Zwölf Jahre Haft für 51 TatenDas Urteil im Bergisch Gladbacher Missbrauchskomplex
- Im Missbrauchskomplex Bergisch Gladbach ist Jörg L., ein zentraler Angeklagter, zu zwölf Jahren Haft verurteilt worden.
- Zudem ordnete das Gericht die Unterbringung des 43-Jährigen in der Sicherungsverwahrung an.
- Der folgende Text enthält Passagen, in denen Aspekte des Missbrauchs dargestellt werden, die für einige Leserinnen und Leser nicht geeignet sein können.
Köln – Die Kapuze seiner Steppjacke tief ins Gesicht gezogen, einen Aktenordner vor dem Kopf, betritt Jörg L. am Dienstagmittag Saal 210 des Kölner Landgerichts. Er nimmt neben seinem Verteidiger Platz und lässt das minutenlange Blitzlichtgewitter regungslos über sich ergehen. Erst als die Fotografen und Kameraleute den Saal verlassen, lässt der 43-Jährige den Ordner sinken und zieht die Kapuze ab. Ein Moment der Entspannung. Aber nur ein kurzer. Dann erhebt Richter Christoph Kaufmann das Wort.
Die Zweite Große Strafkammer verurteilt den Vater aus Bergisch Gladbach unter anderem wegen dutzendfachem schweren sexuellen Missbrauchs seiner eigenen Tochter zu zwölf Jahren Haft und anschließender Unterbringung in der Sicherungsverwahrung. Das bedeutet, dass L. nach seiner Entlassung auf unbestimmte Zeit in einer besonderen Anstalt untergebracht wird, solange er eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt. Das wird einmal pro Jahr geprüft. Im äußersten Fall käme der gelernte Koch und Hotelfachmann nie wieder frei.
Wie versteinert, mit weit geöffneten Augen, starrt Jörg L. den Vorsitzenden Richter an. Er wird diesen Gesichtsausdruck auch in den mehr als zwei Stunden der folgenden Urteilsbegründung kaum ändern. Kein Nicken, kein Kopfschütteln, keine sichtbare Regung.
Strafrechtlich voll verantwortlich
Er hört, wie Richter Kaufmann ihm „fürchterliche Taten“ vorwirft, 51 insgesamt. Er hört, wie das Gericht ihm eine „volle strafrechtliche Verantwortung“ zubilligt, ihm einen „ungewöhnlich ausgreifenden Streifzug durch den Bereich des Sexualstrafrechts“ attestiert und ihm auf Basis eines psychiatrischen Gutachtens eine „manifeste Pädophilie“ bescheinigt, die schon im Jugendalter mit dem Missbrauch seiner Cousine begonnen hat.
„Sie waren kein Mitläufer, kein Dummschwätzer“, sagt Richter Kaufmann mit Blick auf L.s rege Aktivitäten zuletzt in Pädophilen-Chatgruppen, in die der 43-Jährige auch Fotos und Filme vom Missbrauch seiner eigenen Tochter verbreitet hatte. „Sie waren einer der Akteure. Sie haben den Maschinenraum für Missbrauch in den Familien angeheizt.“
Richterbund begrüßt das Strafmaß
Der Deutsche Richterbund (DRB) sieht in dem harten Urteil im Missbrauchsfall von Bergisch Gladbach ein wichtiges Zeichen: „Das Kölner Urteil zum Missbrauchsfall Bergisch Gladbach ist das klare Signal, dass der Rechtsstaat diese abscheulichen Verbrechen an Kindern angemessen hart bestraft“, sagte DRB-Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).
Der Richterspruch mache zugleich deutlich, dass die aktuelle politische Diskussion um weiter verschärfte Strafgesetze im Kampf gegen Kindesmissbrauch zu kurz greife, so Rebehn: „Höhere gesetzliche Strafrahmen allein werden wenig bewirken, es braucht ein breit angelegtes Maßnahmenpaket, das Kinder bestmöglich vor Gewalt und Missbrauch schützt.“
Die Bundesländer müssten ihre Jugendämter und Polizeibehörden, Staatsanwaltschaften und Gerichte angesichts rasant steigender Fallzahlen von Kinderpornografie personell und technisch verstärken, forderte der Richterbund. Zudem seien effektive Ermittlungsbefugnisse notwendig, um mit den Kriminellen Schritt halten zu können, etwa ein europarechtskonformer Zugriff auf Kommunikationsdaten. (red)
Die Staatsanwaltschaft hatte dem Krankenhauspförtner in ihrer Anklage 79 Taten vorgeworfen. Nicht wegen aller Vorwürfe wird L. am Ende verurteilt. Fest steht aber, dass er immer wieder seine heute dreieinhalb Jahre alte Tochter missbraucht hat, zum Teil auch zusammen mit einem anderen Vater, den er in einem Chat kennengelernt hatte.
[In den folgenden vier Absätzen stehen grafische Schilderungen des Missbrauchs.]
In drei Fällen ist L. nach Überzeugung des Gerichts auch in den Körper seiner Tochter eingedrungen, dies wiegt strafrechtlich besonders schwer. In anderen Fällen soll er das Mädchen mit Gewalt davon abgehalten haben, sich von ihm abzuwenden.
Viele Taten hat Jörg L. selbst dokumentiert, vor Gericht hat er sie weitgehend eingeräumt – mit Einschränkungen: Sobald es um besonders „dramatische“ Vorfälle gegangen sei, habe L. versucht, abzuschwächen, schildert der Richter Szenen aus den nicht-öffentlichen Teilen der zehntägigen Verhandlung.
L. habe ausgesagt, seine Chatpartner hätten ihn angestachelt, er habe außerdem nie Gewalt gegen seine Tochter angewendet. Ihre Hilfeschreie nach der Mutter („Aua! Mama!“) will er in der betreffenden Situation nicht mitbekommen haben, erst später auf den Videos habe er sie wahrgenommen.
Als „besonders erniedrigend“ bezeichnet Kaufmann die Tatsache, dass Jörg L. immer wieder auf seine Tochter ejakuliert hatte, während sie – teils mit dem Schnuller im Mund – auf der Wickelkommode oder im Elternbett lag. In einem Fall soll er sie oral missbraucht haben, während sie schlief.
Angeklagter habe sich taktisch motiviert eingelassen
Mutmaßliche Taten hingegen, die nicht auf Fotos oder Videos zu sehen waren, sondern die L. nur in Chats mit Gleichgesinnten beschrieben hatte, hat er vor Gericht bestritten – „sehr eloquent, mit teils gewundenen Erklärungen, warum es so nicht gewesen sein kann“, berichtet Kaufmann.
Die Kammer hielt das nicht immer für glaubwürdig. Kaufmann spricht von einem „Geständnis mit „Scherenschnitt-Qualität“ und betont: „Wir sind überzeugt, dass Sie sich taktisch motiviert eingelassen haben.“ Und dennoch: Für 28 angeklagte Taten fehlten letztlich handfeste Beweise, in diesen Fällen sprach das Gericht den Angeklagten frei.
Viele Worte verwendet der Vorsitzende darauf zu beschreiben, wie „kühl und berechnend“ Jörg L. seine Taten vor seiner Frau, vor Freunden, vor Kollegen und Nachbarn verheimlicht hat. „Sie waren perfekt organisiert. Sie sind ein Meister im Führen eines Doppellebens“, sagt Kaufmann. L.s Ehefrau, die nie etwas geahnt hat und heute schwer unter den Ereignissen leidet, ist laut Kaufmann „einmal durch die Hölle und zurück“ gegangen.
Ehefrau beschreibt Täter als „liebevoll, zärtlich, mitfühlend“
Aber selbst sie habe vor Gericht ausgesagt, dass der 43-Jährige liebevoll gewesen sei, zärtlich, mitfühlend. Ein stolzer Vater, der Bilder seiner Tochter herumgezeigt hat, aktiv war im Elternbeirat der Kita und vor Freunden und Kollegen über Pädokriminelle gewettert hat, die man hart bestrafen müsse. Auch materiell sei es ihm gut gegangen, sagt der Richter, die Familie bewohnte ein eigenes Einfamilienhaus in Bergisch Gladbach. „Sie konnten stolz auf sich sein, das war ein geglückter Lebensentwurf.“
Auf der anderen Seite sei er im Internet „sexuellen Sensationen“ hinterhergelaufen. Habe mit anderen Männern „obszön“ und mit „blanken Zynismus“ über seine Tochter geschrieben. Kaufmann liest aus Chatprotokollen vor: „Hab die Kleine heute seit drei Wochen nicht nutzen können.“ Und zu einem Gleichgesinnten: „Hoffe, dass sie so naturgeil wird wie deine.“
Fotos für immer im Internet
Jörg L., so der Richter, habe „einer Art Sexualmythos“ nachgehangen, einer „Missbrauchsideologie“, nach der Sex auch mit sehr jungen Kindern in Ordnung sei, wenn die Kinder dies auch wollten. Tatsächlich habe er das Mädchen zu einem „Sexualobjekt“ abrichten wollen.
Anders als in anderen Situationen während des Prozesses, in denen L. schon mal die Tränen kamen, wenn von seiner Tochter die Rede war, die nun ohne ihren Vater aufwächst, verfolgt der 43-Jährige nun vollkommen reglos, wie der Richter über die Entwicklung des Mädchens seit L.s Verhaftung vor einem Jahr spricht. „Seien wir optimistisch“, beginnt Kaufmann.
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„So fürchterlich es ist, was Sie Ihrer Tochter angetan haben, so gut ist es, dass sie wahrscheinlich keine aktiven Erinnerungen an den Missbrauch haben wird.“ Was die Taten allerdings in ihrem Gehirn angerichtet haben könnten, wisse man heute noch nicht.
Als „besonders fürchterlich“ bezeichnet der Vorsitzende den Umstand, dass Jörg L. die Missbrauchsfotos und -filme seiner Tochter über die Chats „in den Äther“ geschickt habe, wo sie nun „unkontrolliert und für immer“ herumschwirrten. „Auch Ihre Tochter wird davon vermutlich irgendwann erfahren“ – mit für sie wohl „schwerwiegenden Folgen“.
Nebenklage-Anwältin Monika Müller-Laschet äußerte sich „zufrieden“ mit dem Urteil. Sie hält es für „grundsolide“ und revisionsfest“. Ob L. und sein Anwalt Revision einlegen wollen, ist unklar. Der Verteidiger wollte sich nicht äußern.