Die Overather bauen ihre Modelleisenbahn-Landschaft mittlerweile in einer 250 Quadratmeter großen Halle.
In der Garage gestartetOverather bauen sich mit Modelleisenbahn ihre kleine heile Welt
Auf den elf Gleisen des Bonner Hauptbahnhofs rollen Züge ein und aus, auf den Bahnsteigen tummeln sich die Fahrgäste in buntem Durcheinander von Kommen und Gehen. Aussteigen, Einsteigen, und dann vorbei an einer Schrebergarten-Kolonie, einer Kirmes und der Bundeswehr; durch eine Berglandschaft und eine Westernstadt, in der gerade eine wildgewordene Büffelherde Staub aufwirbelt. Und das alles mitten im Overather Gewerbegebiet Vilkerath.
Seit September 2020 bauen Hans-Helmut Biesdorf und seine Mitstreiter von „bitte-einsteigen“ in einer 250 Quadratmeter großen Halle eine Modelleisenbahn-Landschaft im Maßstab 1:87 – mit viel Sachverstand und (mindestens) genau so viel Herz, Seele und Liebe zum Detail: In einem Fenster flackert der Fernseher, über dem Lagerfeuer steht Rauch und die Kühe muhen, wenn ein Besucher an der Weide vorbeigeht. Und Besucher gibt es viele.
„Wir wollen vor allem die Kinder und Jugendlichen an das Hobby heranführen“, sagt Biesdorf. „Die Kombination Hightech und Handarbeit ist wieder im Kommen.“
Dass sich die Züge über das Handy steuern lassen, erstaunt nicht nur die Jugend, sondern auch ihre Großväter, die sich hier in ihre eigene Kindheit zurückversetzt fühlen. Einer der Jugendlichen ist Moritz Bröker aus Rösrath. Der 15-Jährige besucht das Paul-Klee-Gymnasium in Overath und danach die Eisenbahner; jeden Tag im Schnitt fünf Stunden. „Hast du Hausaufgaben auf?“, fragt Helmut Biesdorf regelmäßig, bevor Moritz unter Anleitung des Elektrik-Experten Peter Strumpf Kabel steckt oder in einer der Werkstätten Häuser mit Pulverfarbe auf alt trimmt. „Ich kann hier einfach mal mein Ding machen“, sagt Moritz. „Kreativität ausleben. Tunen.“
Overather Eisenbahn startete in einer Garage
Begonnen hat alles vor zwölf Jahren – wie häufig bei großen Unternehmungen – in einer Garage. Sie stand in Refrath und hatte 40 Quadratmeter. Jeden Dienstag und Freitag traf man sich. „Manchmal war es morgens schon hell“, sagt Biesdorf, „und die Garage nebelig vom Dampf der Lokomotiven.“ Doch der Traum war immer eine Halle zum „Verwirklichen“. Die haben sie nun – direkt neben dem Firmengelände von Hans-Helmut Biesdorfs Unternehmen Kabitec. Er wohnt dort auch. Zehn Meter ins Paradies.
Mit dem Umzug fiel der Entschluss, sich nach außen öffnen zu wollen. Biesdorf und Frank Werheid gründeten eine Unternehmergesellschaft (UG) und legten rund um die Anlage ein Ladenlokal an. Alle wichtigen Modellbau-Hersteller liefern in die Halle – ein Eldorado für Eisenbahnfreunde. Das Besondere aber ist, dass die Interessenten sich auf der Anlage „live“ zeigen lassen können, wie ihre Vorstellung Realität wird. Sie erhalten Antworten, Tipps und Anregungen und sind im Nu Teil der „bitte-einsteigen-Familie“.
Die Modell-Landschaft ist rundherum begehbar – und das, obwohl die filigrane Technik anfällig ist für Missgeschicke. „Wenn einer ein Kabel rausreißt, suchst du fünf Wochen“, sagt Biesdorf. Eisenbahner wüssten das. Den anderen wird es gesagt. Auch gesagt wird ihnen, wo Kaffeemaschine und Kühlschrank stehen. „Wenn der Laden voll ist, kann ich nicht noch Kellner spielen“, sagt Biesdorf. Die Atmosphäre ist einladend und auf kölsche Art unkompliziert.
Für all das stimmen die Eisenbahner ihre Urlaubsplanung ab, investieren immens viel Freizeit – und ähnlich viel Geld. Warum? Was genau macht diese Faszination aus? Biesdorf antwortet umgehend: „Das ist die kleine heile Welt.“ Dabei ist die Welt in der Kreativität ihrer Erbauer eher authentisch als nur heile: Am Berg versenkt die Mafia heimlich einen Sarg, im Garten der Berghütte steht eine Wildpinkler und am Rande der Kirmes haben sich Caravans aus dem Rotlicht-Milieu postiert. Alles ist hier selbst erdacht und selbst gebaut. Fertige Bausätze sind nicht das Ding der Overather. Leidenschaft rangiert hier vor allem anderen.
„Wir sind alle schon als Kind Eisenbahner gewesen“, sagt Hans-Helmut Biesdorf. „Meine Eltern haben Berge noch aus Zeitungspapier und Mehl gebaut.“ Er selbst war neun Jahre alt, als er seine erste Eisenbahn bekam.
Apropos Berge: Mit leicht verklärtem Blick folgen die Heile-Welt-Schöpfer der Fahrt des Big Boy, jenem Anfang der 1940er Jahre von der Union Pacific Railroad gebauten Dampfungetüm für die 830 Kilometer zwischen Cheyenne und Wyoming in den Rocky Mountains. Nur 25 wurden gebaut, jede mit 6000 PS und einem Verbrauch von 8,8 Tonnen Kohle pro Stunde.
In Overath fährt die kleine Big Boy-Lokomotive, deren Entwicklung länger dauerte als die des Originals, auf separaten Schienen flüsterleise im Kreis. Die Rocky Mountains bestehen derzeit aus leeren Verpackungen. Aber bei bitte-einsteigen kann man nicht nur Berge versetzen, sondern sie auch bauen. Und Unvollendung ist im Grunde das Herz des Modellbaus. „Ziel ist nicht, dass es fertig ist“, sagt Peter Strumpf. „Der Weg ist das Ziel.“ Alle nicken, und Frank Werheid formuliert lapidar, was sie alle zusammenhält: „Fertig sind wir nie.“