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Erster Lehrling im Refrather PfarrcaféSamirs Weg in ein neues Leben nach der Flucht

Lesezeit 5 Minuten

Samir Alizadeh aus Afghanistan ist froh, im Café Credo in Refrath einen Ausbildungsplatz zu haben.

Bergisch Gladbach – Es ist Mittagszeit, mehr als die Hälfte der 30 Plätze im Café Credo am Kirchplatz in Refrath sind besetzt. Die Espresso-Düsen zischen, Teller mit Salat werden angerichtet, Marmorkuchen in Stücke geschnitten. Ahmad Samir Alizadeh serviert an einem Tisch zwei Tassen Kaffee. Vor einem Jahr hat der 20-Jährige hier seine Ausbildung zur Fachkraft im Gastgewerbe begonnen. Im Café sind alle mehr als froh, den Afghanen im Team zu haben.

Der junge Mann mit dem gewinnenden Lachen kam im Herbst 2015 nach Deutschland. Seitdem hat er alles getan, was man von einem Flüchtling erwarten könnte: Er spricht inzwischen flüssig Deutsch. Hat Praktika absolviert im Seniorenheim, im Kindergarten und in einem türkischen Restaurant. Neben der Ausbildung im Café Credo besucht er zweimal in der Woche einen Deutschkurs. Sein Engagement hat sich ausgezahlt. „Die Lehre ist für mich eine große Chance “, sagt Samir, „ich möchte hier bleiben und etwas aus meinem Leben machen.“

„Wir sind rundum zufrieden“, sagt seine Ausbildungsleiterin Jutta Rech über ihren Schützling. „Er ist ein super netter Kerl, immer gut gelaunt, immer höflich und sehr aufmerksam.“

Ohne Eltern geflüchtet

Seine Kindheit verbrachte Samir in Ghazni, einer Provinz in Zentralafghanistan. Aus Angst vor den Taliban, Samir gehört der schiitischen Minderheit der Hazara an, floh er mit 14 in den Iran. Dort arbeitete er in einer Plastikfabrik. Ein Jahr später flüchtete er zusammen mit seinem Chef in die Türkei. Seine Eltern blieben zurück in Afghanistan und sind inzwischen gestorben. Bei der Überfahrt nach Griechenland hatte das Schlauchboot, besetzt mit Flüchtlingen, ein Leck. Die Bootsbesatzung musste mit zwei Helikoptern gerettet werden. Zu Fuß und mit dem Bus landete Samir über mehrere Stationen schließlich im November 2015 in der zur Unterkunft umfunktionierten Turnhalle in Heidkamp.

Das Team vom Café Credo lernte Samir kennen, als er dort ein Praktikum machte. „Angespornt von der Industrie-und Handelskammer kam uns der Gedanke, dem jungen Mann eine Ausbildung anzubieten“, berichtet Barbara Voll , Vorsitzende des Pfarrgemeinderates von St. Johann Baptist. Dafür musste das Pfarrcafé sich aber erst einmal zum Ausbildungsbetrieb qualifizieren: Teamleiterin Jutta Rech musste eine Fortbildung absolvieren, die sie zur Ausbilderin befähigt.

„Erst hatten wir auf finanzielle Unterstützung vom Erzbistum gesetzt“, erzählt Barbara Voll. Als daraus nichts wurde, habe sich die Kirchengemeinde gesagt: „Dann müssen wir das Geld für die Ausbildung selbst in die Hand nehmen.“ Dazu gehören neben dem Lehrgeld auch Prüfungsmaterialien. „Die Kirchengemeinde sieht darin“ , so sagt Barbara Voll, „ein soziales Statement, um unseren Teil zur Integration beizutragen.“

Montags gibt es afghanische Küche

Dass der Betrieb außer Geld auch Zeit investieren muss, war allen klar: Für Geflüchtete ist eine Ausbildung deutlich anstrengender als für deutsche Lehrlinge: Denn sie müssen in einer Fremdsprache kommunizieren – und das häufig in Fachvokabular. „Wenn ich etwas nicht verstehe, frage ich die Mitschüler“, sagt Samir. „Die sind alle wirklich nett.“

Sein Angstfach sei Mathematik. Er habe in seinem Heimatland nur eine Koranschule besucht. Deshalb bekommt er jetzt Nachhilfe. Bei der Suche nach einem ehrenamtlichen Lehrer half die Kirchengemeinde ebenso wie bei der Suche nach einer Wohnung. Alleine hätte er auf dem Wohnungsmarkt keine Chance gehabt.

Über 50 Bewerbungen hat Samir geschrieben. „Jetzt habe ich eine eigene Ein-Zimmer-Wohnung in Refrath“, erzählt Samir stolz, so dass er sich ungestört auf Prüfungen vorbereiten könne. Die Entscheidung über seinen Aufenthaltsstatus liegt noch beim Verwaltungsgericht Köln. Er vertraut darauf, dass für ihn die sogenannte 3+2-Formel gilt, die das Aufenthaltsrecht für Asylbewerber während einer dreijährigen Ausbildung und einer zweijährigen Anschlussbeschäftigung sichert.

Das Miteinander zwischen Ausbildungsleiterin Jutta Rech und ihrem Azubi klappt gut. Beide sagen, dass sie voneinander profitieren. Samir fühlt sich wohl in der familiären Atmosphäre. Rech schätzt die Einflüsse, die der Afghane mitbringt: „Montags hat Samir Kochtag“, erzählt sie. Dann gibt es meistens Kabul Palo, afghanisches Nationalgericht: gedünsteter Reis mit Lamm, Hähnchen oder Gehacktem. Samir macht es nichts aus, mit Schweinefleisch oder -wurst in Berührung zu kommen. „Ich wollte schon immer Koch werden“, sagt er grinsend, „mal sehen, vielleicht mache ich eine zweite Ausbildung als Koch und eröffne irgendwann mein eigenes afghanisches Restaurant.“

Interesse der Arbeitgeber ist weiter vorhanden

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Flüchtlinge gab es 2017 im Rheinisch-Bergischen Kreis laut Beschäftigten-Statistik, die in Ausbildung integriert worden sind.

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Bewerber aus nicht europäischen Asylherkunftsländern haben sich 2018 bei der Berufsberatung gemeldet. Das sind doppelt so viele wie 2017 (112 Bewerber). Dies spricht aus Sicht der Arbeitsagentur dafür, dass die Zahl derjenigen steigt, die für eine Ausbildung infrage kommt.

Laut Erfahrungen der Agentur für Arbeit sei es nicht einfach für junge Geflüchtete, eine Ausbildung durchzustehen. Neben den sprachlichen Problemen fehlten in vielen Fällen oft elementare schulische Grundlagen, die erst nachgeholt werden müssten: etwa in Mathematik, sie ist gerade im Handwerk wichtig.

Das Interesse der Arbeitgeber ist weiter vorhanden, Azubis aus nicht europäischen Asylherkunftsländern einzustellen. Aber laut Arbeitsagentur dürften die Schwierigkeiten nicht unterschätzt werden. Dazu zählen die unterschiedlichen kulturellen Hintergründe oder die andere Sozialisierung. Vieles werde bei uns als „normal“ vorausgesetzt, was für die jungen Erwachsenen nicht normal sei – das könnten Pünktlichkeit und Verlässlichkeit bei Absprachen sein. Darüber hinaus müssten Mitarbeiter überzeugt werden. Wenn hier Ängste oder Vorbehalte bestünden, werde es ebenfalls schwierig.  (ub)