AboAbonnieren

Gegen das VergessenOdenthal errichtet Denkmal für die von Nazis verfolgten Bürger

Lesezeit 5 Minuten

Es ist dem Historiker Götz-Rüdiger Tewes und Schülerinnen und Schülern des  Odenthaler Gymnasiums zu verdanken, dass dieser dunkle Teil der Geschichte Odenthals aufgearbeitet wurde.

  1. Eine Gedenktafel vor dem Odenthaler Rathaus erinnert nun an sieben jüdische oder als Juden verfolgte Odenthaler Bürger.
  2. Zu verdanken ist dies dem Historiker Götz-Rüdiger Tewes und Schülern des Odenthaler Gymnasiums.
  3. 2018 hatten sie sich auf Spurensuche begeben.

Odenthal – Wilhelm Bein und Erich Deutsch sind zurück in Odenthal. Nach 75 Jahren haben sie – ebenso wie Martin Reichenbach, Max Schürmann, Paul Silverberg, Herbert Sobersky und Erich Sternfeld – wieder ihren Platz in der Gemeinde, in der sie von den Nationalsozialisten einst um ihr Leben gebracht worden sind. Seit Samstag, zwei Tage, bevor sich der Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz zum 75. Mal jährt, erinnert eine Gedenktafel vor dem Rathaus an sieben jüdische oder als Juden verfolgte Odenthaler Bürger, die aus der Erinnerung der Gemeinde lange verschwunden waren.

Es ist dem Historiker Götz-Rüdiger Tewes und Schülerinnen und Schülern des Odenthaler Gymnasiums zu verdanken, dass dieser dunkle Teil der Geschichte Odenthals aufgearbeitet wurde. 2018 hatten sie sich auf Spurensuche begeben. „Unsere Erwartungen waren anfangs äußerst gering“, erinnert sich Tewes. „Wir hatten nur wenige Hinweise auf jüdische Bürger, noch weniger Namen.“ Oder wie ein Zeitzeuge sagte: „Hier wurde nach 1945 vieles unter den Teppich gekehrt.“ Dort wollten es Tewes und seine Schülergruppe nicht länger liegen lassen: Die Recherche in Archiven und Gespräche mit Zeitzeugen begann.

Geschichte zurückbekommen

Sieben in der Öffentlichkeit fast vergessene Menschen bekamen so ihre Geschichte in Odenthal zurück und stehen stellvertretend für andere, von denen möglicherweise keine Spur mehr zeugt. „Durch ihre Namen werden sie wieder sichtbar und erhalten ihre Würde als Menschen zurück“, begründete Tewes den Wunsch, die Ergebnisse der Arbeit nicht nur auf eine Ausstellung zu beschränken, sondern mit einer Gedenktafel im Zentrum der Gemeinde zu verankern. Der Gemeinderat hatte diese Initiative einstimmig unterstützt.

Zwischen Rathaus und Kirche ist die Tafel unter großer Anteilnahme der Bürger aufgestellt worden.

„Beeindruckend war ihr Selbstbewusstsein und ihr Mut“, sagte Tewes in der Feierstunde über die Verfolgten, nachdem Bürgermeister Robert Lennerts die Gedenktafel enthüllt hatte. So wollten die Nationalsozialisten den Arzt und Medizinalrat Erich Deutsch 1939 zwingen, seinen Namen abzulegen. „Der empfand das als Zumutung“ und widersetzte sich, so Tewes über den zum Christentum konvertierten Juden. „Lebenslustig, sozial und fortschrittlich“, so schilderte Ursula Völckner ihren Großvater, den sie, 1943 geboren, nicht mehr bewusst erlebte.

Gedenktag

Am 27. Januar 1945 wurde das Konzentrationslager Auschwitz von der Roten Armee befreit – am heutigen Montag vor 75 Jahren. Seit 2005 ist dieses Datum der Internationale Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust. Das KZ Auschwitz und Auschwitz-Birkenau im heutigen Polen war das größte Massenvernichtungslager der Nationalsozialisten. Mindestens 1,1 Millionen Menschen sind dort ermordet worden. (eck)

„Frauen müssen einen Beruf haben“, hatte er schon früh gefordert, eine Auffassung, die dem Frauenbild der Nazis konträr entgegenstand. „Zudem scheinen seine Behandlungsmethoden ungewöhnlich gewesen zu sein“, so seine Enkelin über den beliebten Landarzt, der in Schildgen praktizierte, das damals noch zur Gemeinde Odenthal gehörte. Der Verfolgung konnte er sich jedoch nicht entziehen: Erich Deutsch wurde im Konzentrationslager Theresienstadt erschossen.

Kampflos gab auch Wilhelm Bein nicht auf. In der Weimarer Republik ein hochrangiger Jurist, der im Auswärtigen Amt in Berlin arbeitete, trat er 1920 als Zeuge für den Politiker Matthias Erzberger auf. Der hatte 1918 das Waffenstillstandsabkommen ausgehandelt , war zur Hassfigur rechter Propaganda geworden „und wurde 1921 von Rechtsradikalen ermordet“, so Tewes.

Viele prominente Gäste

Madelind Bein, die ihren Schwiegervater Wilhelm Bein persönlich nie kennengelernt hat, entwarf das Bild eines „Ästheten mit Hang zur Exzentrik“. Das Haus in Odenthal-Holz sah viele prominente Gäste, darunter wohl auch Konrad Adenauer und die Silverbergs, man spielte Golf und Tennis. Früh ins Visier der Nazis geraten, zerrte man Wilhelm Bein mehrfach vor den berüchtigten Volksgerichtshof. Er rettete sich zunächst ins Exil, geriet dann aber doch in Haft und starb 1943 an den Folgen. Seine Mutter nahm sich in Odenthal-Holz das Leben. Madelind Bein: „Es ist das Haus, in dem ich jetzt noch lebe.“

Ebenso geriet der Fabrikant Max Schürmann aus dem „Osenauer Schlösschen“ mehrfach in den Fokus der Gestapo, unter anderem weil er Propaganda-Plakate der Nazis abhängen ließ. Ihm gelang die Flucht in die USA, wo er 1980 starb. Zeitzeugen erinnern sich, dass die hochwertigen Möbel aus der Villa in Osenau gezerrt und auf die Straße geworfen wurden. Aber auch der Hausierer Erich Sternfeld, der in ärmlichen Verhältnissen lebte, bewies Mut. Von den Nazis immer stärker schikaniert und vor Gericht gestellt, lässt er sich nicht mundtot machen. Sternfeld überlebt das „Dritte Reich“.

Der Text

„Wir gedenken unserer jüdischen oder als Juden verfolgten Mitbürgerinnen und Mitbürger, die durch die Nationalsozialisten entmenschlicht und vertrieben oder grausam ermordet wurden.

Namentlich bekannt sind

Wilhelm Bein

Erich Deutsch

Martin Reichenbach

Max Schürmann

Paul Silverberg

Herbert Sobersky

Erich Sternfeld“

Gestaltet wurde die Tafel aus Corten-Stahl vom Odenthaler Kunstschmied Karl-Josef Esser, nach den Vorstellungen einer siebenköpfigen Gestaltungskommission. Die Tafel, deren Oberfläche in den nächsten Wochen noch heller und damit besser lesbar werden soll, zeigt zudem den siebenarmigen jüdischen Kerzenleuchter (Menorah) sowie den Davidstern. (spe)

„Erinnerung“ und „Zivilcourage“ waren die beiden zentralen Begriffe der Gedenkfeier im Bürgerhaus, die mit Wort- und Musikbeiträgen und hebräischen Psalmen gestaltet wurde.

„Die Gedenktafel ist ein sichtbares Zeichen, Antisemitismus und Rassismus keinen Platz zu lassen“, sagte Bürgermeister Robert Lennerts. Odenthal stehe für Toleranz und Offenheit. „Das sind wir nicht nur den Opfern schuldig.“

Der GladbacherPianist und Kulturmanager Roman Salyutov warnte vor „wachsendem Judenhass“ in der Welt und der unbequemen Seite der Erinnerungskultur: „Es geht darum, die Stimme zu erheben.“ Wieder lebten Juden auf gepackten Koffern, weil sie sich nicht mehr sicher fühlten. „Alle jüdischen Einrichtungen im Land stehen unter Polizeischutz.“ Die Fremdenfeindlichkeit habe wieder Einzug in die Gesellschaft gehalten, beklagte auch Lutz Urbach, Bürgermeister von Bergisch Gladbach. Odenthal und die Kreisstadt hatten zusammengearbeitet, um das Projekt umzusetzen. „Persönlich habe ich keine Angst“, sagte Ursula Völckner, „aber vor dem, was sich in der Gesellschaft verändert.“