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RuheZwei Sozialpädagoginnen setzen tierisches Team in Odenthaler sozialen Einrichtungen ein

Lesezeit 5 Minuten
Zwei junge Frauen mit drei kleinen Schafen - zwei mit brauner Wolle, eines mit weißer.

Lisa Dederichs (links) und Vanessa Krämer mit ihrem tierischen Team Toffee, Dolly und Pucky.

Schafe, Hühner, Kaninchen und Schnecken helfen in der tiergestützten Intervention Menschen in ihrer Entwicklung.

Sie schmatzen. Das ist deutlich zu hören. Obwohl die beiden stets ihr Haus verlassen müssen, um zu essen, fällt der Mangel an Tischmanieren nicht unangenehm auf, sondern steigert noch das Interesse. Denn die großen Achatschnecken, die sich gierig auf ihre Salatblätter stürzen, sind im Dienst. Sie sind Teil des tierischen Teams, das Vanessa Krämer (32) und Lisa Dederichs (33) für die tiergestützte Intervention einsetzen.

Seit 2018 arbeiten die beiden Frauen neben ihrer hauptamtlichen Beschäftigung in Einrichtungen der Jugendhilfe zusätzlich auf ihrem Begegnungshof in Voiswinkel mit Tieren. Ein Angebot für Jungen und Mädchen ab dem Kindergartenalter, für Jugendliche bis hin zu Senioren, die auf Wunsch auch mit den schmatzenden, gackernden, bellenden oder mähenden Mitarbeiterinnen in ihren jeweiligen Einrichtungen aufgesucht werden können.

Tiere haben einen faszinierenden Einfluss auf uns Menschen
Lisa Dederichs, Sozialpädagogen

Dabei verfolgen Krämer und Dederichs einen pädagogisch-therapeutischen Ansatz. „Wir teilen die Leidenschaft für Tiere und finden es spannend, die soziale Arbeit mit Tieren zu verbinden“, sagt Dederichs. „Tiere haben einen faszinierenden Einfluss auf uns Menschen, sie erreichen uns auf eine ganz andere Weise“, erklärt die Sozialpädagogin und Fachkraft für tiergestützte Intervention, warum sich ihre Schützlinge besonders für die soziale Arbeit eignen.

„Tiere werten nicht, sie nehmen uns so, wie wir sind und stärken damit das Selbstwertgefühl“, setzt Krämer hinzu. Sie ist ausgebildete Erzieherin, Sozial- und Erlebnispädagogin sowie ebenfalls Fachkraft für tiergestützte Intervention.

34 Tiere aus neun Arten leben auf dem zertifizierten Begegnungshof

Auf dem idyllischen Grundstück in Voiswinkel leben derzeit 34 Tiere aus neun Arten: eine Katze, mehrere Hunde, Kaninchen, Meerschweinchen, Hühner, Gänse, Wachteln, Schafe und eben Schnecken. Die meisten kommen von einem Lebenshof und sind ursprünglich schlechter Haltung oder der Schlachtung entkommen. So auch die Gänse, die anders als viele ihrer Artgenossen in Voiswinkel dem Martins- und Weihnachtsfest gelassen entgegensehen können.

Ein geschecktes Kaninchen mümmelt an einem grünen Blatt.

Kaninchen sind eigentlich keine Kuscheltiere. Die tiergestützte Intervention vermittelt auch, auf die Bedürfnisse der Tiere einzugehen.

Alle sind auf ihre Weise berufstätig - in einem vom Tier selbst bestimmten Rahmen, darauf legen Krämer und Dederichs Wert. „Wir engen die Tiere nicht ein, setzen sie beispielsweise niemandem auf den Schoß“, erzählen die beiden. „Wenn die Tiere ein gutes Gefühl haben, dann kommen sie von selbst.“ So wie Toffee, ein kleines, braunes Ouessant-Schaf, das sich an diesem Tag brennend für Schnürsenkel zu interessieren scheint.

Schaf Toffee ist noch in der Praktikumsphase

Toffee lebt erst seit drei Monaten in Voiswinkel Garten und ist noch in der Praktikumsphase. Kollegin Pucki ist schon fortgeschritten, lässt sich bereits gerne kraulen und macht zwischendurch kleine Bocksprünge, gemeinhin ein Zeichen der Freude. „Schafe sind Fluchttiere und müssen erst Vertrauen finden“, erklärt Vanessa Krämer. Ausgelernt sollen die Schafe später mit einem Geschirr an der Leine laufen können, um sie sicher von einer Weide zur anderen führen zu können. Auch das Autofahren müssen sie lernen – wenn auch nicht aktiv am Steuer, so doch als Mitfahrer, damit sie soziale Einrichtungen besuchen können.

Zwei große Achatschnecken sitzen auf grünen Salatblättern.

Achatschnecken schmatzen zwar, wenn sie essen, vermitteln aber viel Ruhe. Daher werden sie in der Arbeit mit Menschen eingesetzt, die unter ADHS leiden.

Vor allem aber sollen sie an Sicherheit und Ruhe gewinnen, um diese Gelassenheit auf Menschen zu übertragen. Die großen Achatschnecken mit ihrem beeindruckenden Gehäuse scheinen in dieser Hinsicht Meisterinnen ihres Fachs zu sein: „Man muss genau hinhören, damit man ihr Schmatzen hört“, sagt Krämer. Das bringe selbst unruhige Kinder dazu, plötzlich ganz still zu werden und eigne sich daher gut für die Arbeit mit Menschen, die unter ADHS leiden. „Oft sagen die Lehrer, so ruhig hätten sie ihre Gruppe noch nie erlebt“, freut sich Lisa Dederichs.

Tiere fördern die Sensibilität und die Ruhe

Überhaupt förderten die Tiere, jedes auf seine Weise, die Sensibilität im Umgang. Kinder wollten manchmal eine Schnecke anfassen, um zu sehen, wie sie die Fühler reflexartig einziehe. „Wenn man ihnen dann aber erklärt, dass sich dort die Augen der Schnecke befinden, dann verstehen Kinder schnell, warum sie das besser nicht tun sollten“, sagt Krämer. Daher gehört auch die Vermittlung vom theoretischem Wissen über den verantwortungsvollen Umgang mit den Tieren und ihre artgerechte Haltung mit zum Aufgabenspektrum.

Ihre positive Wirkung könnten die Tiere fast überall entfalten, im Kindergarten genauso wie im Seniorenheim, sagen die Sozialpädagoginnen. Obwohl die Tiere aufgrund ihrer jeweiligen Eigenarten durchaus spezialisiert sind. Die Hühner beispielsweise werden von Krämer und Dederichs vornehmlich in der Arbeit mit Demenzkranken eingesetzt. Dann nehmen die beiden das Federvieh mit in ein Seniorenheim oder eine Wohngruppe. „Dort sitzen sie dann auf dem Tisch und bei den Demenzkranken kommen immer ganz viele Erinnerungen hoch“, sagt Krämer. Diese Themen würden dann aufgegriffen und man komme miteinander ins Gespräch. Manches löse sich.

Hühner machen morgens keinen Außendienst

An erster Stelle aber stehe das Tierwohl, sagen die beiden Frauen, deren Betrieb nach den Vorgaben des Tierschutzgesetzes genehmigt ist und die ihre Ausflüge immer sorgfältig vorbereiten, damit die Rahmenbedingungen stimmen. Stets sei nur eine Art unterwegs und die Hausbesuche dauerten nie länger als eine Stunde, dann gehe es wieder ab in das heimische Revier. Ohnehin machen die Hühner ganz früh am Morgen keinen Außendienst. Dann sind sie nämlich anderweitig beschäftigt. Das Eierlegen erledigt sich schließlich nicht von allein.

Zwei Kaninchen bleiben immer zu Hause. „Sie reisen nicht gerne und sind dann gestresst“, sagt Dederichs. Und Sprotte will offenbar ganz aussteigen: „Das war unser bestes Huhn im Stall, aber seit einem halben Jahr zeigt sie uns, dass sie keine Lust mehr hat“, sagt Vanessa Krämer. Das sei in Ordnung. Sprotte verabschiedet sich daher jetzt mit ihren vier Jahren in den wohlverdienten Ruhestand.