Wochenmarkt in Bergisch GladbachDie Genüsse der ganzen Welt im Herzen der Stadt

Der Wochenmarkt von Bergisch Gladbach
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Bergisch Gladbach – An keinem Ort hört man das Herz einer Stadt lauter schlagen als auf ihren Märkten. Jeden Mittwoch und jeden Samstag wechseln auf dem großen Wochenmarkt am Konrad-Adenauer-Platz nicht nur Eier, Möhren und Fleisch den Besitzer, es werden auch Geschichten ausgetauscht, Klatsch und Tratsch. Kunden erzählen sie den Händlern, die Händler erzählen sie weiter. Der Wochenmarkt, das ist aber auch eine gefährdete Institution. Die Anzahl der Stände nimmt nach einem Höchststand vor 30 Jahren von 100 Ständen immer weiter ab – momentan sind es 65 Stände. Das liegt zum einen daran, dass es für die Standbesitzer immer schwieriger wird, wegen der anstrengenden, nächtlichen Arbeitszeiten Nachfolger zu finden. Zum anderen rechnet sich das Marktgeschäft oft nicht mehr, weil die Kunden in der schnelllebigen heutigen Zeit lieber in den Supermarkt eilen.
„Die Zukunft des Wochenmarktes hängt also auch sehr von der Einstellung der Menschen ab“, sagt Friedhelm Schlaghecken, Vorsitzender der Marktgemeinschaft. Die Atmosphäre vor dem Rathaus finden die Marktleute ideal. Als eher geschäftsschädigend dagegen gilt das ständige Ausweichen bei Veranstaltungen. Heute findet der Markt auf dem Konrad-Adenauer-Platz zum letzten Mal in diesem Jahr in seiner gewohnten Form statt. Er muss dem Weihnachtsmarkt weichen und wird an den Rand gedrängt, bis er Anfang Januar wieder zurückzieht.
1. Der Chef
„Wer einmal Marktluft geschnuppert hat, kommt davon nicht mehr los“, sagt Friedhelm Schlaghecken (52), Vorsitzender der Marktgemeinschaft. Seit Kindertagen liebt er das Flair. Die Szene rundherum ist perfekt an diesem Markttag. Die Kunden drängen sich um die farbenfrohe Kulisse aus Trauben, Äpfeln – es sind 13 (!) e Sorten – Salatköpfen, Kürbissen und Brokkoli. Mittwoch für Mittwoch, Samstag für Samstag, seit 35 Jahren vollführt der Gladbacher die gleiche Prozedur. Sie ist ihm in Fleisch und Blut übergangen. Um Mitternacht auf den Großmarkt nach Köln fahren und einkaufen. Um 5 Uhr den 23 Meter langen Stand aufbauen. Und dann geht es los: Der größte Ansturm ist zwischen 9 und 12 Uhr. Abwiegen, eintüten, kassieren. Und Kunden beraten. Kirschen aus den USA sind zum Beispiel seltene Früchte, die es zurzeit am Stand gibt. Wie viele Kilometer Schlaghecken am Tag hin und her läuft, hat er noch nie gemessen. Tipps für Rezepte, aber auch für andere Lebenslagen werden zwischendurch gegeben. „Das verbindet und schafft Vertrauen“, sagt Schlaghecken.
2. Die Süße
Es gleicht einem Wunder, dass Anica Kilic trotz der sie umgebenden Verführungen ausgesprochen schlank ist: Der 40-jährigen Tochter eines Kroaten und einer Finnin gehört mit „Zimt und Zucker“ definitiv der unwiderstehlichste Stand auf dem Markt. Vor fünf Jahren übernahm Kilic mit ihrem Mann das „Plätzchenparadies“, als die Besitzer aufgaben, und verwandelte den Stand
in einen pink-weiß gestreiften Mädchentraum. Einige Keksklassiker aus dem früheren Sortiment hat sie beibehalten. Dazu kam italienisches Gebäck wie Cantuccini, das jüngere Kunden anspricht und gut zu Kaffee passt. „Espresso und Milchkaffee haben wir seit anderthalb Jahren im Angebot“, sagt sie und zeigt auf die edle Siebträger-Maschine. „Der Markt soll nicht nur Einkaufsmöglichkeit sein, sondern auch Treffpunkt“, wünscht sich die gelernte Goldschmiedin aus Refrath, Mutter zweier Kinder. Vor allem in südlichen Ländern seien Märkte Ort der Begegnung. Die Idee ist aufgegangen: Vor allem samstags knubbeln sich neben dem Stand die Kaffeetrinker. Kilic hofft auf mehr jüngere Besucher – „damit der Markt eine Zukunft hat“.
3. Der Neuling
Erst seit drei Monaten steht Ralf Gierhake mit seinen Schwarzwälder Spezialitäten mittwochs auf dem Gladbacher Wochenmarkt. „Sehr kollegial“ findet er die Atmosphäre dort. Die Geschäfte könnten besser laufen, aber so ist das halt, wenn man der Neue ist: „Die Gladbacher Marktbesucher sind erst einmal etwas kritischer, etwas zurückhaltender. Die Kölner sind da experimentierfreudiger“, sagt der 42-Jährige. Die badischen Weine im Sortiment seien meist die „Türöffner, „den kennen die Leute“. Viele schwärmen vom Urlaub, den sie im Schwarzwald verbracht haben, wenn sie an den Stand kommen und Erinnerungen einkaufen. Schwarzwälder Schinken, der wirklich noch von dort stammt. „Einfach frei“ fühlt sich Gierhake, der in seinem früheren Leben in einer Versicherung gearbeitet hat, auf dem Wochenmarkt – auch wenn er 13 Stunden am Tag arbeitet und morgens um fünf Uhr aufstehen muss: „Ich weiß, wofür ich es mache.“ In seinen Beruf hat er übrigens eingeheiratet: Sein Schwiegervater und seine Frau sind ebenfalls Marktleute, stehen in Köln, bevor am Wochenende alle zusammen gen Süden fahren.
Auf der nächsten Seite stellen wir Ihnen die Duftigen, die Exotin und die Anrüchigen vor.
4. Die Duftigen
Marlese Klein – so klein, dass sie kaum über die Theke schauen kann – steht in einem duftendem Meer von Blumen. Das muss sich doch anfühlen wie im Paradies, oder? „Ja, das ist was anderes als Fisch“, sagt die Gladbacherin. „Der wird gegessen und ist weg. Die Blumen bleiben und sind gut für die Psyche.“ Zurzeit werden Weihnachtssterne und Amaryllis besonders nachgefragt. In das Marktgeschäft hat die aus England stammende Bürokauffrau vor 40 Jahren eingeheiratet. Das sei nicht einfach gewesen. Drei- bis viermal in der Woche auf Märkten stehen, an die holländische Grenze fahren, um Blumen zu ersteigern. Einen Wecker braucht die 67-Jährige nicht mehr. Um 4.15 Uhr wird sie von allein wach. Nur manchmal ertappe sie sich bei dem Wunsch, „sich wie andere nochmal rumdrehen zu können“. Gegen die Kälte zieht sie sich mit Strumpfhosen und Fleece-Jacken dick an. Schwiegertochter Tanja Klein hilft. Da geht es Schlag auf Schlag: „15 Rosen bitte“, sagt ein Mann und zeigt auf die gelb-orangefarbene Sorte. Während Marlese Klein die Blumen bindet, wird geplaudert. Der Mann erzählt, dass er Opa geworden ist.
5. Die Exotin
Schon als Achtjährige hat Narin Kilic ihre Eltern begleitet, wenn sie ihren Stand auf dem Konrad-Adenauer-Platz aufgebaut haben. „Das war ein kleines Gartenzelt“, sagt die 38-Jährige bei der Erinnerung schmunzelnd. Das Angebot bestand damals aus zwei verschiedenen Schafskäsen und ein paar Oliven. Die aus der Türkei stammende Familie war der Exot unter den Marktleuten. Heute sind die mehr als 100 mediterranen Spezialitäten aus der Türkei, Italien, Griechenland und Spanien, die Narin Kilic in ihrem Verkaufswagen anbietet, sehr beliebt. Die meisten Produkte sind selbst gemacht. „Das ist die Hauptarbeit“, erzählt Narin Kilic, die vor zwei Jahren die Nachfolge der Eltern angetreten hat. Der Verkauf sei dagegen der reinste Spaß. Blätterteigtaschen gefüllt mit Schafskäse, Hackfleisch, Spinat und Kartoffeln. Datteln mit Ziegenfrischkäse. „Hier in meinem Wagen an der frischen Luft habe ich meine Freiheit“, sagt die gelernte Justizangestellte. Das Marktleben sei einzigartig. Am meisten schätzt sie die Gespräche mit Kunden: „Über das, was im Städtchen so los ist.“ Aber auch über persönliche Dinge.
6. Die Anrüchigen
Ihr Alter verrät Elfriede Buchholz (r.) erst nach hartnäckigem Fragen. Aber dass sie seit genau 44 Jahren auf dem Markt hinter der Käse- und Fleischtheke steht, das darf jeder wissen. Zusammen mit ihrer Cousine bildet die gelernte Metzgerei-Fachverkäuferin seit Jahren das „Ferrari-Team“. So taufte sie ein Kunde wegen ihrer roten Oberbekleidung und stellte ihnen zwei Spielzeug-Flitzer auf die Kasse. Warum rot? „Weil es leuchtet“, sagt die resolute 68-Jährige. Ein Kauf ohne Schwätzchen kommt so gut wie nie vor. „Die Männer, das ist immer ein gutes Thema.“ Oder Fußballvereine, obwohl sie unparteiisch bleibt – „je nach Kunde“. Der Markt, das fühlt sich für sie familiär an: Sie liebt es, dass die einstigen Stöpsel im Kinderwagen heute als Erwachsene zu ihr kommen. Auf dem Markt hat sie viele aufwachsen sehen. Am Strand riecht es mild, streng, säuerlich, würzig. Gerade einmal fünf Sorten umfasste das ursprüngliche Käse-Sortiment, heute sind es mehr als 90. Die Kunden dürften wunschlos glücklich sein, Buchholz nicht. Zwei Dixie-Klos für die Marktleute am Samstag, die fehlen ihr: „Damit wir nicht immer in die Gastronomie aufs Klo müssen.“
Auf der nächsten Seite stellen wir Ihnen den Würzigen, die Zerbrechlichen, Fischer Fitz und den Ältesten vor.
7. Der Würzige
Paprika, Pfeffer, Curry: Kaum mehr als diese Gewürze hatte Knut Worring im Angebot, als er vor 30 Jahren seine Berufung als Verkäufer auf dem Gladbacher Markt fand. Ein Bekannter hatte dem ehemaligen Postzusteller zugeraten. „Er hat gesagt, ich soll es mit Gewürzen probieren, weil es da nicht so viel Konkurrenz gibt.“ Heute hat der 71-Jährige mehr als 100 Sorten im Angebot, darunter exotische Namen wie Ras el Hanout, „den vielen Kochsendungen im Fernsehen sei Dank“. Oder niedliche Namen wie Flohsamen, „gut für die Verdauung“. Lavendel riecht Worring am liebsten, nicht ausstehen kann er Kreuzkümmel. Gegen die zunehmende Kälte ist der 71-Jährige immun: „Man muss Schicht über Schicht anziehen und lange Unterhosen“, verrät er. Was er an dem Markt liebt: die Menschen. „Das ist wie eine Familie.“ Er hört den vielen schönen, manchmal auch traurigen Geschichten zu, die ihm erzählt werden. Dann und wann gibt es verschwörerische Anfragen von Männern: Ob er etwas im Angebot habe, das die Potenz steigert? Den guten Rat gibt es gratis: „Lassen Sie Ihre Fantasie spielen, dann klappt das schon.“
8. Die Zerbrechlichen
„Halb und halb“, diese drei Wörter hören Klara und Willi Steinberg viele Dutzend Mal am Tag. Die meisten Kunden wollen zur Hälfte weiße und zur Hälfte braune Eier. Warum, wissen die beiden nicht. Und meistens verlangen die Leute genau zehn Stück. Nicht acht, nicht zwölf, manchmal vielleicht 20. Seit 57 Jahren gehört der Gladbacher Wochenmarkt zum Leben des Ehepaars. „Was anderes kann ich mir nicht vorstellen“, sagt Willi Steinberg (77). Auch selbst gepresstes Raps-Öl und nach eigener Rezeptur hergestellte Nudeln gehören zum Angebot. Es ist wie früher in einem Tante-Emma-Laden. Die Steinbergs kennen fast jeden ihrer Kunden, und auch mit denen, die neu sind, kommen sie schnell ins Gespräch. „Die Menschen sind die beste Medizin“, findet Klara Steinberg (78). Das klingt wie ein Lebensbekenntnis. Sie ist mit Herz und Seele hier. Und ihr Lächeln wird geliebt. Die Kunden kommen teilweise von weit her aus Overath, Lohmar, sogar aus Köln. Eine ganze Generation haben die Steinbergs aufwachsen sehen: vom Baby im Kinderwagen bis zum Erwachsenen.
9. Fischers Fritz
Gekühlt auf Crash-Eis ist alles ausgestellt, das vor kurzem noch im Wasser schwamm: große und kleine Fische, Krabben und andere Meerestiere. An Fisch mangelt es am Stand von Tillmanns wirklich nicht: Scholle, Rotbarsch, Seeteufel, Lachs, Pulpo, Bachsaibling, Victoriabarsch aus Schottland, Irland und Island. Das ganze Sortiment ist in der mobilen Tischtheke schön abgestimmt nach Farben sortiert: von orange bis hin zu rosa-weiß. „Einmal kam einer und wollte hier Kartoffeln kaufen“, erzählt Jörg Maier (39) und lacht noch heute, wenn er an die Begegnung mit einem Kunden denkt. Aber es riecht hier auch gar nicht nach Fisch. „Warum auch? Ist doch alles frisch“ sagt Maier. Seit drei Jahren ist er hier Fischverkäufer. Gelernt hat er Koch. „Ich wollte nicht mehr so versteckt in der Küche arbeiten“, sagt Maier. Also sattelte er um: Weil er gern direkt mit Menschen in Kontakt tritt und die Atmosphäre mit den beiden Kolleginnen Kerstin Carl und Petra Scheuß nett ist. Und wegen des Fischs natürlich. Der weckt schließlich auch Erinnerungen an Urlaubsstrände mit weißem Sand in südlichen Ländern.
10. Der Älteste
Den Markt ohne Ludwig Broicher kennt man nicht. Er ist der älteste unter den Marktbeschickern, so viel steht fest. Doch wie alt er genau ist, in jedem Fall aber über 80, will er nicht verraten. „Die Leute denken sonst, ich bin verrückt“, winkt er ab. Er stamme eben aus einer Bauernfamilie. Die Tradition stecke tief in ihm drin. Seine Devise lautet: „Erst kommt der Bauernhof, dann komme ich.“ Schon als 14-jähriger Junge habe er in den 50er-Jahren seine Mutter am Stand in Bergisch Gladbach unterstützt. Unter der Woche wird im Hofladen in Köln-Zündorf verkauft. Alle Produkte, Äpfel, Kartoffeln, Eier, Tomaten, sind aus eigenem Anbau. Seine Stammkunden hat er nie gezählt. Sicher ist nur, für ein Geplänkel ist Broicher immer zu haben: „50 Cent ist auch noch Geld“, witzelt das Wochenmarkt-Urgestein, als er Wechselgeld zurückgibt. Nur wenn der Kundenstrom kurz abreißt, gönnt sich Broicher ein Päuschen und setzt sich auf eine Palette. Sein Blick sagt: Ohne den Markt würde ihm etwas fehlen. Kinder hat Broicher nicht, die in seine Fußstapfen treten könnten: „Ich denke, ich werde das noch die nächsten 20 Jahre machen.“