Bergisch Gladbach – Edward Snowden, Julian Assange und Albena Neschen sind Experten in Sachen Whistleblowing. Während die zwei Männer es zu weltweiter, wenn auch umstrittener Berühmtheit gebracht haben, weil sie geheime Daten der amerikanischen Regierung veröffentlichten, betrachtet Neschen das Phänomen lediglich – und zwar aus akademischer Sicht: Die einzige Professorin an der Fachhochschule der Wirtschaft (FHDW) in Bergisch Gladbach hat über Whistleblower (auf deutsch etwa: jemand, der zur Warnung in eine Trillerpfeife bläst) in Unternehmen geforscht.
Was in der deutschen Öffentlichkeit wenig bekannt ist: Führungskräfte vieler insbesondere amerikanischer Firmen rufen ihre Mitarbeiter schon länger offensiv dazu auf, brisante Informationen zu enthüllen. „Die Mitarbeiter sollen die Möglichkeit erhalten, Hinweise über beobachtetes Fehlverhalten ihrer Kollegen oder Abteilungsleiter innerhalb des Unternehmens an jemanden weiterzuleiten, der die Macht hat, dieses Fehlverhalten zu stoppen“, erklärt Neschen. Korruption, Geldwäsche, sexuelle Belästigung, Mobbing: Solche und andere Missstände können namentlich oder anonym gemeldet werden – die Mitarbeiter sollen in jedem Fall sicher sein können, nicht dafür bestraft zu werden.
Noch geringe Akzeptanz
Die Weitergabe brisanter Informationen kann über einen Briefkasten funktionieren, eine Hotline oder einen sogenannten „Compliance Manager“, vergleichbar mit einem Ombudsmann. „Das ist eine Person, die für alle Mitarbeiter ansprechbar ist, neutral agiert und unabhängig vom operativen Geschäft ist“, erklärt Neschen, die über Wirtschaftsethik an der Kölner Universität promoviert hat.
Dass das Whistleblowing hierzulande und überhaupt in Europa noch eher eine geringe Akzeptanz bei Firmen habe, liegt für sie daran, dass der Begriff negativ konnotiert sei: „Man denkt oft an die Vergangenheit“, sagt die 43-jährige gebürtige Bulgarierin, die als 21-Jährige mit einem Studien-Stipendium nach Deutschland kam.
Einen Beweis dafür sieht Neschen im Fall von Brigitte Heinisch, Altenpflegerin in einer Berliner Einrichtung. Heinisch war gekündigt worden, nachdem sie 2004 zunächst intern, dann durch eine Strafanzeige auf Missstände in ihrem Haus hingewiesen hatte. Sämtliche deutsche Gerichte bestätigten die Kündigung. Erst der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte schlug sich auf Heinrichs Seite. Er entschied, das Offenlegen von Missständen sei durch die Meinungsfreiheit gedeckt.
Psychologische Hürden
In Deutschland, sagt die Professorin, existiere noch immer nicht das Bewusstsein dafür, dass Hinweisgeber geschützt werden sollten, die aus ihrem ethischen Gewissen heraus handelten: „Die gesellschaftliche Wahrnehmung muss sich verändern“, fordert Neschen. Wie aber bringt ein Unternehmen seine Mitarbeiter dazu, Missstände auch zu melden? Allein ein prominent aufgehängter Briefkasten taugt wenig. Neschen hat darum untersucht, unter welchen Rahmenbedingungen Mitarbeiter am ehesten dazu bereit wären, Missstände zu melden, die psychologischen Hürden, die ein potenzieller Whistleblower überwinden muss.
Neschen befragte zahlreiche Mitarbeiter und Manager auf der mittleren Führungsebenne. Zudem führte sie Experimente unter Laborbedingungen durch, stellte Hunderten Probanden eine Problemstellung am Computer. Die Bereitschaft steige, Fehlverhalten zu melden, wenn unbeteiligte Dritte unter diesem Fehlverhalten leiden, sagt sie.
Besonders wichtig: das Kommunikationsverhalten der Chefs. Wer das Thema Whistleblowing unüberlegt kommuniziere, bewirke eher Angst und Misstrauen im Unternehmen, Furcht vor gegenseitiger Bespitzelung. Johnson Controls in Burscheid oder General Electrics in Solingen sind für Neschen Unternehmen, die ein „Compliance Management“ in der Region bereits umsetzen – wozu auch eine Selbstverpflichtung aller Mitarbeiter gehört, sich an bestimmte Regeln zu halten. Auch die Deutsche Bahn hat ein solches Management eingeführt.
Forschung in Harvard
Die Erkenntnis wachse, dass kein Unternehmen vor Fehlverhalten geschützt ist. „Es ist für eine Firma vorteilhafter, Probleme frühzeitig intern zu erfahren und daran zu arbeiten. Das ist viel besser, als schweren Schaden zu erleiden, wenn das Fehlverhalten später eventuell an die Öffentlichkeit dringt“, erklärt Albena Neschen.
Einer weiteren wirtschaftsethischen Frage widmet sich Neschen auch in ihrer neuesten Forschung zur geschlechterbezogenen Gerechtigkeit in der Wirtschaft. Ein Thema, von dem Albena Neschen unmittelbar selbst betroffen ist: „Ich fühle mich als einzige Frau immer ziemlich allein, wenn ich Gespräche in Führungsetagen von Unternehmen habe“, erklärt sie lachend. Ab Herbst wird sie Teil eines Forschungsprojekts an der renommierten Harvard-Universität in Amerika sein, in dessen Rahmen untersucht wird, wie Unternehmen auch jenseits einer Quote Anreize dazu erhalten können, mehr Frauen zu Chefinnen zu machen.
Der Aufenthalt in Harvard wird nicht nur beruflich, sondern auch privat eine Herausforderung für Neschen werden: Ihr Mann, ihre zwei Töchter und die Familien-Hündin werden in ihrer Heimat Odenthal bleiben, sie pendelt. Wie praktisch, dass Neschen die geschlechterbezogene Gerechtigkeit privat längst umgesetzt hat: „Meine Karriere war nur möglich, weil ich mir die Kindererziehung mit meinem Mann immer schon geteilt habe.“