Sie waren verheiratet, ließen sich nach dem Coming-out des Mannes scheiden und verarbeiten ihre Geschichte getrennt in Büchern.
„Der Inseljunge“Overather schreibt Buch über Coming-Out und Missbrauch als Kind
Außergewöhnliche Kost serviert der Verlag Bücken & Sulzer mit den Büchern „Der Inseljunge“ von Alexander Malzahn (der heute in Engelskirchen wohnt) und „Die Frau des Inseljungen“ von Petra Werner (heute wohnhaft in Overath). Lektor Klaus Dewes hält das Projekt für „einzigartig“ in der Literatur.
Malzahn verarbeitet seine eigene Jugendgeschichte in einem biografischen Roman, da geht es zunächst einmal um den Jugendlichen Axel, der sein eigenes Schwulsein entdeckt und fast zu einem Coming-out gelangt. Das ist für sich allein nicht so ungewöhnlich, doch hinzukommt die Erfahrung einer Vergewaltigung, die den Prozess des Coming-out jäh stoppt.
Nach dem Coming-out wird die Normalität gesucht
Es folgt die Suche nach Normalität, die Axel scheinbar in einer heterosexuellen Beziehung zu der jungen Petra findet. Wie sich diese Beziehung entwickelt, erzählt dann Petra Werner in „Die Frau des Inseljungen“. Diese Geschichte ist ebenso nah an der eigenen Biografie wie Alexander Malzahns Roman. Während der reale Alexander im Roman Axel heißt, heißt die Protagonistin Petra genauso wie die reale Petra, also die Autorin.
Dass eine Liebesbeziehung zwischen einem schwulen Mann und einer heterosexuellen Frau nicht wirklich funktionieren kann, liegt auf der Hand. Doch Petra und Axel können auch nicht so leicht auseinandergehen und jeweils für sich ein neues Leben beginnen, denn gemeinsame Traumata und gemeinsame Probleme schweißen sie zusammen. Dabei steht an erster Stelle, dass nicht nur Axel mit 16 Jahren vergewaltigt wurde, sondern auch die zwölfjährige Petra.
Die gemeinsame Erfahrung stellt ein starkes Band her. So ist es ein langer Weg, den Petra und Axel zu gehen haben: von der zunächst scheinbar normalen Beziehung und der Geburt eines Sohns, über Axels Coming-out, bis hin zur endlich vollzogenen Trennung des Paars und den schließlich getrennten Wegen der beiden. Der lange Prozess erfordert auch viel Erzählaufwand, daher ist „Die Frau des Inseljungen“ auf drei Bände angelegt – zwei sind bereits erschienen, der dritte soll im Frühjahr folgen.
Eine weitere Besonderheit kommt hinzu: „Die Frau des Inseljungen“ ist als „biografisches Zwiegespräch“ gestaltet, in dem abwechselnd Petra und Alexander (der hier auch so heißt, nicht Axel) zu Wort kommen. Malzahn hat somit an dem dreibändigen Werk mitgearbeitet und seine Perspektive beigesteuert. Alles zusammen ergibt wesentlich mehr als eine übliche Coming-out-Geschichte oder eine bloße Geschichte des Erwachsenwerdens. Da ist die gemeinsame schlimme Gewalterfahrung und die Tatsache, dass die Vergangenheit der Zukunft im Weg steht. Mit insgesamt vier Büchern und zwei Erzählperspektiven, einem Autor und einer Autorin, steht der Leser vor einem herausragenden Projekt.
Keine leichte Kost wird dem Leser serviert
Er bekommt auch keine ganz leichte Kost serviert. Die Vergewaltigungserfahrung beider Protagonisten ist auch für den Leser erst einmal zu verdauen, hinzu kommt, dass die Schatten der Vergangenheit die Zukunft belasten. Ein weiterer Umstand sorgt dafür, dass die Geschichte noch eindringlicher wird: Roman und reale Geschichte stimmen weitgehend überein, Malzahn und Werner machen auch kein Hehl daraus. Die erzählte Geschichte sei „zu 95 Prozent die nackte Wahrheit“, sagt Malzahn. Die Offenheit und das Bekenntnis zu schlimmen Erfahrungen, mit der Malzahn und Werner vor das Publikum treten, machen Eindruck.
Damit sind aber erst grobe Strukturen von Büchern und realer Geschichte umrissen. Der Leser kann eintauchen und versuchen zu verstehen, warum die Akteure nicht einfach zu einem unbeschwerten Leben finden. Bei Axel ist da ein homophobes Elternhaus und zwielichtiges Umfeld, später belasten ihn die Schulden der Eltern, die der junge Mann mittragen soll. Bei Petra ist da ein gewalttätiger Vater, der die Kinder und die Mutter prügelt, und die große Angst vor ihm. Malzahn erzählt, als Jugendlicher sei seine Devise „bloß nicht werden wie die Eltern“ gewesen, sein Ausweg war Bildung und ein Lehramtsstudium. Auch Werner ging diesen Weg und wurde Lehrerin.
Das Gepäck der Vergangenheit tragen Malzahn und Werner aber bis heute. Nach der Trennung von Malzahn lernte Werner einen neuen Partner kennen, heiratete erneut und bekam zwei weitere Kinder. „Ich hab nochmal neu angefangen“, stellt sie fest, benennt aber gleich danach die Grenzen des Neuanfangs: „Man ist immer gehemmt, immer zurückhaltend. Man kann das Ganze nicht genießen.“ Sie führt das auf ihre traumatischen Jugenderfahrungen zurück: „Das geht nie weg.“ Malzahn wiederum fand nicht zu einem unbelasteten schwulen Leben. „Es war für mich der Horror, mich zu verabreden“, erzählt er von dem Leben nach seiner Ehe. „Ich weiß nicht, woran es liegt, aber es war mir nicht möglich.“
Das Aufschreiben der Geschichte war für Malzahn und Werner zunächst eine Form der Verarbeitung des Vergangenen, eine Art Therapie. Die Idee einer Veröffentlichung kam erst später. Inzwischen hat sich gezeigt, dass positive Rückmeldungen von Leserinnen und Lesern „schon ermutigend“ waren, wie Malzahn sagt. Werner und Malzahn wollen durch ihre Geschichte aber auch aufmerksam machen auf Jugendliche heute, die ebenfalls schlimme Erfahrungen machen. Beide waren Vertrauenslehrer und erfuhren, mit welchen Problemen Jugendliche heute zu tun haben. Sie weisen andere Erwachsene darauf hin, „dass man hingucken und hinhören muss“.
Die Bücher
Im Verlag Bücken & Sulzer in Overath erschienen sind folgende Bücher: Alexander Malzahn, Der Inseljunge. Ein biografischer Roman, Overath 2022, 355 Seiten, ISBN 978-3-947438-48-8, 14,80 Euro. Petra Werner, Die Frau des Inseljungen. Band 1 – Gemeinsame Wege, Overath 2023, 350 Seiten, ISBN 978-3-947438-50-1, 14,80 Euro. Petra Werner, Die Frau des Inseljungen. Band 2 – Wahrheit tröstet nicht, Overath 2023, 354 Seiten, ISBN 978-3-947438-52-5, 14,80 Euro. Ein dritter Band von „Die Frau des Inseljungen“ soll im Frühjahr 2024 erscheinen.