Auto, Fahrrad, BahnVorschläge für umfassende Verkehrswende in Bergisch Gladbach
Bergisch Gladbach – Diese 108 Seiten sind eine Radikalkur für den Autoverkehr in Bergisch Gladbach. So entscheidend anders wie von den Planern des Hamburger Büros „Orange Edge“ (Orange Ecke) ist nie Autoverkehr in der Kreisstadt gedacht worden.
Die „Alternative Verkehrsuntersuchung Innenstadt“, die am Dienstag vorgestellt wird im Ausschuss für Stadtentwicklung und Mobilität, könnte das Zeug haben, die Dinge grundlegend zu verändern. Das 2016 veröffentlichte Mobilitätskonzept (Mobik) der Stadt mit seinen Vorschlägen für Rad- und Umweltspuren ist ein laues Lüftchen. „Orange Edge“ legt einen Orkan vor. Über ihn wird in nächsten Wochen von Verwaltung, Politik und Bürgerschaft zu reden sein. Es ist ein Mobik 2.0.
Tausende Autos weniger in Bergisch Gladbach
Auslöser der Untersuchung war im vergangenen Jahr die Frage, wie der Verkehr die Gleise der S-Bahnlinie künftig über- oder unterquert. Eine neue Straße ab der Unterführung Buchholzstraße ist der Ansatz, wie auch immer sie später einmal aussieht.
Mit einem umfassenden, vertieften Mobilitätsmanagement soll ein Mobilitätsmix gelingen. Zu lesen ist die Handschrift der Ampelkoalition und des grünen Beigeordneten Ragnar Migenda, bei konsequenter Umsetzung aller (!) Maßnahmen soll sich der Pkw-Verkehr in den Spitzenstunden um 25 Prozent verringern, bei 50 Prozent Umsetzung um 15 Prozent. Tausende Autos soll es weniger geben, obwohl das Zanders-Quartier mit vielleicht 2000 Wohnungen kommt. Halbe Sachen soll es nicht geben. „Nur in der Summe aller Maßnahmen entsteht die notwendige Wirkung“, sagen die Planer. Eine „Roadmap“, einen Zeitplan zur Umsetzung, gibt es auch.
Fahrgemeinschaften, Homeoffice, Elterntaxis
Er reicht bis 2024/2025. Langes Zuwarten gibt es nicht: Initiierungsphase 2021/22, Pilotphase 2022/23, Konsolidierung und Weiterentwicklung 2023/24 und von der Stadtmitte aus Ausweitung aufs gesamte Stadtgebiet 2024/25. Bergisch Gladbach ist schon mitten im Prozess. Die Planer sehen dringenden Handlungsbedarf: Aktuell dominiere der motorisierte Individualverkehr (Pkw, Motorräder) mit 60 Prozent aller Fahrten, auch bei kurzen Strecken bis drei Kilometern sei dies so.
Zum Nachlesen
Die Beratung „Orange Edge“
Die Verkehrsstudie von „Orange Edge – Integrierte Stadt- und Verkehrsplanung Hamburg“ ist öffentlich, sie kann eingesehen werden. Dazu muss über die Internetseite www.bergischgladbach.de der Unterpunkt „Ratsinformationssystem“ ausgewählt und anschließend die Sitzung des Ausschusses für strategische Stadtentwicklung und Mobilität angeklickt werden. Die Beratung findet im öffentlichen Teil Ö10 statt – am Dienstag ab 17 Uhr im Ratssaal Bensberg.
Die Stadt schlägt der Politik vor, einen Prüfauftrag für die Umsetzung der Maßnahmen zu erteilen. Ergebnisse sollen in einer der folgenden Ausschusssitzungen vorgestellt werden. In der Sitzung geht es auch um weitere Kernthemen des Innenstadtverkehrs: Radschnellweg Bahndamm, Schließung Bahnübergang Tannenbergstraße, Bahnüberführung Buchholzstraße und eine neue Straße zur innerstädtischen Verkehrsentlastung (Umfahrung Hauptstraße).
Vorsitzender des Stadtentwicklungsausschusses (21 Mitglieder) ist Dr. Josef Cramer (Grüne). Die Sitzverteilung: Grüne 6, SPD 4, FDP 1 (als Ampel 11), CDU 7, Bürgerpartei 1, Freie Wählergemeinschaft 1, AfD 1.
Einige Beispiele aus dem Mobilitätsprogramm, stichpunktartig: Fahrgemeinschaften. Taktverdichtung im ÖPNV. Viel mehr Homeoffice. Radabstellanlagen in Hochhäusern. Lastenrad-Verleih. Veränderte Arbeitszeiten. Unterschiedlicher Schulbeginn zum Ausbremsen der Elterntaxis. Flexible Kitaöffnungszeiten. Flexible Ladenöffnungszeiten.
Überführung Buchholzstraße und Bahndamm
Preiserhöhung bei Parktickets. Jobtickets als Abkehr vom kostenfreien Betriebsparkplatz. Ein übergreifendes Mobilitätsbündnis aller entscheidenden Akteure soll kommen. Bündelweise geben die Planer Vorschläge in die Runde. Alles ist für sie vorstellbar, um eine Mobilitätswende zu erreichen, Denkverbote gibt es nicht.
Die Politik soll am Dienstag der Verwaltung einen Prüfauftrag auf Umsetzbarkeit geben. „Leitidee Mobilitätswerke“ steht als Überschrift über dem Projekt. Es ist kein Hügel, den die Gladbacher erklimmen sollen, sondern ein Zentralmassiv. Der Ausbau der Überführung Buchholzstraße und die Radschnellwege auf dem Bahndamm und nach Köln (Radpendlerroute) sind drei der Kernmaßnahmen. Aber es gibt noch mehr.
„Biketown Paffrath“ in Planung
Zum Beispiel die Radstadt Paffrath – „Biketown Paffrath“. Der Stadtteil soll Pilotprojekt für die Verkehrswende werden. Radwege sollen intensiv ausgebaut werden, Nachbarn Carsharing machen, Bike-and-ride-Stationen an den S-Bahnhöfen Stadtmitte und Duckterath entstehen.
Eine Anbindung von Paffrath an den Radschnellweg nach Köln soll das Radeln interessant machen. Mietertickets als Rabatt-Abos im Nahverkehr sollen von Wohnungseigentümern zur Verfügung gestellt werden, auch als Kompensation zu geforderten Stellplätzen – statt Parkplatz am Haus gibt es ein Nahverkehrsticket. Vor allem junge Paffrather sollen spüren, dass sie an ihrem Wohnort das Auto nicht benötigen. Das ist die Vision für Paffrath.
Kostenloses Parken im Straßenraum einschränken
Für das neue Wohnquartier Steinbüchel-Gelände an der Kalkstraße (Quartier „13“, 168 Wohneinheiten, fertiggestellt 2022) soll das Motto lauten: „Leben ohne Zweitwagen“. Bei exakt einem nachzuweisenden Stellplatz pro Wohnung würden Zweitwagen auf der Straße parken, so die Planer. Keine Lösung. Es soll keine Zweitwagen geben.
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Acht Plätze fürs Carsharing, zwei bis drei Lastenräder und umfassende Radabstellanlagen soll es im neuen Quartier geben. Auch das kostenlose Parken im Straßenraum soll hier eingeschränkt werden, empfehlen die Planer. Für alle Steinbüchel-Bewohner wird ein Mobilpaket vorgeschlagen, um umweltschädliche CO2 -Emissionen zu senken.
Anfangs werde es auch Misserfolge geben beim „Mobilitätswerk“ für Bergisch Gladbach, meinen die Planer. Aber daraus sollte gelernt und die nächsten Maßnahmen entwickelt werden.