Nervenkrankheit ALSBergisch Gladbacher auf unzähligen Wartelisten für Intensivpflege
- Sechs Stunden am Tag soll der Pfleger Siegmund Drothen unterstützen
- Im Januar bekam er die Diagnose ALS
- Als letzten Wunsch möchte der Bensberger ein Spiel vom 1. FC Köln besuchen
Bergisch Gladbach – Vor ein paar Tagen hätte der Intensivpfleger das erste Mal ins Haus kommen sollen. Aber daraus wurde nichts.„Alles war schon abgesprochen“, sagt Siegmund Drothen, 64. Das Sprechen fällt ihm schwer, die unheilbare Nervenkrankheit ALS ist bei ihm in einem fortgeschrittenen Stadium.
Einige wenige Worte schafft er, dann muss ihm seine Frau das Beatmungsgerät wieder aufsetzen. Drothen ist auf den Rollstuhl angewiesen, Beine und Arme kann er wegen der Muskelschwäche nicht mehr bewegen.
Müssen auf der Warteliste warten
Die Intensivpflege hätte vor allem seine Ehefrau entlasten sollen, die die meiste Arbeit in der Betreuung erledigt. „Es gibt Krankheitsstände bei dem Pflegedienst. Das ist die Auskunft, die ich später bekommen habe“, sagt Brunhilde Claaßen. „Dann habe ich gefragt, ob die Intensivpflege im Dezember beginnen könnte. Nein, da seien auch die Mitarbeiter erkrankt.“ Und auch im Januar gebe es keine Chance wegen der Erkrankungen.
Bei weiteren Anbietern haben sich die beiden ebenfalls auf Wartelisten setzen lassen. Eine realistische Chance, angenommen zu werden, gebe es aber nicht. „So hat man es uns überall gesagt.“ Einen Intensivpflegedienst aus Solingen habe sie noch nicht angerufen. „Aber wir wohnen in Bensberg sehr weit entfernt von Solingen. Das wird kaum klappen.“
Ehefrau ist erschöpft
Sechs Stunden am Tag hätte der Pfleger Siegmund Drothen unterstützen sollen. Das Beatmungsgerät muss bei ihm alle paar Minuten auf die Leistung der geschwächten Lunge eingestellt werden. Wenn der 64-Jährige sprechen möchte, muss ihm ein Helfer die Sauerstoffmaske absetzen. Diese Arbeit übernimmt jetzt weiter die Ehefrau. „Bald sind auch meine Kräfte aufgezehrt“, sagt die 66-Jährige. Sie ist selbstständig als Beraterin für Berufsbegleitung, vieles verlagert sie ins Home-Office.
„Wir fühlen uns so allein. Die Gesellschaft ist auf diese Krankheit nicht eingestellt“, sagt Brunhilde Claaßen. Gesprächs- und Beratungsangebote gebe es sehr zahlreich, von Verbänden, Einrichtungen und Ämtern. Aber konkrete Hilfen seien für ihre Situation kaum vorhanden. Der Pflegenotstand sei jetzt bei ihnen angekommen. „Auch in Krankenhäusern und Heimen werden Mitarbeiter gesucht, das weiß ich“, sagt die Ehefrau. Was sie ärgert, ist der tägliche Kampf mit Vordrucken und Anträgen. Das verschlinge Zeit, die ihr für ihren Mann fehle. „Genießen Sie die Zeit, die ihnen noch bleibt’, hat ein Arzt zu uns gesagt.“ Aber die Sozialbürokratie lasse kaum Spielraum.
Jeder Tag eine Überraschung
Im Januar bekam der Bensberger die Diagnose ALS. Der Konstrukteur, der bei einer Firma im Oberbergischen in der Windradplanung arbeitete, leidet an einer schnell fortschreitenden Variante. „Jeder Tag ist anders und bringt Überraschungen für uns“, erzählt Brunhilde Claaßen. Hilfe braucht Siegmund Drothen mittlerweile für jeden Handgriff. Ohne seine Frau ist er hilflos.
Unterstützung kommt in die Wohnung, morgens ein Pfleger zum Waschen. „Schon dafür standen wir bei zwölf Pflegediensten auf der Warteliste“, berichtet die Ehefrau. Zum Glück habe es dann geklappt. Diese Pflegekraft könne aber nicht die Intensivpflege daheim übernehmen. Psychotherapeutische Begleitung und auch Besuche einer ehrenamtlichen Hospizhelferin unterstützen.
Eine Intensivpflege wird dringend benötigt
Alles gut, alles wichtig, findet das Ehepaar. Aber bei weitem nicht ausreichend als Stützen. Brunhilde Claaßen hat auch mit Ärzten und den Mitarbeitern der zuständigen Krankenkasse gesprochen. „Es geht nicht darum, wer schuld ist, überhaupt nicht. Die Gesellschaft muss sich dieses Problems bewusst sein.“ Die vorhandenen Netzwerke seien für ihre Situation nicht ausreichend. Medizinisch sehe es anders aus, die ALS-Ambulanz in Essen, Ableger der Berliner Charité, leiste sehr gute Arbeit.
Siegmund Drothen hat ein Anrecht auf eine 24-Stunden-Pflege. Ein Intensivpfleger könnte ihn rund um die Uhr betreuen. Brunhilde Claaßen hat es für sich anders eingerichtet: „Sechs Stunden am Tag reichen aus.“ Die übrige Zeit könne sie übernehmen. Stundenweise springen Kinder, Verwandte und Freunde ein, um der Ehefrau ein bisschen Entlastung zu geben. „Dann kann ich an einem Abend in der Woche zur Chorprobe gehen.“ Mehr Freiraum ist nicht möglich. Der Ehemann hat mittlerweile gelernt, einen Spezial-PC mit den Augen zu steuern, so gelingt auch die Kommunikation über den Internetdienst Whats-App. Das ist der einzige Weg nach draußen.
Das könnte Sie auch interessieren:
Letzte Wünsche gibt es. Einmal zur Nordsee oder ein Spiel vom 1. FC Köln besuchen. Dafür bräuchte der Patient aber vier Helfer, die ihn aus der Wohnung tragen. Drei Stufen fehlen in dem Mehrparteienhaus in der Wohnsiedlung am Königsforst zur Barrierefreiheit. Auch darum kämpft das Ehepaar. „Dann könnten wir auch in den Wald gehen“, sagt Siegmund Drothen. Aber es will nicht gelingen. Seit Januar ist er (abgesehen von den Arztbesuchen) nicht mehr vor die Tür gekommen. Auch das belastet.
Mit einem Netzwerk oder einer Selbsthilfegruppe könnten die ALS-Patienten mehr Aufmerksamkeit bekommen, meint Brunhilde Claaßen. Der Gladbacher Peter Spitzbart, über dessen Kampf um einen Behindertenparkplatz diese Zeitung berichtet hatte, hat das Ehepaar kürzlich besucht. Auch er ist an ALS erkrankt. Brunhilde Claaßen hat recherchiert: „Wir wissen von einem weiteren Gladbacher mit ALS. Und in Rösrath gibt es auch einen Patienten.“ Mehr Aufmerksamkeit für die ALS-Patienten: Das ist die Hoffnung, die Siegmund Drothen und Brunhilde Claaßen haben.