Zwei Erstwähler aus Bergisch Gladbach erzählen, warum ihnen die Europawahl wichtig ist.
Erstwähler aus Bergisch Gladbach im Interview„Wenn wir nicht wählen, wählen andere für uns“
Bei der Europawahl am 9. Juni dürfen in Deutschland Jugendliche ab 16 Jahren zum ersten Mal ihre Stimme abgeben. Sarah Wehmeyer und Carlo Rückamp, Schüler der 11. Klasse des Otto-Hahn-Gymnasiums in Bensberg, gehören dazu. Die beiden Erstwähler berichten über ihre Sorgen und welche Themen ihnen am Herzen liegen. Ein Interview
Könnt ihr mit einem Satz beschreiben, was Europa für euch bedeutet?
Carlo: Oh. Europa auf einen Satz herunterbrechen, ist extrem schwierig. Für mich machen der Facettenreichtum und die kulturelle Vielfalt Europa aus. Es ist wichtig, dass wir diesen Zusammenhalt auf der Weltbühne zeigen.
Sarah: Da kann ich mich nur anschließen. Für mich bedeutet Europa ein riesiges Zusammenspiel aus Kulturen und Herkünften. Teilweise ähneln sich die Kulturen. Sind aber in Nord, Süd, West und Ost total unterschiedlich. Das macht einen großen Reiz aus.
Was hat die Europäische Union konkret mit eurem Leben als junge Menschen zu tun?
Carlo: Das begegnet uns auf so vielen Ebenen. Allein, wenn wir mit dem Smartphone auf Social Media-Seiten gehen, werden wir geschützt vom neuen Regelwerk Digital Service Act der EU. Und ganz konkret: die Reisefreiheit. Ich kann nach Frankreich in den Urlaub fahren, ohne meinen Personalausweis vorzuzeigen oder Geld wechseln zu müssen.
Sarah: Was mir als Erstes in den Kopf springt, sind Erasmus-Programme für Schüler und die Möglichkeit, in europäischen Ländern zu studieren. Für freiwillige Jahre gibt es ebenfalls Förderungen in anderen Ländern. Und natürlich die Reisefreiheit, ohne Visa beantragen zu müssen.
Die Europawahl läuft für viele Bürger immer noch unter dem Radar. Warum ist es euch wichtig, eure Stimme abzugeben?
Carlo: Ich habe mich extrem gefreut über die erste Wahlbenachrichtigung meines Lebens. Endlich darf ich wählen gehen. Für mich ist das Kreuz, das ich mache, mein Teil, den ich zur Demokratie dazugebe. Aber ich weiß tatsächlich noch nicht genau, wen ich wähle.
Sarah: Die Entscheidung fällt schon ein bisschen schwer. Aber ich finde, es ist super wichtig, gerade jungen Leuten eine Stimme zu geben.
Warum ist es wichtig, dass die junge Generation bei der Europawahl mitbestimmen darf?
Sarah: Mir macht Sorgen, dass es einen Rechtsruck geben könnte. Deshalb ist es mir super wichtig, meine Stimme gegen Rechts abzugeben. Ich finde es gut, dass das Wahlalter herabgesetzt wurde. Dadurch werden wir ja quasi dazu gezwungen, uns in politische Themen reinzudenken.
Carlo: Ich würde mir wünschen, dass jeder seine Stimme abgibt. Damit das Europa, in dem wir leben, so bleibt, wie es jetzt ist. Wenn wir nicht wählen, wählen andere für uns.
Wie habt ihr euch denn informiert?
Carlo: Wir hatten an unserer Schule zwei Podiumsdiskussionen mit Vertretern von Parteien. Das war wirklich hochinteressant. Die Bezirksschülervertretung, der ich angehöre, hat die Veranstaltungen organisiert. Wir konnten die Politikerinnen und Politiker danach auch noch einzeln befragen.
Sarah: Ich habe die Veranstaltung als Zuhörerin erlebt. Mir hat das super viel gebracht. Ich hatte mich vorher über zwei, drei Parteien informiert, die mir ganz sympathisch vorkamen. Aber bei allen anderen Parteien war es mir komplett unklar, wofür sie stehen. Es ist gut, einen Überblick zu bekommen. Denn ich glaube nicht, dass sich Schüler wie wir, gezielt Wahlprogramme durchlesen.
Fühlt ihr euch als junge Generation von der EU genug wichtig genommen?
Sarah: Ich muss sagen, ich bin recht zufrieden. Die momentane EU-Politik richtet sich gut an junge Menschen.
Carlo: Definitiv. Ich habe auch das Gefühl, dass in unserer Generation die EU viel präsenter ist, als bei vielen älteren Leuten. Sie gehört zu unserem Leben, wir sind mit der EU aufgewachsen. Wir können uns gar nicht vorstellen, wie das war, als Europa aus Nationalstaaten bestand.
Wäre es wünschenswert, dass Politik eine größere Rolle im Unterricht spielt?
Carlo: Ja, definitiv. Studien haben ergeben, dass im Unterricht nur 17 Minuten in der Woche für aktuelle Themen genutzt werden. Das ist viel zu wenig. Nicht jeder guckt Nachrichten. Deshalb wäre ein regelmäßiger meinungsoffener Diskurs in der Schule gut, damit man nicht so alleine gelassen wird. Gerade in Zeiten von Social Media, wo wir mit tausenden Nachrichten bombardiert werden.
Sarah: Es ist super schnell passiert, dass man aufgrund von Logarithmen nur einseitige Nachrichten zugespielt bekommt. Da ist Schule als neutraler Bildungsort die perfekte Gelegenheit, alle Seiten auszuleuchten.
Wann habt ihr Politik zum ersten Mal bewusst wahrgenommen?
Sarah: Bei mir war das der Bundeskanzlerwechsel. Bei der Bundestagswahl 2021 ist mir bewusst geworden, dass Angela Merkel geht und dass ich niemanden anderes als Merkel kenne. Ich fand es interessant, die Kanzlerduelle im Fernsehen zu verfolgen.
Carlo: Genau. Damals haben wir Schüler im Politikunterricht Infos zusammengestellt. Dazu gehörten auch die ganzen Patzer, die den Kandidaten passiert sind, Cum-Ex-Skandal, Buchplagiat oder falscher Lacher.
Was erwartet ihr von der EU?
Carlo: Für mich ist ein Ziel, dass die EU noch stärker in den Klimaschutz geht. Und dass die EU auf der weltpolitischen Ebene mehr als Zusammenschluss agiert und nicht so gespalten. Das ist vor allem wichtig, wenn es um die Sicherheit der Ukraine geht.
Sarah: Unter dem sozialen Aspekt wünsche ich mir, dass in gewissen Ländern mehr auf die Menschenrechte geachtet wird. Ich finde es unmöglich, dass LGBT-Rechte in manchen Ländern eingeschränkt werden können. Ich hoffe da auf stärkere Richtlinien.