Rhein-Berg – Am Anfang stand „lila06789 Homer Simpson“. Dieser Chatname führte auf die Spur eines der größten je in Deutschland ermittelten kriminellen Geflechte sexueller Gewalt gegen Kinder. Die ersten Beweise sicherte im Oktober 2019 die rheinisch-bergische Kreispolizei, öffentlich wurden die Ermittlungen am Rande eines Pressetermins zu einem ganz anderen Thema in der Kreispolizeibehörde in Bergisch Gladbach.
Keine drei Stunden, nachdem diese Zeitung eine Meldung an die Deutsche Presse-Agentur abgesetzt hatte, ordnete das NRW-Innenministerium an, dass das Polizeipräsidium Köln die Ermittlungen, unterstützt von den Ermittlern aus Rhein-Berg übernehmen sollte.
Gerichtsprozess gegen Lokführer aus Kassel
Die damals eingerichtete Besondere Aufbauorganisation“ (BAO) später „Ermittlungsgruppe“ mit dem Namen „Berg“ zog jetzt ihre Bilanz.
So entstand die BAO „Berg“
Gladbacher Vorgeschichte zur Kölner Ermittlungsorganisation
Ende August 2019: Polizei und Staatsanwaltschaft in Köln erhalten von der Staatsanwaltschaft Kassel Informationen zu einem Bergisch Gladbacher, der Kinderpornografie besitzen soll.
12. September 2019: Die Kölner Polizei übergibt die Ermittlungsakten an die Kreispolizei in Bergisch Gladbach, die im Umfeld ermittelt, um beim Zugriff alle potenziellen Beweismaterialien sicherstellen zu können.
Anfang Oktober 2019: Der 42-Jährige ist im Urlaub. Um zu vermeiden, dass er Beweismittel vernichtet, verschiebt die Polizei die Hausdurchsuchung.
21. Oktober 2019: Die Polizei durchsucht das Reihenhaus und stellt Mobiltelefone und Datenträger mit Hunderttausenden kinderpornografischen Fotos, Videos sowie Chatverbindungen sicher. Einige Aufnahmen zeigen sexuelle Missbrauchstaten des 42-Jährige an seiner Tochter. Die Polizei nimmt ihn fest.
22. Oktober 2019: Der Tatverdächtige kommt in Untersuchungshaft wegen schweren sexuellen Missbrauchs, Verbreitung und Herstellung von Kinderpornografie. Es gibt Hinweise auf zwei weitere Verdächtige in Kamp-Lintfort und bei Wiesbaden. Sie werden festgenommen.
30. Oktober 2019: Die Ermittlungen werden öffentlich bekannt: Am Rande eines Pressegesprächs zur Verabschiedung des leitenden Polizeibeamten der rheinisch-bergischen Kreispolizei gibt dieser bekannt, dass seine Behörde wegen eines Falls von Kindesmissbrauch und Kinderpornografie ermittle. Auf die Online-Berichterstattung durch diese Zeitung folgt ein bundesweites öffentliches Interesse.
31. Oktober 2019: Auf Weisung des NRW-Innenministers übernimmt die Kölner Polizei die Ermittlungen, unterstützt von Beamten aus Rhein-Berg. Eine „Besondere Aufbauorganisation“ (BAO) wird gegründet, erhält den Namen „Berg“ (später Ermittlungsgruppe Berg).
Innerhalb weniger Wochen weiten sich die Ermittlungen auf sämtliche Bundesländer sowie ins Ausland aus. Bei den Ermittlungsbehörden ist unterdessen weiterhin vom „Missbrauch-Komplex Bergisch Gladbach“ die Rede. Ein Stigma, mit dem die Bewohner der Stadt bis heute zu leben haben – auch wenn es mutmaßliche Tatorte ebenso in Krefeld, Aachen, Alsdorf, Kamp-Lintfort, Duisburg, Dortmund sowie in nahezu sämtlichen anderen Bundesländern gegeben hat. (wg)
Dass die Ermittlungen einmal solche Ausmaße annehmen würden, war 2019 noch nicht absehbar. In Kassel war damals für einen Gerichtsprozess gegen einen Lokführer, der wegen des Besitzes von Kinderpornografie schließlich zu zwei Jahren Haft verurteilt wurde, auch das Handy des Angeklagten untersucht worden. Auf ihm hatten die Ermittler im Messengerdienst KIK die Nachricht eines gewissen „lila06789 Homer Simpson“ gefunden, der dem Lokführer 2017 ein pornografisches Bild eines etwa sechs- bis achtjährigen Mädchens geschickt hatte.
Hauptverdächtige zu Haftstrafen und Sicherungsverwahrung verurteilt
Die Kölner Ermittler fanden heraus, wer „lila06789 Homer Simpson“ war. Die Spur führte in eine verkehrsberuhigte Wohnstraße von Bergisch Gladbach. Dort lebte der Mann, der sich das aus einer Zeichentrickserie entlehnte Pseudonym zugelegt hat, in einem Reihenhaus – mit Frau und zweijähriger Tochter.
Das könnte Sie auch interessieren:
Was da noch niemand ahnte: Eine Hausdurchsuchung bei dem 42-Jährigen, den man zunächst allein des Besitzes von Kinderpornografie verdächtigte, öffnete das Tor zu einem bundesweiten Missbrauchskomplex, einem Netz von Pädokriminellen, die Bilder und Videos von ihren Taten sowie Erfahrungen über Internet-Messengerdienste teilten.
Neben dem Mann hinter „Lila06789 Homer Simpson“ wird ein weiterer Gladbacher als Tatverdächtiger ermittelt. Beide werden zu Haftstrafen verurteilt, der 42-Jährige zu anschließender Sicherungsverwahrung.