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Zurück ins Leben gehangeltWie das Klettern einer Bergisch Gladbacherin neuen Halt gibt

Lesezeit 4 Minuten
Ein Mensch klettert eine Kletterwand hoch.

In der inklusiven Kletterhalle in Bad Aibling klettern Menschen mit und ohne Behinderung.

Das Leben der Bergisch Gladbacherin hat sich zweimal für immer verändert.

„Vielleicht gibt es gar keine Worte dafür, was man fühlt, wenn man die Wand raufklettert“, sagt Katja Müller. Dann versucht sie es doch. Es mache den Kopf frei, und es sei ein großartiges Gefühl, aus der eigenen Komfortzone herauszukommen. „Sie sind ganz auf sich fokussiert“, sagt sie. „Sie vergessen alles, wirklich alles rundrum. Das kann süchtig machen.“

Ein Augenblick, der für die Bergisch Gladbacherin alles verändert

Es ist nur ein Augenblick, der Katja Müllers Leben für immer verändert, und er liegt 30 Jahren zurück: Als die damals 19-Jährige mit ihrem Motorrad auf der Sander Straße unterwegs ist, übersieht sie ein Autofahrer. Seither lebt sie mit künstlichen Gelenken, ihre Wirbelsäule erlaubt kaum mehr ein Vorbeugen, ein Bein und der Fuß sind steif. Immer wieder hat sie Operationen.

Durch das viele Humpeln verschleißen auch die gesunden Gelenke. „Am Anfang kompensiert der Körper das, aber es bedarf sehr viel Disziplin“, sagt sie. Ihr vernarbtes Bein erinnere sie manchmal noch an jenen Augenblick. „Aber ich habe inzwischen einen sehr guten Umgang damit gefunden.“

Herkenratherin treibt auch mit Einschränkungen Sport

Geboren und aufgewachsen ist Katja Müller in Herkenrath, ihre Ausbildung macht sie bei der Baumschule Becker in Refrath. „Als Landschaftsgärtnerin“, sagt sie. „Direkt am Gemüse.“ Es fehlen nur ein paar Wochen bis zum Abschluss der Ausbildung, als sie verunglückt. Sie beendet die Ausbildung dennoch, kann aber den Beruf nicht ausüben. Nach einer Umschulung zur biologisch-technischen Assistentin arbeitet sie bei Miltenyi Biotec in Moitzfeld – erst im Labor, später im SAP-Team.

Vier Jahre betreibt sie ab 2009 Para-Sport, fährt Rennrad, nimmt an Deutschen, Europa-, und Weltmeisterschaften teil und fährt bei „Rund um Köln“ bei den Amateuren mit. Dann lässt sich das Training zeitlich nicht mehr mit ihrem Vollzeitjob verbinden. 2013 braucht Katja Müller einen wie sie sagt „radikalen Tapetenwechsel“, und zieht ins bayerische Traunstein.

Die Herkenratherin Katja Müller (2. v.r.) sitzt neben der bayerischen Landtagspräsidentin Ilse Aigner bei der Eröffnung der Halle auf einer Bank vor einer Kletterwand.

Die Herkenratherin Katja Müller (2. v.r.) neben der bayerischen Landtagspräsidentin Ilse Aigner bei der Eröffnung der Kletterhalle.

Dort wird sie auf das therapeutische Klettern aufmerksam. Ihr Physiotherapeut habe gesagt: „Eigentlich sind Sie austherapiert. Aber versuchen Sie es mal mit Klettern.“ Sie versucht es – und der folgende Schnupperkurs wird ihr Leben nochmals verändern. Sie steigt in das Vereinsteam der höchst engagierten Ehrenamtler beim „Stützpunkt Inntal“ ein. „Ich bin dann ziemlich schnell im Vorstand gelandet“, sagt sie. „Mit Leib und Seele.“

Erste inklusive Kletterhalle Deutschlands

Doch bei den Kletterkursen in umliegende Hallen fehlt nicht nur die räumliche Barrierefreiheit. „Dort geht es oft nur um höher, schneller weiter. Da ist wenig Platz für die Menschen mit Handicap.“ Das bleibt nicht ohne Folgen im Verein: Im April dieses Jahres wird die lang gehegte Vision Wirklichkeit: In Bad Aibling eröffnet die erste inklusive Kletterhalle (nicht nur) für Menschen mit Behinderungen in Deutschland. Mit Fördermitteln, Spenden (auch aus Bergisch Gladbach) und einem Haufen ehrenamtlicher Arbeit baute der Verein über 2400 Quadratmeter Halle, bis zu 17 Meter hoch. Dazu ein Bistro, eine autarke Energieversorgung und eine Vielfalt an Kursen. Betrieben wird das alles von einer neu gegründeten gemeinnützigen GmbH und einer Energiegesellschaft, die Arbeitgeber für Menschen mit Behinderung ist.

Die erste Resonanz? „Super! Einfach schön! Die Leute strahlen und füllen die Halle mit so viel Liebe!“, sagt Katja Müller und ihr „mit Leib und Seele“ ist hör- und spürbar. Viele kämen zu den therapeutischen Kursen, ebenso viele privat; Anfänger, Leistungssportler, Familien, Menschen mit und ohne Behinderung. „Hier verbindet der Sport, keiner schaut, ob man ein Handicap hat“, sagt Katja Müller und fügt nach einer kurzen Pause hinzu. „Inklusion ist erst Inklusion, wenn man nicht mehr drüber spricht.“


Spezieller Trainerschein

Seit 2016 gibt es die noch junge Ausbildung „Trainer C Klettern für Menschen mit Behinderungen“.

Auch Katja Müller hat die Lizenz erworben. Zusätzliche Inhalte sind zum Beispiel medizinischen Grundlagen der verschiedenen Behinderungsgruppen sowie Kontraindikationen.

Der Trainer kann das Kletterangebot individuell auf die Art und Schwere der Behinderung anpassen und entsprechende Sicherungs- und Interventionstechniken anwenden.

„Das ist ein sehr breites Thema“, sagt Katja Müller und fügt hinzu: „Zum Beispiel kann es sinnvoll sein, die Klettergriffe anders zu schrauben, oder spezielle Gurte – zum Beispiel für den Brustkorb – zu verwenden. Querschnittsgelähmte müssen unbedingt Knieschoner anziehen.“ (kgr)


Vorbild für Deutschland

Seit November 2016 planten die Vereinsgründer Natascha und Achim Haug sowie Katja Müller, dem inklusiven Vereinsansatz mit einer eigenen Kletterhalle Nachdruck zu verleihen. Die Bauzeit dauerte elf Monate. Circa 6,5 Millionen Euro an Baukosten sind in das Herzensprojekt geflossen, das heute ein Team aus 24 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beschäftigt. In allen Bereichen von Küche und Bistro über Kasse und Service bis zum Kursgeschehen arbeiten Menschen mit Behinderung mit. „Es wird ein Leuchtturm werden, weit über Bad Aibling hinaus, weit über die Region hinaus“, sagte die bayrische Landtagspräsidentin Ilse Aigner in ihrer Eröffnungsrede. Gut möglich also, dass sich die Idee über Deutschland hinweg verwirklicht. Als Sektion des Deutschen Alpenvereins bestehen bereits gute Kontakte der Inntaler zur Sektion in Köln, die auch bei der Eröffnung vertreten war. (kgr)