Hilfskonvoi zwischen Luftalarm und Kinderlächeln – Hilfsgüter werden sofort verwendet
Unterwegs in der UkraineHilfskonvoifahrer aus Rhein-Berg erleben das tägliche Trauma des Krieges
Das Mädchen mit der Beinprothese sitzt auf ihrem Bett und schaut auf, als sich die Tür zu dem Krankenhauszimmer in der Kinderklinik von Lviv öffnet. Truckerfahrer mit Geschenken stehen im Türrahmen, schauen in das Zimmer, in dem die neunjährige Solomia mit ihrer Mutter und vier weiteren Kindern mit ihren Müttern nun schon seit einigen Wochen lebt, seitdem sie bei Charkiw von einem Granatsplitter verletzt wurde und zur Behandlung in den Westen der Ukraine gebracht werden musste.
Nun strahlt das Mädchen, freut sich über das Geschenk, das ihr der Mann aus Deutschland reicht. Kinder, Eltern und Erzieherinnen der Christlichen Kita-Initiative in Seelscheid haben die Päckchen mit Spielsachen und Süßigkeiten gepackt, Stefan Malczewski von der Humanitären Hilfe Overath hat den Kontakt für den mittlerweile neunten gemeinsamen Hilfskonvoi der Overather Organisation und der Humanitären Hilfe Bergisch Gladbach hergestellt.
„Das Verteilen kleiner Geschenke ist doch immer wieder ein Höhepunkt jedes Hilfskonvois“, sagt Uli Gürster von der Humanitären Hilfe Bergisch Gladbach und verteilt kleine, von Helfern des Cafés Himmel un Ääd in Schildgen gestrickte Kuscheltiere in den Nationalfarben der Ukraine.
Wenige Minuten zuvor noch haben Gürster und seine Mitstreiter noch fast zwei Tonnen Medikamente und medizinisches Material am Lager der Kinderklinik ausgeladen. Wie zahlreiche weitere Hilfsgüter (siehe „Hilfe in Zahlen“), sind sie mit dem neunten Hilfskonvoi der bergischen Hilfsorganisationen in die Ukraine gebracht worden, der drei 40-Tonner-Lastzüge und sechs weitere Fahrzeuge umfasst.
Betten aus Solinger Klinik sind in Lviv sofort in Betrieb genommen worden
Und Gürster strahlt: Die Betten, in denen Solomia und die anderen Kinder liegen, kamen mit dem achten Hilfskonvoi der Humanitären Hilfe kurz nach Ostern an. Sie stammten, wie berichtet, aus einer Krankenhausauflösung in Solingen. „Wir haben sie sofort aufgebaut, wir brauchen sie dringend“, sagt die stellvertretende Kinderklinikleiterin Dr. Ivanyuk Zoryana. Die Kinderklinik müsse wegen der zahlreichen aus dem Osten des Landes eintreffenden jungen Patienten erweitert werden.
Dabei verbesserten die elektrisch verstellbaren Betten aus dem Bergischen die medizinische Versorgung deutlich, sagt Medizinerin Zoryana. Und auch die dadurch ausrangierten alten Klinikbetten würden nicht weggeworfen. „Die bringen wir zu kleinen Kliniken auf dem Land, die haben teilweise noch Betten aus der Zeit des Ersten Weltkriegs“, weiß sie.
Im Klinikkeller ist ein provisorischer Luftschutzraum für Patienten eingerichtet
Als draußen eine Sirene ertönt, schauen einige Hilfstransporteure auf die ukrainische Raketen-Warn-App auf ihren Handys. Ein Glück: Kein Alarm. Das ist in diesen Tagen nicht immer so. Drei Stockwerke tiefer stehen ältere Betten in zwei langen Kellerfluren. Bei Luftalarm ist das der improvisierte Bunker der Kinderklinik. Ein Stofftier liegt auf einem der aktuell gerade leeren Betten. Lediglich zwei Stockwerke trennen die schönsten von einem der bedrückendsten Momente dieses Hilfskonvois.
Die Kinderklinik ist zwar noch nicht Ziel von russischen Raketen- und Drohnenangriffen geworden, doch auch in Lviv sind schon Menschen bei Luftangriffen ums Leben gekommen, unter anderem auch bei einem auf das Caritas-Lager, über das auch die Humanitäre Hilfe einen teil ihrer Hilfskonvois organisiert hat.
Der Hilfskonvoi in Zahlen
- Mit ihrem neunten gemeinsamen Ukraine-Hilfskonvoi haben die Humanitäre Hilfe Overath und Bergisch Gladbach unter anderem nach Lviv und in den Süden der Ukraine gebracht:
- 1 Land Rover,
- 1 Caddy,
- 1 VW-Bus,
- 14 Tonnen Lebensmittel (darunter 17.080 Suppendosen) und Hygieneartikel
- 1,9 Tonnen Medikamente,
- 12 Stromgeneratoren,
- 59 Fahrräder,
- 620 Verbandstaschen,
- 43 Rollatoren,
- 143 Kartons mit Decken und Schlafsäcken sowie ballistische Helme zum Schutz von Feuerwehrleuten, die Minen räumen.
- 1,1 Millionen Euro beträgt damit der Gesamtwert der Hilfsgüter, mit denen die beiden bergischen Hilfsorganisationen seit März 2022 humanitäre Projekte in der Ukraine unterstützt haben.
- Zum Hintergrund: Für einen Hilfskonvoi, den ehrenamtliche Fahrerinnen und Fahrer in die Ukraine bringen, sind – je nach Menge der Sattelzüge – bis zu 12.000 Euro an Diesel sowie 3000 Euro für die Miete einer Sattelzugmaschine nötig (wenn diese nicht – wie oft möglich- von engagierten Unternehmern unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden) . (wg)
Auch im Süden der Ukraine, wo die bergischen Helfer den Aufbau eines Rehazentrums für traumatisierte ukrainische Soldaten und ihre Familien unterstützen, ist der Krieg auch mehr als 600 Kilometer entfernt von der Front allgegenwärtig: von der Gedenkstätte in der Fußgängerzone bis zu Kriegsfolgen im Kirchenkeller (siehe unten „Menschen im Krieg“).
Ein Teil der Hilfsgüter für das Zentrum, darunter Möbel und medizinisches Gerät, ist diesmal bereits vor der ukrainischen Grenze aus den 40-Tonnern der Humanitären Hilfe in ukrainische Lastzüge umgeladen worden, um die Wartezeiten an der Grenze zu verkürzen. Die Lkw-Fahrer aus dem Bergischen haben daraufhin mit den Lastzügen bereits den Heimweg angetreten, darunter auch Bergisch Gladbachs Feuerwehrchef Jörg Köhler, der sonst privat in Städtepartnerschaftsverein Bergisch Gladbach – Butscha engagiert ist. Der Partnerschaftsverein und die Vereine der Humanitäre Hilfe haben sich in der Ukraine-Hilfe schon des Öfteren gegenseitig unterstützt.
Hoffnungsthaler Kita stiftete hölzerne Spielburg für Traumazentrum
Mit Pkw-Anhängergespannen sowie drei für das Traumazentrum im Süden der Ukraine bestimmte Fahrzeuge haben sich die übrigen Mitglieder des neuen Hilfskonvois danach an einem für Lkw nicht zugelassenen kleineren Grenzübergang auf den Weg in die Ukraine gemacht, im Priesterseminar von Lviv günstig übernachtet, um dann weiter in den Süden zu steuern.
An Bord auch eine hölzerne Spielburg, die die Kita Purzelbaum, in Rösrath-Hoffnungsthal gespendet hat. Eigentlich hatten Dietmar Schur und Dirk Ballsieper die Burg umgehend im Rehazentrum wieder aufbauen wollen. Doch der Freizeitraum für die Kinder im Traumazentrum befindet sich noch im Rohbau. Kein Problem, es wird nicht das letzte Mal sein, dass die Humanitären Helfer dort sind. Bereits für den Herbst planen sie den nächsten Hilfskonvoi.
Vor der Rückfahrt nach Deutschland schauen sie sich auch noch neue Projekte im Südwesten des Landes an. Auch in Iwano-Frankiwsk soll in einem seit Jahrzehnten leerstehenden Krankenhaus nun eine Traumazentrum eingerichtet werden. „Wir müssen hier einfach weiterhelfen“, sagt Norbert Kuhl, der selbst noch das Ende des Zweiten Weltkriegs und die Nachkriegszeit in Overath erlebt hat. „Wir dürfen die Menschen nicht vergessen, auch wenn sich viele Hilfsorganisationen mittlerweile zurückgezogen haben.“
Auch das Caritas-Transitlager an der polnisch-ukrainischen Grenze ist deshalb schon zusammengestrichen worden. „Zuerst kam die Hilfe aus aller Welt, jetzt kommt fast nur noch Ihr“, hat Wioletta Bator, die Leiterin der vormaligen Caritas-Einrichtung auf dem Hinweg noch gesagt. „Wir bleiben dran, und werden weitermachen“, sind sich Uli Gürster, Norbert Kuhl und ihre Mitstreiter einig.
Wer die Ukraine-Hilfe der Humanitären Hilfe in Overath und Bergisch Gladbach unterstützen möchte, erreicht Norbert Kuhl unter 0170/350 30 40 oder Ulrich Gürster unter 0179/458 24 44. Infos zu Spendenmöglichkeiten sind auf den Internetseiten der Humanitären Hilfe Overath sowie der Humanitären Hilfe Bergisch Gladbach zu finden.
Menschen im Krieg: Café des gefallenen Manns
„Bräutigam“ steht auf Ukrainisch über der Tür zum kleinen Café, das die 22-jährige Ira in der 270 000-Einwohner-Stadt Chmelnyzkyj im Süden der Ukraine betreibt. „Es war immer der Traum meines Mannes gewesen, einmal ein Café zu betreiben“, erzählt die junge Frau den Hilfstransporteuren aus dem Bergischen bei einer Tasse Kaffee.
Kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine haben die beiden, die sich schon aus der Schule kannten, geheiratet. Drei Monate später war ihr Mann tot. Gefallen an der Front. Bilder von ihm hängen im Café, das seine Frau in der Folgezeit alleine auf den Weg brachte. Und eine Karte der Ukraine. Lämpchen zeigen die Orte, an dem Iura ums Leben kam und sich das Café befindet. „Jetzt muss ich unseren Traum alleine leben“, sagt Ira. „Auch für ihn . . .“ (wg)
„Das war mein Nachbar“
Blumen stehen unter den großen Bildern, Ukrainefähnchen flattern auf den Rahmen im Wind. Das Ende der sechseckigen Aufsteller mit den Bildern von getöteten Soldatinnen und Soldaten ist gar nicht abzusehen. Hunderte Meter zieht sich die Gedenkstätte durch die Fußgängerzone von Chmelnyzkyj im Süden der Ukraine.
„Das war mein Nachbar“, sagt der 22-jährige Paul Sova und deutet auf das Porträt eines jungen Mannes. „Volodymyr Paria war 34 Jahre alt“, steht darunter auf ukrainisch. Und dass er ein „ukrainischer Held“ sei, weil er bei der Verteidigung der Ukraine vor den russischen Invasoren am 11. Juni 2022 gestorben sei. Paul Sova ist nachdenklich. Erst kürzlich ist das Einberufungsalter für die ukrainische Armee um zwei Jahre auf 25 gesenkt worden. Paul selbst ist 22, darf das Land aber auch nicht verlassen. Deshalb hat er ein Fernstudium in Germanistik begonnen. Gerne würde er auch einmal nach Deutschland kommen. Aber die Möglichkeit ist aktuell in weiter Ferne.
An die 300 Gefallene allein aus Chmelnyzkyj zählt die Gedenkausstellung in der Fußgängerzone der 270.000-Einwohner-Stadt in der Südukraine. „Und aus unserer Region sind es schon 2000 bis 3000“, sagt Paul Sova. „Dabei sind's von hier mehr als 600 Kilometer bis zur Front.“(wg)
Der Krieg im Kirchenkeller
Eine Statue von Papst Johannes Paul II. steht vor der Kirche, im Kirchenkeller regiert der Krieg. Pfarrer Mikola Lutschinsky hat hier in einer Gedenkausstellung Teile von Raketen, die über der Stadt niedergingen ebenso zusammengestellt, wie er einen Frontunterstand nachgebaut und Habseligkeiten von Gefallenen zusammengetragen hat. „Wir dürfen die Menschen in diesem Krieg nicht vergessen“, sagt der Seelsorger, der selbst mehrfach an der Front gewesen ist. Die Hilfstransporteure sind tief bewegt.
Mit Ivan Gornetzkiy, dem Ökonom des Bistums, das unweit der Stadt ein Reha-Zentrum für traumatisierte Soldaten und ihre Familien aufbaut, sprechen sie auf der Tour durch die Stadt Chmelnyzkyj noch lange über den Krieg, der auch hier allgegenwärtig ist, und die große Frage: Wie lässt er sich endlich beenden? (wg)