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Fossilien in Paffrather KalkmuldeAls Bergisch Gladbach noch am Meer lag

Lesezeit 5 Minuten

Bei der Führung durch Landschaft und Geschichte der Fossiliensammlung präsentierte Silke Junixk eine Schnecke.

Bergisch Gladbach – Das Wetter am Wochenende lud die Bergisch Gladbacher Bürger zum Sonnenbaden ein. Strandsachen einpacken – und ab ans Meer. Geht nicht? Vor gut 400 Millionen Jahren wäre das kein Problem gewesen: Das Bergische Land lag zu dieser Zeit nämlich an der See. Von dieser erdgeschichtlichen Periode zeugt das Tal „Schlade“ zwischen Hebborn und Romaney, das geologisch der „Paffrather Kalkmulde“ zugeordnet wird. Dort kann man die Überreste eines urzeitlichen Riffs mit versteinerten Fossilien noch heute bestaunen.

Urzeitliche Fossilien – das ist Hans Martin Webers Spezialgebiet. Der promovierte Paläontologe und Geologe führte am Wochenende im Auftrag des Vereins „Landschaft und Geschichte“ geschichtsinteressierte Bürger durch die ehemalige Ur-Landschaft. Gleich zu Anfang gab es einen Crashkurs durch die frühe Erdgeschichte: Im Zeitalter des Devon (vor circa 360 bis 410 Millionen Jahren) bildeten das heutige Nordamerika, Teile Europas und das, was heute Sibirien ist, eine große Landmasse: den Old˗Red˗Kontinent, auch Laurussia genannt. Das frühe Bergische Land lag an der Südküste dieses Frühzeit-Kontinents und gleichzeitig am Äquator. Die Küstenlinie verlief ungefähr bei Lindlar, wo damals tropische Bedingungen herrschten. In dieser Zeit entwickelten sich dort die ersten Wälder: Die „Calamophyton“ genannten Bäume, die sich über Jahrmillionen aus Wasserpflanzen entwickelt hatten, bilden die Urmütter der heutigen Wälder. „Dafür ist Bergisch Gladbach weltberühmt“, schwärmt Weber.

Überreste von Panzerfischen

Doch das ist nicht das einzige, weswegen in der Paläontologie jeder Wissenschaftler das Bergische Land kennen sollte. Der 49-jährige Wissenschaftler hat ein paar Fossilien aus dem Fundus der Fossiliensammlung Bergisch Gladbach mitgebracht. Er deutet auf einen sandfarbenen Stein, in dem sich über die Jahre die Konturen des Skeletts eines Fisches eingebrannt haben: „Ctenurella gladbachensis“ heißt das ungefähr dreizehn Zentimeter lange Exemplar eines Panzerfisches. Weber hat an die 150 Präparationsschritte gebraucht, um das Panzerfisch-Fossil freizulegen. Das Besondere dabei: Das Fossil stammt aus einer Zeit, in der sich die Fischarten auf der Erde gerade zu entwickeln begannen.

1960 war die Gattung in Bergisch Gladbach das erste Mal beschrieben worden, daher trägt das Fossil stolz den Namen der Stadt. „Im Zeitalter des Devon hat sich in Bergisch Gladbach eine unglaublich artenreiche Fischfauna entwickelt“, erläutert Weber, „der Panzerfisch war quasi der ,Herrscher des Devon'.“ Das geschah zu einer Zeit, in der sich alle Fischarten rasant entwickelten. „Das Leben war am toben“, beschreibt der Paläontologe diese Zeit.

Leider schaffte der Panzerfisch den Sprung in die Neuzeit nicht, am Ende des devonischen Zeitalters starb er aus. Eine weitere Fischart, die am Bergisch Gladbacher Riff vorkam, allerdings schon: Der Quastenflosser legte eine eindrucksvolle Karriere hin. Er gilt als „Brückentier“, als Bindeglied zwischen Fisch und Amphibie. Die Nachfahren dieser Art gibt es heute noch: Zwischenzeitlich für ausgestorben erklärt, entdeckten Wissenschaftler ein Exemplar im Jahr 1938 vor der südafrikanischen Küste. Der Quastenflosser überlebte, in dem er sich veränderten Bedingungen anpasste: Der ehemalige Flachwasserbewohner hält sich mittlerweile in tieferen Gewässern auf.

Man benötigt einiges an Fantasie, um sich vorzustellen, dass der Waldweg, der sich durch das Tal der Schlade schlängelt, einmal am Meeresgrund gewesen sein soll. Doch ohne viel Mühe erkennt man in der Felskante, die sich auf der einen Seite imposant auftürmt, das Riff, in dessen Schutz sich vor Jahrmillionen der Artenreichtum entwickeln konnte.

Korallen und Schwämme gediehen prächtig

Doch nicht nur Fische gab es damals in Hülle und Fülle, auch Korallen und Schwämme gediehen hier prächtig. Hans Martin Weber greift sich einen unscheinbaren, mit Moos bedeckten Stein. Doch am Fuße eines ehemaligen Urzeitmeeres birgt jeder noch so normale Stein eine Überraschung: Der vermeintliche Felsbrocken entpuppt sich als versteinerter Kalkschwamm der Gattung „Stromatoporen“, einer mittlerweile ausgestorbenen Tierart. Für Hans Martin Weber gibt es nichts Spannenderes als die urzeitliche Fauna: „Es ist erstaunlich sich vorzustellen, dass das alles hier einmal gelebt hat.“

Das Riff mit seinen verschiedenen Zonen wie der Brandungszone und der Rifflagune ist heute von rein wissenschaftlichem Interesse, im 19. Jahrhundert war es allerdings auch wirtschaftlich ein wichtiger Standort.

Die Schlade wurde jahrelang als Steinbruch genutzt, in dem Kalkstein abgebaut wurde, unter anderen um daraus Bausteine herzustellen.

Noch heute kann man die verarbeiteten Steine an verschiedenen Häuserfassaden erkennen, beispielsweise an der Fassade des Bergisch Gladbacher Rathauses. Dieser Industriezweig trug viel zur hiesigen Wirtschaft bei: „Einen Teil seines Reichtums verdankte Bergisch Gladbach seiner Kalkindustrie“, betont Weber. Seit 2006 ist das Tal ein Nationaler Geotop und steht unter Naturschutz, da es auch in der Gegenwart eine Fülle an Arten beherbergt: von Kaisermantel über Rosenkäfer bis hin zu den in unseren Breitengraden raren Orchideen. „Die komplette Paffrather Mulde ist ein Kleinod“, schwärmt Geologe Weber, der sich gemeinsam mit dem Verein „Landschaft und Geschichte“ für die Modernisierung der Bergisch Gladbacher Fossiliensammlung einsetzt.

Unterstützt von der Bethe-Stiftung und vom Verein „Wir für Bergisch Gladbach“ kämpfen die Vereinsmitglieder für eine neu konzipierte Ausstellung im Bergischen Löwen.

Das Problem: Für die notwendige Katalogisierung und Modernisierung fehlen gut 30 000 Euro, die allesamt von privaten Geldgebern und Sponsoren aufgebracht werden müssen.

„Für die meisten Leute sind Fossilien nur Steine“, meint Weber schmunzelnd, doch wer ihnen zuhört, dem erzählen sie die komplette Erdgeschichte.