Keine „Quoten-Rollifahrerin“Altenberg ist für Bettina Mücke-Fritsch glaubwürdig
Odenthal – Bettina Mücke-Fritsch ist Umwege gewöhnt. Zügig parkt sie ihr kleines Auto vor dem Martin-Luther Haus in Altenberg und kommt lächelnd zum Eingang. Dafür nimmt die 60-Jährige mit den peppigen roten Haaren nicht den kürzesten Weg, denn der Treppenaufgang ist ihr versperrt. Seit ihrer Geburt ist sie auf den Rollstuhl angewiesen. Eine angeborene Querschnittslähmung ließ ihr Leben in vielen Phasen anders verlaufen als das von Gleichaltrigen.
Das hat sie behindert, oft viel Kraft gekostet und manchmal nicht nur wegen irgendwelcher Treppenstufen zu alternativen Routen gezwungen. Aber es hat sie nicht dauerhaft aus der Bahn geworfen. Und so will die aktive Eikamperin, die als berufstätige Frau, Ehefrau und Mutter sowie als ehrenamtlich Engagierte in der Evangelischen Domgemeinde Altenberg immer einen vollen Terminkalender hat, vor allem eines nicht: auf eine „Rollifahrerin“ reduziert werden.
Die Rolle der Hilfsbedürftigen liegt ihr nicht
„Wenn man dann etwas anders anrollt als erwartet, dann entspricht man nicht dem Rollenbild des Hilfsbedürftigen“, erzählt sie. Was in der Vergangenheit schon zu Irritationen geführt habe.
Das sei in Altenberg von Anfang an anders gewesen, freut sie sich. Die Lebendigkeit der evangelischen Kirchengemeinde, die viele Möglichkeiten der Mitarbeit biete, und der ehrliche Umgang der Menschen miteinander, hätten sie von Anfang an angezogen. Seit 2020 ist sie neben ihrem Beruf als Reha-Berufsberaterin bei der Agentur für Arbeit ehrenamtlich als Presbyterin in der Domgemeinde tätig. Wobei das Wort Presbyter, das aus dem Alt-Griechischen stammt und so viel wie „Älterer“ bedeutet, für sie schon etwas antiquiert anmutet.
"Ich brauche den Blick über den Tellerrand"
„Ich brauche den Blick über den Tellerrand und den habe ich hier gefunden“, sagt sie. „Es war hier nicht die Behindertenschiene, sondern eher der Ansatz: Was können wir zusammen reißen?“. Zwar sei sie eine „Fachfrau für Behinderung“, die schon bundesweit gearbeitet hat und dieses Know-how auch in der Kirchengemeinde einbringe. „Aber ich weiß auch, wie Verwaltungen ticken, werde – weil ich beruflich als Beraterin arbeite – beispielsweise auch an Personalgesprächen in der Gemeinde beteiligt.“
Schon ganz zu Beginn habe ihr Pfarrerin Claudia Posche klargemacht, dass es um sie als Mensch und ihre Kenntnisse gehe und gesagt: „Nicht dass Du glaubst, Du bist hier die Quoten-Rollifahrerin“, erinnert sich Bettina Mücke-Fritsch lächelnd. Seither ist sie unter anderem im Jugend- und im Diakonieausschuss aktiv, ist als Lektorin im Dom tätig und singt im Gospelchor mit.
Schwerpunkt Jugendarbeit
Einen ihrer Schwerpunkte legt sie auf die Jugendarbeit, damit sich auch junge Menschen in der Gemeinde heimisch fühlen und ihre Sichtweisen einbringen können. Auch über eine Verstärkung des Presbyteriums durch jüngere Gemeindemitglieder würde sie sich daher sehr freuen, sagt sie und steht als Ansprechperson für Interessierte (muecke-fritsch@web.de) zur Verfügung.
Gläubig sei sie schon immer gewesen, berichtet sie. Hineingeboren in eine Pfarrersfamilie im hessischen Dillenburg habe es aber auch Brüche in ihrem Leben gegeben; Phasen, in denen sie mit ihrem Schicksal gehadert habe. Trotzdem habe ihr der Glaube immer wieder innere Kraft gegeben, „und das strahle ich wohl auch aus“, meint sie lächelnd.
Hürden im Alltag
„Ich finde, in Altenberg wird Glaub-Würdigkeit gelebt“, erklärt sie, mit Betonung des Bindestrichs. „Es ist für mich ein guter Ort weil ich hier Anerkennung und Wertschätzung als Mensch bekomme, und das nicht nur, weil ich im Rollstuhl sitze“, sagt Bettina Mücke-Fritsch.
Dennoch sind es oft die kleinen Dinge im Alltag, die zu großen Problemen werden können. Wenn sie als Lektorin Dienst hat, dann muss der Hausmeister an die kleine Rampe für den Altarraum denken, damit sie auch die letzte Stufe noch überwinden kann. „Auch das Pult ist viel zu hoch, ich würde dahinter verschwinden“, sagt die Presbyterin. Also wird ein Notenständer umfunktioniert für Text und Mikrofon. Ganz spontan geht das alles nicht und daher wäre es schön, wenn eine Gemeinde auf solche Dinge von Anfang an achte, findet sie.
Barrierefreiheit ist noch ausbaufähig
„Dafür schärft sie unseren Blick“, sagt Pfarrerin Claudia Posche über ihre Presbyterin. Denn in Sachen Barrierefreiheit sei noch viel Luft nach oben. Zwar verfüge das Martin-Luther-Haus in Altenberg über Behindertentoiletten, der Altenberger Dom aber leider immer noch nicht, nannte sie ein Beispiel.
Und als Bettina Mücke-Fritsch für die Konfirmanden einen Inklusionstag anbot und sich jeder mal in einen Rollstuhl setzte, da fiel schnell auf, dass die Eingangstür des Gemeindehauses nicht über einen Türdrücker zu öffnen war – für Rollstuhlfahrer eine großes Hindernis. Auch ein Kursus als ehrenamtliche Seelsorgerin für Bettina Mücke-Fritsch sei daran gescheitert, dass die Ausbildungsstätte in Köln bisher nicht barrierefrei sei, bedauert Claudia Posche.
Vielleicht will Bettina Mücke-Fritsch gerade wegen der vielen Hindernisse in ihrem Leben gerne eine „Brückenbauerin“ sein, in der Gemeinde und anderswo. „Für Menschen mit all ihren Lebensbrüchen“.