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Mit Herz und Seele FriseurinIngrid Wilhelm ist auch mit 82 noch voll dabei

Lesezeit 5 Minuten

Die Friseurinnen Monika Kirch (l.) und Angelika Felder (M.) arbeiten schon viele Jahre im Salon von Ingrid Wilhelm, die an diesem Tag auch ihrer Freundin Gerda Wetterling die Haar macht.

Bergisch Gladbach – Für Ingrid Wilhelm ist eines klar: Aufhören? Ruhestand? „Nein, auf keinen Fall“, sagt die Geschäftsfrau entschieden. „Das möchte ich meinen Kunden und meinen Mitarbeiterinnen nicht antun. Wer sollte das Geschäft weiterführen?“ Sie greift zum nächsten Lockenwickler, dreht bei ihrer Kundin geschickt die nächste Haarsträhne ein und steckt sie fest. Waschen, schneiden, legen, föhnen, Dauerwelle – Die Friseurmeisterin ist mit Herz und Seele in ihrem Beruf. Mit 82 Jahren führt die Geschäftsfrau ihren Salon Ingrid in Bergisch Gladbach fast wie eh und je. Und das immerhin schon seit 60 Jahren.

Eine gute Friseurin kennt die Mode von gestern und heute

Es ist so, als wäre im Friseurgeschäft die Zeit stehengeblieben. Beim Blick auf üppige Frisierstühle in kräftigem Lila im separaten Herrensalon, kommen Erinnerungen an die 70er Jahre auf. Die voluminöse Raffgardine im Schaufenster hält stilvoll den Blick in den hell gestalteten Damensalon ab. Die Frisurenmode gestern und heute ist mit der Frau vom Fach schnell ein Thema. „Der Bob-Schnitt wird nie weggehen“, sagt Ingrid Wilhelm mit verschmitztem Blick. Sie selbst trägt einen flotten Kurzhaarschnitt. „Die Sängerinnen Mireille Matthieu und Alexandra haben in den 70ern schon den Grundschnitt vom Bob getragen.“ Sie weiß noch genau, welche Stars Mode gemacht haben. Und als erfahrene Friseurin ging sie mit den Trends pragmatisch um: „Anneliese Rothenberger! Wenn die Kundinnen hier bei mir standen und die Haarwelle der Opernsängerin beschrieben haben, wusste ich Bescheid.“

Schon mit 13 Jahren beginnt die Gladbacherin 1949 ihre Friseurlehre. Ihr Vater ist im Krieg gefallen, also entscheidet sich ihre Mutter für den frühzeitigen Beginn einer Ausbildung und lässt sie für das zweite Halbjahr des 8. Schuljahres freistellen. Im Friseurgeschäft von Toni Büschel an der Paffrather Straße, nahe dem Marktplatz, macht Ingrid Wilhelm ihre dreijährige Ausbildung, absolviert fünf Jahre als Gesellin und macht mit 21 Jahren als jüngste Absolventin im Friseurhandwerk im Oktober 1957 ihre Meisterprüfung.

„Es war eine besondere Zeit. Ganz anders als heute“, sagt sie und erzählt mit Freude und erstaunlichem Gedächtnis von ihrem Berufsalltag. 45 Stunden und mehr habe sie in der Woche gearbeitet. „Von der Fabrik Berger kamen die Mitarbeiterinnen abends um fünf zur Dauerwelle. Und sie wollten anschließend pünktlich den Bus nach Hause bekommen. Da war nichts mit Feierabend.“ Sie erzählt von Dauerwellen, Techniken beim Färben und, ach ja, den vielen langen Gesprächen mit Kunden. „Wir Friseure haben viel mehr Zeit für unsere Kunden als Ärzte für ihre Patienten.“ Auf die Frage nach der Fülle an privaten Familien- und Schicksalsgeschichten winkt sie ab: „Ich habe so viel erzählt bekommen – vertraulich natürlich“, lacht und legt den Zeigefinger auf ihre Lippen.

Vor 60 Jahren eröffnete der Salon

Im Lehrbetrieb von Toni Büschel findet die Friseurin ihre Berufung und auch die Liebe ihres Lebens, ihren Ehemann Kurt Wilhelm. Schon einen Monat nach ihrer Meisterprüfung eröffnet sie den Salon Ingrid als reinen Damensalon im Haus ihrer Mutter Am Birkenbusch 6. Dort läuft der Betrieb auch heute, 60 Jahre später, noch. Damals ist es das einzige Geschäft im Viertel, mitten im Wohngebiet. Kaufhalle/Kaufland, Bastei Lübbe oder Mercedes Hillenberg gibt es noch nicht. Herrenhaarschnitte sind noch reine Männersache. Als das Paar 1958 das Geschäft erweitert, wird der Herrensalon eröffnet und fortan von Kurt Wilhelm geleitet.

37 Auszubildende haben im Salon Ingrid das Handwerk der Friseure gelernt. „Ich war streng, ich habe meine Lehrlinge gefordert“, sagt Ingrid Wilhelm. Ihr Leitspruch für den Nachwuchs: „Du musst gut durchkommen, nicht nur durchkommen.“ Neben Schnitt- und Wickeltechniken bringt die Friseurmeisterin den Lehrlingen auch Umgangsformen bei. „Bitte, danke, freundliche Nachfragen – Woher sollten die Jugendlichen es auch wissen?“ Und die Körperpflege ist immer wieder ein Thema. „Ich sag„ wie es ist. Wir Friseure arbeiten nah am Kunden, da darf man nicht schlecht riechen.“

In Spitzenzeiten arbeiten im Salon Ingrid bis zu zehn Mitarbeiterinnen. In den 60er und 70er Jahren ist es üblich ohne Anmeldung zum Friseur zu gehen. „Das Warten war für die Damen und Herrn kein Problem. Es wurde erzählt, es wurde gestrickt“, erinnert sich die Geschäftsfrau und zieht den Rollwagen mit den Wicklern auf die andere Seite des Frisierstuhls in dem Gerda Wetterling sitzt. Sie lächelt und nickt zustimmend. Mehr als 50 Jahre ist die Kölnerin mit Ingrid Wilhelm befreundet und natürlich Stammkundin. „Wir haben uns mit unseren Familien Mitte der 60er Jahre im Urlaub an der italienischen Adria kennengelernt“, erzählt Gerda Wetterling. Um sich die Haare machen zu lassen, ist ihr der Weg aus Köln nach Bergisch Gladbach keineswegs zu weit.

Auch die Kunden sind schon lange dabei

Auch für die 91-jährige Irmgard Cröll ist es kein Problem zum Salon zu kommen. Ihre Tochter fährt sie. „Ich war vom ersten Tag an hier“, erzählt die Seniorin und legt sich ihr E-Book-Lesegerät zurecht. „Es ist hier ein bisschen, wie nach Hause kommen.“ Was heute mit ihren Haaren gemacht wird, entscheidet die Chefin: „Wir schneiden nur die Spitzen.“ Kurz darauf beugt sich Irmgard Cröll nach vorn über das Keramikbecken zum Haare waschen.

„Wir waren früher zehn Ehepaare hier in der Nachbarschaft und haben viele Feste miteinander gefeiert“, erzählt Stammkunde Hans-Werner Haski. Die Gemeinschaft bestehe immer noch. Nicht nur treue Kunden auch langjährige Mitarbeiterinnen gehören zum Salon Ingrid: Angelika Felder arbeitet 28 Jahre dort und Monika Kirch seit 25 Jahren.

Kürzer treten? Nur ein wenig: Seit kurzem bleibt der Salon auch mittwochs geschlossen. „Ich muss doch zusehen, dass meine Kunden die Haar schön haben“, sagt Ingrid Wilhelm und fegt die letzten Haarspitzen vom Herrenkragen.