen, hier kommt ein Aldi hin“, sagt Lydia Heup, „bis September müssen wir hier raus – und haben leider bislang noch keine neue Bleibe gefunden.“ Dabei sind die Beratung, Gesprächsgruppen und sportliche Angebote der Suchtberatung insbesondere in Krisenzeiten wie der aktuellen nötiger denn je – und hat die Arbeit der Sozialpädagogen, Sozialarbeiter und Suchtberater nur noch wenig mit dem zu tun, wie sich viele Menschen eine solche Anlaufstelle immer noch vorstellen.

Mehr als 3600 Gespräche in 2020

Mehr als 3600 Einzelgespräche haben die Mitarbeitenden der Suchtberatung im vergangenen Jahr geführt, 16 Prozent mehr als im Jahr davor. 61 Prozent der Klienten in 852 Beratungsprozessen seien Neuzugänge gewesen, ein Großteil Angehörige von Suchtkranken, berichtet Lydia Heup. „Für viele war Corona noch mal ein Brennglas, durch das sie gesehen haben, wie sehr ein Angehöriger in der Sucht verhaftet ist.“

Dabei merkt man das vielen Klienten auf den ersten Blick gar nicht an. „Vor 20 Jahren war noch jeder zweite unserer Klienten opioidabhängig“, erinnert sich Ldyia Heup, die seit vielen Jahren in der Suchthilfe tätig ist und die Leitung der Caritas-Suchtberatung im vergangenen Frühjahr übernommen hat. „Heute sind nur noch 18 Prozent unserer Klienten opioidabhängig“, sagt Lydia Heup. Stattdessen komme ein Großteil „aus der Mitte der Gesellschaft“.

Den Suchtberatern ist eine Küche wie in ihrem jetzigen Gebäude sehr wichtig.

Allein 44 Prozent seien alkoholabhängig. „Zu uns kommen Menschen aus einem ganz normalen Querschnitt der Gesellschaft“, sagt die Fachdienstleiterin der Suchtberatung der Caritas Rhein-Berg. „Da unterscheiden wir uns nicht von einer Hausarztpraxis“, ergänzt ihr Kollege Peter Thölen.

Großer Gruppenraum hilft der Suchtberatung

Den notwendigen Umzug möchte das Team der Caritas-Suchtberatung auch für eine Neuaufstellung nutzen. Niederschwellige Angebote für Suchtkranke gebe es heutzutage in der Innenstadt von Bergisch Gladbach von einer Reihe neuer Initiativen, in denen teilweise auch Caritas-Mitarbeitende eingebunden sind.

„Wir wollen uns noch stärker in Richtung tagesstrukturierender Angebote entwickeln – auch für Menschen, die Abstand nehmen wollen von der Straße“, sagt Lydia Heup. „Dabei werden wir in Kooperationen mit der Stadt und anderen Initiativen natürlich auch dort präsent sein.“

So sei das „Café au lait“, das sich – zwar derzeit coronabedingt noch geschlossen – im Erdgeschoss des aktuellen Standorts an der Bensberger Straße 190 in Heidkamp befindet, kein unbedingtes Muss für die neue Immobilie. „Wenn sich die Möglichkeit böte, wäre es natürlich schön“, sagt Lydia Heup.

Noch wichtiger wären ihr und ihren Kollegen allerdings ein großer Gruppenraum, am liebsten mit Küche, für die Gruppenangebote der Beratungsstelle. Fast an jedem Tag in der Woche treffen sich außerhalb des Lockdowns Therapie- und Beratungsgruppen in der Beratungsstelle. In Sportstätten gibt es zudem Volleyball- und Fitnessgruppen in Kooperation mit der Turnerschaft Bergisch Gladbach.

Gemeinsame Treffen geben Halt

„Der Halt in der Gruppe, das gemeinsame Treffen und aktiv sein, spielt eine große Rolle“, sagt Peter Thölen, der im Projekt „Bewegung ist Belebung“ auch eine Reihe von Sportgruppen leitet, zudem jedes Jahr Freizeittouren und Bergfreizeiten für Klienten anbietet. Zudem gibt es andere strukturierende Angebote.

Im Lockdown suchten die Berater zudem nach pandemiekonformen Alternativen. „Zurzeit mache ich eine Online-Vorbereitung für Angelprüfungen.“

Lockdown, Kurzarbeit, zurückgeworfen sein auf sich selbst – was viele Menschen im vergangenen Jahr an den Rand der Verzweiflung brachte, hat eine Reihe der Klienten der Suchtberatung aufgerüttelt. „Wir haben selten so viele Anträge für eine stationäre Therapie geschrieben“, berichtet Lydia Heup von einer gestiegenen Zahl an Suchtkranken, die den von außen auferlegten Stillstand genutzt haben, um ihr Leben jetzt grundlegend zu ändern und mit Hilfe einer Therapie wieder besser in den Griff zu bekommen. „Für manche hat das Corona-Jahr durchaus etwas Positives gehabt“, sagt Lydia Heup. Die Nachsorge übernimmt dann wieder die Suchtberatung, begleitet die Betroffenen oft über Jahre.

Die Pandemie habe auch für viele andere Menschen den Blick auf Sucht geschärft, haben die Berater festgestellt. Deutlich mehr Menschen hätten Abwechslung vom Lockdown mit Hilfe von Alkohol gesucht. Dabei fange problematischer Konsum laut Deutscher Hauptstelle für Suchtfragen heute viel früher an. Galt noch vor 20 Jahren der Konsum von 60 bis 80 Gramm Alkohol pro Tag als problematisch, so liege die Grenze heute schon bei 20 Gramm drei bis viermal pro Woche, so Lydia Heup.

Auch darum ist die Arbeit der Suchtberatung als Anlaufstelle heute wichtiger denn je – wenn sie denn nur bald eine neue Bleibe findet.

Auf der Suche nach neuen Räumen

Rund 350 bis 400 Quadratmeter Fläche für Büros und Gruppenraum sucht der Fachdienst Suchtberatung der Caritas Rhein-Berg mit 14 Mitarbeitern inklusive Verwaltung zum nächstmöglichen Termin. „Gerne auch zweite Reihe“, beschreibt Fachdienstleiterin Lydia Heup die gesuchte Lage.

Eine gute Verkehrs- und ÖPNV-Anbindung wäre wichtig für die Erreichbarkeit, aber auch ein Zugang nicht unbedingt auf dem Präsentierteller für die Klienten, zu denen neben Suchtkranken auch immer mehr Angehörige zählen. Ein zusätzliches Ladenlokal für das bestehende „Café au lait“ wäre schön, aber nicht Voraussetzung für den neuen Standort, an dem die Suchtberatung noch stärker tagesstrukturierende Angebote für Betroffene anbieten möchte.

„Ein Gruppenraum, am liebsten mit angeschlossener Küche, in der man gemeinsam kochen kann, wäre daher sehr gut“, sagt Lydia Heup. Wer eine entsprechende Immobilie vermieten kann oder kennt, kann sich bei der Fachdienstleiterin unter (0 22 02) 1008-201 oder per E-Mail an l.heup@caritas-rheinberg.de melden.