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ErfahrungsberichtWarum Eltern ihre Kinder in der Refrather Förderschule anmelden

Lesezeit 4 Minuten

Szene in der Klasse 9 der Förder-Verbundschule Mitte-Nord in Refrath mit der Klassenlehrerin Sandra Ebbingbausen

Bergisch Gladbach – Regelschule oder Förderschule? Inklusion oder Sonderweg? Was ist besser für mein Kind? Wenn sich diese Frage stellt, ist die Ratlosigkeit und auch die Betroffenheit vieler Eltern groß. Besonders bei Kindern, die nicht wegen einer schwerwiegenden geistigen oder körperlichen Behinderung Probleme haben, im normalen Schulalltag klarzukommen, die sich aber dennoch nicht altersgemäß entwickeln, bleiben oft Zweifel. Kommen sie an einer „normalen“ Grundschule klar, können sie in einer Klasse mit 25 oder mehr Kindern ausreichend gefördert werden?

Spornt sie an, dass sie mit Kindern mithalten sollen, die scheinbar mühelos lernen, was ihnen so schwer fällt? Oder demotiviert dies zusätzlich, sackt das Selbstwertgefühl in den Keller, wachsen Frust und Verzweiflung? Einfache Antworten gibt es dafür nicht, und was für das eine Kind richtig ist, kann für das nächste falsch sein.

Die Zeit der Zweifel haben Anja Jung und Sandra Orth hinter sich. Sie wählten für ihre Kinder die Förderschule in Refrath. Für sie war es die richtige Entscheidung. Leichtgefallen ist ihnen dieser Schritt dennoch nicht.

Die Probleme fingen an, als Anja Jungs Zwillinge die erste Klasse der Grundschule besuchten. Bei beiden Mädchen wurde eine Leseschwäche festgestellt und sie mussten die erste Klasse wiederholen. „Als die anderen Schüler sie ein Jahr später wieder überholten, kam der Frust“, schildert die Mutter diese Zeit. Die Kinder wechselten an eine andere Schule, in der inklusiv unterrichtet wurde. „Aber auch dort haben sie dauernd die Erfahrung gemacht, anders zu sein“, berichtet Anja Jung, etwa, wenn sie andere Klassenarbeiten gestellt bekamen als der Rest der Klasse.

„Irgendwann kamen sie nach Hause und sagten: Wir sind dumm“, erinnert sich die Mutter. Die Situation habe die ganze Familie belastet. „Es war so schlimm, ich habe viel geweint“, bekennt sie. Es dauerte, bis der Entschluss reifte, die Kinder an der Förderschule anzumelden. „Das war kein leichter Schritt, aber wir haben gemerkt, wir müssen umdenken, um unseren Kindern zu helfen“, sagt Anja Jung. Doch schnell sei klar geworden, dass sie hier die Zeit bekommen würden, die sie für ihre Entwicklung so dringend brauchten. Kein leichter Schritt, aber offenbar der richtige: Heute haben die beiden sehr sportlichen Mädchen ihren Hauptschulabschluss in der Tasche und wechselten auf ein Berufskolleg.

Große Gruppen

Richtigen Leidensdruck entwickelte auch Sandra Orths Sohn. Schon im Kindergarten fiel auf, dass der heute Neunjährige noch Sprachprobleme hatte. „Ich war anfangs ganz für die Inklusion“, erinnert sie sich und schon im Kindergarten habe man viele logopädische Angebote genutzt. „Wir sind dann aber schnell wieder davon abgekommen, weil wir merkten, dass es unserem Sohn nicht gut tat“, sagt die Mutter heute rückblickend. „Die Gruppen waren zu groß, die Förderung dadurch zu gering.“

Damals habe man erstmals über eine Förderschule für sprachliche Entwicklung nachgedacht. Was man vorher eher als ausgrenzend empfunden habe, sei heute für sie kein Stigma mehr. „Ich erlebe hier ein hochmotiviertes Team und weiß, dass mein Sohn hier 100-prozentig richtig ist“, beteuert Sandra Orth.

Diese beiden Geschichten sind Erfolgsgeschichten, wenn auch ohne repräsentativen Charakter. „Es ist immer abhängig von den einzelnen Kindern“, sagt Michael Hoffmann, Schulleiter der Verbundschule Mitte-Nord, die früher Wilhelm-Wagener-Schule hieß. Sie ist eine Einrichtung mit dem Förderschwerpunkt Lernen, Emotionale und soziale Entwicklung. Es könne an jeder Schule klappen – und an jeder auch nicht. Letztlich sei es immer auch eine Frage der Ressourcen.

Das pädagogische Rezept der Förderschule? „Wir setzten an den Stärken an, nicht an den Schwächen“, so Hoffmann. Die dadurch erzielten Erfolgserlebnisse wirkten sich auf alle Bereiche aus, stärkten das Kind in seiner ganzen Persönlichkeit. Anders als bei körperlichen Handicaps kämen Schüler mit Lern- und Entwicklungsverzögerungen in der Regel sehr spät zur Förderschule - mit Frust und negativen Erfahrungen im Gepäck.