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Schriftsteller Jürgen Becker wird 90Abschied vom „Doppelleben" in Odenthal und Köln

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Viele Interviews gab Georg-Büchner-Preisträger Jürgen Becker im Vorfeld seines 90. Geburtstags.

Literatur Jürgen Becker, ein Leuchtturm der deutschen Literatur seit Jahrzehnten, ausgezeichnet mit dem Heinrich-Böll- und dem Georg-Büchner-Preis für seine Gedichtbände und Prosa, gewürdigt als „maßgebliche Stimme“ der zeitgenössischen Poesie: Am nächsten Sonntag, 10. Juli, wird er 90 Jahre alt. Vor kurzem war er zur Eröffnung des Altenberger Festivals „Literatur am Dom“ zu Gast. Und seit vier Wochen gibt er quasi pausenlos Interviews für die Feuilletons der großen Zeitungen und Zeitschriften, für Hörfunk und Fernsehen.

Nach dem runden Geburtstag sei „damit ja Schluss“, sinniert der in Köln-Brück und in Odenthal lebende Schriftsteller. „Mal sehen, was ich dann noch alles mache“, so Becker. „Ich hatte angefangen, wieder Gedichte zu schreiben. Das hat aufgehört in dem Moment, wo ich ständig wieder übers Schreiben reden musste.“ Die Kommentare zur eigenen Arbeit lenkten ihn nur ab, da falle ihm keine Gedichtzeile ein. Nervös oder unruhig mache ihn das nicht: „Ich bin wieder in der Balance.“

Jürgen Beckers Frau stirbt mit 89 Jahren

Im vorigen Jahr, im April, wurde seine Frau Rango Bohne 89 Jahre alt. Doch im September 2021 starb die Künstlerin: „Jetzt kommt der runde Geburtstag auf mich alleine zu.“ Seit dem Tod seiner Frau lebt er vorwiegend im Brücker Haus, das alte Fachwerkhaus in der Heide in Odenthal-Glöbusch hat er lange nicht aufgesucht.

„Ich kann dieses Doppelleben – gleichzeitig in zwei Häusern wohnen – so nicht weiterleben: Sie hier, ich dort oder beide gleichzeitig an einem Ort. Und das viele Jahrzehnte“, sinniert er. „Zumal in der Heide Rango noch so anwesend ist, dass ich dort oben größere Schwierigkeiten habe mit dem Alleinsein als hier, wo der Alltag einem neue Gewohnheiten beibringt.“ Das Gartengelände, jedes Hälmchen, jedes Blümchen dort sei Rango Bohne.

Nach Berlin, Hamburg und Rom zurück ins Rheinland

Immer wieder haben sie sich symbiotisch inspiriert. Sie hat mit Collagen auf seine Gedichte reagiert, er mit Gedichten auf ihre Arbeiten – zu erleben in einigen Publikationen wie „Scheunen im Gelände“. Vor kurzem ist Becker doch wieder zum Fachwerkhaus in der Heide gefahren. Die Kirschen waren reif, überreif. Da ist er auf die Leiter gestiegen, hat sie gepflückt. Dann hat er den Trecker geholt und das Gras, 30 Zentimeter hoch, gemäht. „Wenn ich solche Dinge tue, bin ich sofort wieder zuhause“, sagt er.

Zum ersten Mal war er 1963 in dem alten Haus, in dem Rango Bohne seit Kinderzeiten den Sommer verbrachte. „Ich merkte gleich, hier kann ich schreiben“, erinnert er sich. Nach Stationen in Berlin, Hamburg und Rom in der Villa Massimo kamen die beiden wieder zurück ins Rheinland – nach Brück und nach Odenthal. Den früheren Ortsnamen „Heide“ hat das Künstlerpaar beibehalten, auch nach der Gebietsreform 1975, als alle Weiler zum Ortsteil Glöbusch zusammengefasst wurden.

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20 Jahre lang war Becker Hörspieldirektor beim Deutschlandfunk in Köln. „Ich hatte ein Zimmer im 13. Stock, ein Eckzimmer, da sah ich über die Stadt hinweg das Bergische Land und wusste, an der Stelle hinter den Bäumen ist Heide – da fahre ich heute Abend noch hin“, erklärt er die stille Sehnsucht nach dem stillen Ort. „Der Fulltime-Job im Studio war eine ganz andere Art von literarischer Existenz, ganz auf Kommunikation bedacht. In der Heide war plötzlich alles grün um mich herum – als Lyriker kommst du hier zu deiner eigenen Sprache zurück.“

Noch ist alles unverändert in der Dachstube, alle Bücher sind noch da, Manuskripte, in seiner typischen Unordnung. „Nur die alte Büroschreibmaschine, so ein riesiges Trumm, habe ich nach Brück geschleppt“, erzählt er. Auf Computer möchte er sich nicht einlassen, er schreibt nach wie vor zuerst alles mit der Hand nieder und tippt dann Buchstabe für Buchstabe in die Maschine.