„Macht es besser als wir“NS Zeitzeugin erzählt Schülern von ihrer Jugend im Krieg
Bergisch-Gladbach – Erinnert sich Walborg Schröder an den Krieg, ist da keine Wut mehr, auch kein Hass. Aber sie stemmt sich dagegen zu vergessen. Obwohl ihr Vater als Sozialdemokrat während des nationalsozialistischen Regimes seine Arbeit verlor und nach dem Krieg schwer krank aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehrte. Ihr Besuch in der Integrierten Gesamtschule Paffrath (IGP) ist eine Mahnung an die junge Generation: „So etwas darf nicht nochmal passieren.“
Zur Person
Walborg Schröder führte die Deutsch-Russische Gesellschaft seit 1976 zwei Jahrzehnte lang als Vorsitzende. Heute ist sie Ehrenvorsitzende. Ihr Studium zur Dolmetscherin für Russisch absolvierte sie in Leipzig und reiste 1963 durch ihre Heirat mit dem Remscheider Karl-Heinz Schröder aus der DDR aus, zog 1972 mit ihrer Familie nach Bergisch Gladbach. Damals arbeitete sie als Übersetzerin in der russischen Botschaft in Bonn. Heute lebt die 88-Jährige im Kursana-Seniorenheim in Kürten-Bechen. (ub)
Heute ist Walborg Schröder 88. Das Erlebte ist nach so vielen Jahren zu einer kurzen Episode geworden, hat sie aber für ihr ganzes Leben geprägt. Die Gräueln der Nazi-Zeit und den Krieg wird sie nie vergessen. „Mein Appell an euch junge Leute ist: Setzt euch für den Frieden ein“, sagt sie zur Begrüßung der 20 Schülerinnen und Schüler des zwölften Jahrgangs im Rahmen des traditionellen Friedenstags – diesmal mit 25 Workshops zum Thema „27. Januar, Auschwitz-Gedenktag. Erinnern und in die Zukunft schauen“.
SA-Männer rückten ab, weil Frau in den Wehen lag
Am Tag von Walborg Schröders Geburt am 11. März 1933 in Freiberg in Sachsen tauchten Männer der SA – Kampforganisation der NSDAP – zuhause bei ihrer Familie auf, um den Vater in sogenannte Schutzhaft zu nehmen. „Ein zynischer Begriff aus der Zeit des Nationalsozialismus“, wie Geschichtslehrer Thomas Brinkhoff erklärt, „inhaftiert wurden NS-Gegner ohne richterliche Prüfung, um sie mundtot zu machen.“ Als Sozialdemokrat galt der Vater als Regimegegner. Nur weil seine Frau in den Wehen lag, seien die Männer wieder abgerückt, berichtet Walborg Schröder.
„So fing mein Leben an“, sagt die 88-Jährige und zitiert aus dem Tagebucheintrag ihres Vaters an ihrem Geburtstag: „Tagsüber Sonnenschein, aber der politische Himmel ist sehr düster.“
Schon als kleines Kind politisch gebildet
Der Lehrer wurde entlassen. Die Familie musste die Wohnung im Schulgebäude räumen und zog aufs Dorf. Mit Hilfsarbeiten im Straßenbau schlug er sich durch, um Frau und drei Kinder zu versorgen.
„Meine ersten eigenen Erinnerungen habe ich, als ich mit sechs eingeschult wurde“, berichtet Walborg Schröder. Damals musste der Beruf des Vaters angegeben werden. Auf ihrem Formular stand „Lehrer a.D.“. Die kleine Walborg verstand nicht, warum der Vater nicht mehr als Lehrer arbeitete und stattdessen mit dem Fahrrad über die Dörfer fuhr und Waren verkaufte. Es war die Mutter, die versuchte, ihrer Tochter die Hintergründe zu erklären. „So bin ich schon als kleines Kind mit politischen Lebensformen bekannt geworden.“
Der Wahnsinn des Krieges
Der Krieg habe dann alles verändert. Der Vater wurde an die Westfront eingezogen: „Wir wurden als Moskau-Söldner beschimpft.“ Die Mutter war auf sich alleine gestellt, musste sich und ihre drei Kinder versorgen. Der Bericht der 88-Jährigen hat gerade in seiner Nüchternheit eine eigene Wucht: „Auch wir Kinder haben Ähren auf dem Feld gesammelt.“
Im Klassenzimmer ist es ganz still. In den Gesichtern der Jugendlichen spiegelt sich Erschrecken und Unverständnis, wie Menschen solche Verbrechen begehen konnten. Auf dem Feld arbeiteten auch viele Kriegsgefangene – „ohne Schuhe, nur mit Lappen an den Füßen“. Sie putzten sich mit Gras die Nase. Die Mutter als frühere Handarbeitslehrerin zwackte Stoffreste ab und nähte für sie Taschentücher. Walborg und ihre Geschwister verteilten die Läppchen: „So wurden wir in den Wahnsinn des Krieges eingeführt.“
Keine Schutzkeller bei Bombenangriffen
Bei Bombenangriffen versteckten sich die Dorfbewohner – hauptsächlich Frauen und ihre Kinder – in der Mulde einer Abraumhalde. Luftschutzkeller gab es nicht. Dort erlebte Walborg Schröder auch den Bombenangriff auf Dresden am 13. Februar 1945: „Der Bomberstrom dröhnte über uns hinweg. Wir sahen den von den Flammen hell erleuchteten Himmel.“
Der Rarität eines Zeitzeugen ist sie sich bewusst, fast acht Jahrzehnte liegt der Nationalsozialismus zurück: „In ein paar Jahren wird es niemanden mehr geben, der erzählen kann, wie es damals war.“ Und nochmal ihre Mahnung: „Macht es besser als wir.“ Viele Sozialdemokraten und Kommunisten in Konzentrationslagern hätten sich gefragt, warum sie sich nicht mehr gegen die Nazi-Herrschaft zur Wehr gesetzt haben.
Dank der Authentizität von Zeitzeugen bleibt die Erinnerung auch in Zukunft erhalten. Walborg Schröder will so lange weitermachen, wie es eben geht: „Es ist mir eine große Freude, in die Gesichter junger Menschen zu blicken“, sagt sie immer wieder.