Bergisch Gladbach – Wovon träumt eine junge Frau mit Anfang 20? „Von einem ganz normalen, geregelten Leben“, sagt Nicole. „Morgens zur Arbeit gehen, nachmittags vielleicht die Kinder vom Kindergarten abholen, einfach mal nach Hause gehen können.“ Zuhause, das ist für die 21-Jährige ein Zelt im Wald.
Seit sie 13 ist, lebt sie, die in Heimen und Pflegefamilien aufgewachsen ist, auf der Straße. Eigentlich würde sie gerne den Hauptschulabschluss machen, um eine Ausbildung im Garten- und Landschaftsbau zu beginnen, „aber auf der Straße kann ich nicht lernen.“
Nicole ist die Jüngste von sieben Obdachlosen, die Dorothee Fleschen interviewt und porträtiert hat. Die dabei entstandenen Texte und Fotos werden im Rahmen der Flüchtlingsbootaktion im Gemeindesaal der Refrather Kirche St. Johann Baptist gezeigt. Bibi Opiela, Ehrenamtsbegleiterin in der Flüchtlingshilfe, hatte die Idee, nachzuforschen, was Heimat für Menschen bedeutet, die kein Dach über dem Kopf haben. Herausgekommen sind „unglaublich spannende Lebensgeschichten“, sagt Pfarrer Dirk Peters, der als Subsidiar in Refrath tätig ist, bei der Ausstellungseröffnung im Pfarrsaal-Foyer. Sichtlich bewegt von den Gesprächen, der Offenheit und dem Vertrauen der Menschen zeigt sich Dorothee Fleschen. „Ich habe viele traurige Dinge gehört, aber in den Gesprächen auch etwas zutiefst Menschliches, so etwas wie Heimat, empfunden. Es gibt Dinge, die sind für alle gleich, egal, ob sie ein Haus, eine Wohnung oder eine Matratze unter der Zoobrücke besitzen.“
Angeregte Gespräche
Für manche der Porträtierten begann die Obdachlosigkeit mit Krankheit oder Jobverlust. Kontakte mit Familienangehörigen oder ehemaligen Lebenspartnern sind selten und oft beiderseits unerwünscht. Dass sie durchaus gesprächsbereit sind, offen und selbstkritisch über sich und ihre Situation reden können, beweisen einige der Interviewten im angeregten Gespräch mit den Ausstellungsbesuchern. So wie Dirk (45), der in Overath aufgewachsen ist, dem es mit 17 allerdings zu eng wurde im Bergischen. Dass die Eltern eines Tages ihr Haus verkauften, hat ihn dennoch zutiefst erschüttert. „Ich hatte das Gefühl, dass sie meine Kindheit verkauft haben.“
Auf der Straße habe er auch „viele gute Menschen getroffen, die ich im normalen Leben nicht kennengelernt hätte“, aber echte Freundschaften zu schließen sei schwierig in einem Milieu, in dem Alkohol und Drogen eine große Rolle spielten. Dirk wünscht sich eine Wohnung, um mehr Privatsphäre zu haben – und noch mehr eine Spenderniere. Dreimal pro Woche muss er zur Dialyse. Immer wieder geht er auch Beziehungen zu Frauen ein, aber nie für länger. „Ich brauche meine Freiheit.“
Auch Nicole macht sich da keine Illusionen: „Wie soll ich eine Beziehung führen, wenn ich mein eigenes Leben nicht im Griff habe?“ Das Leben auf der Straße sei eine harte Lehre. „Es macht einen reifer“, sagt die junge Frau. Ihren Humor hat sie trotzdem nicht verloren: „Wenn mir jemand vorwirft, ich solle lieber arbeiten gehen statt betteln, dann schlage ich ihm vor, mich zu adoptieren. Ich bin stubenrein und schlafe auch in der Badewanne.“
Gemeinsam mit Claudia Döllmann sorgt Dorothee Fleschen (Klarinette) auch für die musikalische Umrahmung der Veranstaltung. „Es ist erschreckend, wie klein die Schwelle ist und wie schnell so ein Leben entgleist“, sagt Pfarrgemeinderatsvorsitzende Barbara Voll-Peters.
Wenn am 29. März mit der Abholung des in der Kirche ausgestellten Flüchtlingsboots die Aktionswoche endet, soll die Ausstellung im Foyer des Pfarrsaals noch hängenbleiben. „Vielleicht können wir sie nach der Fastenzeit ja auch in die Kirche bringen“, überlegt Voll-Peters im Gespräch mit dem leitenden Pfarrer Winfried Kissel.
Die Dokumentation ist zurzeit montags bis freitags von 8.30 bis 13 Uhr, dienstags und donnerstags durchgehend bis 18 Uhr in den Räumen am Kirchplatz zu sehen.