In einem ehemaligen Schullandheim bei Overath hat das Deutsche Rote Kreuz eine „Zukunftswerkstatt“ in Betrieb genommen, die den Pflegenotstand in Rhein-Berg lindern helfen soll.
Gegen den NotstandEigene Pflegekräfte-Schmiede für den Rheinisch-Bergischen Kreis
Gekonnt lagern Soufiane Moulay und sein Kollege Jamal Idhmad die Patientenpuppe im Bett um, helfen beim Aufrichten und geben ihr zu trinken, dann geht's zum Deutschunterricht gleich nebenan. Die beiden studierten Pflegekräfte aus Marokko gehören zu den ersten 16 Pflegekräften aus Nordafrika und Indien, die vor wenigen Tagen in das frühere Schullandheim Klefhaus zwischen Overath, Bergisch Gladbach und Kürten eingezogen sind. In dem hat das Deutsche Rote Kreuz (DRK) Rhein-Berg eine „Zukunftswerkstatt“ eingerichtet. Die soll künftig nicht nur den Pflegekräftemangel in den eigenen DRK-Einrichtungen lösen helfen, sondern sämtlichen Trägern im Rheinisch-Bergischen Kreis sprachlich und fachlich gut ausgebildetes Pflegepersonal aus Partnerländern für den Einsatz in Deutschland bieten.
„Bis 2030 fehlen allein im Rheinisch-Bergischen Kreis 1500 Kräfte in der Pflege“, weiß DRK-Kreisgeschäftsführer Reinhold Feistl. „Gemeinsam mit der Diakonie als Kooperationspartner für die Ausbildungsabnahme, dem Kommunalen Integrationszentrum des Kreises, den Baugenossenschaften der Kommunen und Fahrschulen planen wir ein Pilotprojekt, das allen Trägern im Kreisgebiet offensteht“, so der DRK-Kreisgeschäftsführer. „Wir wollen ein Konzept entwickeln, um die Pflege im gesamten Rheinisch-Bergischen Kreis zu stärken. “
27 Betten für angehende Pflegekräfte
Zehn Doppel- und sieben Einzelzimmer hat das DRK Rhein-Berg in den vormaligen Sechsbettzimmern des früheren Schullandheims Klefhaus eingerichtet. 25 bis 27 Pflegekräfte wohnen hier wie in einem Internat, werden vom DRK-eigenen Caterer mit Mittagessen versorgt und verpflegen sich morgens und abends selbst in der hauseigenen Küche. Die Schulungsräume mit digitaler Medienwand, Pflegebetten und Patientenpuppen befinden sich im Erdgeschoss. „Jede Pflegekraft erhält ein eigenes Tablet“, sagt DRK-Geschäftsführer Reinhold Feistl. „Die Tablets haben wir über die Kreissparkassen-Stiftung finanziert bekommen, neben dem Lernen sind sie auch für die Verbindung nach Hause wichtig“, sagt Feistl. Für die Mobilität der Bewohner der „Zukunftswerkstatt“ oberhalb des Sülztals stehen bald fünf E-Bikes und vier Autos zur Verfügung – auch für die Fahrt zur nächsten Bushaltestelle. „Der Anschluss ist wichtig für die Integration“, sagt Feistl. Vorher gebe es natürlich Verkehrsschulungen, und die Kooperation mit den Fahrschulen sei nicht nur für den späteren Einsatz in mobilen Pflegediensten wichtig.
25 bis 27 Gesundheits- und Krankenpflegekräfte, die in ihren Heimatländern bereits ein Bachelor-Studium in Gesundheits- und Krankenpflege sowie bereits einen ersten „Deutsch in der Pflege“-Abschluss absolviert haben, sollen in dem neuartigen Internat innerhalb eines halben Jahres für den Einsatz in rheinisch-bergischen Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen vorbereitet und erfolgreich durch die entsprechenden Prüfungen gebracht werden. „61 Kandidatinnen und Kandidaten haben wir schon in der Warteschleife“, sagt Feistl.
Die ersten elf Pflegekräfte aus Marokko, die vor wenigen Tagen in die „Zukunftswerkstatt“ eingezogen sind , hat das DRK für einen Testlauf der neuen Einrichtung auf eigene Kosten nach Deutschland geholt, weitere aus Indien kamen durch den Prüfungskooperationspartner Diakonie nach Klefhaus.
DRK hat bereits eine halbe Million Euro in Pilotprojekt investiert
Insgesamt eine halbe Million Euro habe man bereits in den Umbau und die Einrichtung des vormaligen Schullandheims und die Ausbildung der Fachkräfte investiert, die nach ihrem Studienabschluss in ihrem Heimatland bereits ein Stipendium erhalten, um sich sofort komplett aufs Deutschlernen und den Einsatz in Deutschland vorbereiten zu können.
Für Reinhold Feistl ist die „Zukunftswerkstatt“, für die das DRK das bis November vorigen Jahres als Schullandheim genutzte Gebäude mit großem Außengelände seit April umgestaltet hat, ein Herzensanliegen. „Wir Träger haben alle ähnliche Probleme und wir wollen doch selbst auch alle einmal gepflegt werden – da muss man einfach zusammenarbeiten“, sagt der 61-jährige DRK-Kreisgeschäftsführer, der täglich auf dem Weg zur Arbeit in Gladbach oder auf dem Heimweg in der „Zukunftswerkstatt“ vorbeischaut – zusätzlich zu den regulären Terminen vor Ort. Auch die alle tief in der Nacht an deutschen Flughäfen angekommenen ersten Bewohner des neuen Internat-Hotels hat er selbst mit abgeholt.
„Schon im Jahr 2010 habe ich in einem unserer Pflegedienste ein Gespräch mitbekommen, wo jemand anrief, der einfach keine Pflegekraft für einen Angehörigen fand“, erinnert sich DRK-Kreisgeschäftsführer Reinhold Feistl, „und das einzige, was wir ihm mit viel Mühe anbieten konnten, war eine kleine Grundpflege um 12.30 Uhr.“ Für Feistl keine Lösung: „Jeder, der im sozialen Bereich tätig ist, möchte helfen. Es tut weh, wenn man das nicht kann, weil einem die Fachkräfte fehlen.“ Damals begann Feistl, ausländische Fachkräfte mit Partnern in deren Heimatländern für den Einsatz in Deutschland auszubilden. Zuerst aus Rumänien, später aus Serbien und anderen Ländern.
78 Fachkräfte hat das DRK Rhein-Berg so nach Deutschland geholt. „54 von ihnen sind bis heute bei uns im Einsatz“, sagt Feistl. Die Corona-Pandemie brachte die Kooperationen zum Erliegen. Aus der Not danach entstand die Idee zur „Zukunftswerkstatt“, in der die Pflegekräfte nach dem Studien- und ersten Deutsch-Abschluss im Heimatland binnen sechs Monaten ein weiteres Sprachtraining und einen Kenntnisprüfungslehrgang direkt in ihrem neuen Einsatzgebiet absolvieren.
Die 43-jährige Amani Kebir, die tunesische Wurzeln hat, in Deutschland geboren wurde und 23 Jahre im Tourismus gearbeitet hat, leitet die „Zukunftswerkstatt“, hilft den Neuankommenden mit den Unterlagen, bei der Anmeldung und Aufgaben wie der Kontoeröffnung. „Wir haben uns gleich zu Hause gefühlt“, sagt Soufiane Moulay, „sie ist wie eine große Schwester für alle. Und Herr Feistl wie unser Vater.“ Daheim hätte er niemals eine Chance zu arbeiten bekommen wie jetzt in Deutschland , sagt der 25-jährige Marokkaner. Am Wochenende seien sie sogar schon in Köln gewesen, erzählt die 22-jährige Fatima-Zohra Lamrabet: „Und wir waren mit den Fahrrädern einkaufen. Es ist sehr schön hier.“
In der kommenden Woche, wenn die Förderung von der Agentur für Arbeit da ist, starte nach dem digitalen Lernen auch der Präsenzunterricht mit Lehrpersonal, sagt Reinhold Feistl und freut sich, dass die neue Einrichtung auf so positive Resonanz trifft. Für die Gesundheits- und Krankenpflege bricht er ohnehin jede Lanze:„Nirgends gibt es so viel Anerkennung wie in der Pflege.“
Begegnungsort auch für Kitas und Senioren
Nicht nur ein Internat für Pflegekräfte, sondern auch ein „Haus der Begegnung“ soll die DRK-Zukunftswerkstatt in Overath-Klefhaus mit ihrem großen Außengelände samt eigenem Sportplatz und Spielgelände werden, kündigt DRK-Geschäftsführer Reinhold Feistl an. So sollen künftig auch Gruppen der vom DRK getragenen Kindertagesstätten oder Offenen Ganztagsgrundschulen Ausflüge zur „Zukunftswerkstatt“ mit dem benachbarten privaten natur- und erlebnispädagogischen Klefhof machen können. „Und auch Seniorenkaffees können wir uns hier sehr gut vorstellen“, sagt Feistl. „Wichtig ist es, dass hier Leben ist, und auch unsere Pflegekräfte gleich Kontakt bekommen. Wir brauchen Begegnung.“
Das DRK Rhein-Berg ist selbst Träger zahlreicher Pflegeeinrichtungen, beschäftigt in neun ambulanten Pflegediensten, zwei Tagespflegen und zwei Senioreneinrichtungen mehr als 3000 Vollzeitkräfte. „Und wir könnten in jeder Sozialstation sofort zehn Fachkräfte zusätzlich einstellen – die Nachfrage ist enorm“, so Feistl. „Wir werden künftig wie andere Träger ein Kunde der Zukunftswerkstatt sein.“ (wg)