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Prozess nach UnfallUnachtsame Seniorin trifft in Overath auf bekifften jungen Fahrer

Lesezeit 3 Minuten
„Unfall“ ist auf dem Dach eines Polizeiautos zu lesen.

Fußgängerin gegen Autofahrer: Seit dem Unfall zwei Tage vor Weihnachten ist die 79-jährige Vilkeratherin auf den Rollstuhl angewiesen.

Eine 79-Jährige hat in Overath die Straße zu queren versucht und wurde vom Pkw eines bekifften 22-Jährigen erfasst. Jetzt war der Prozess.

Nur einen Tag nach dem Prozess um den folgenschweren Unfall auf dem Bergisch Gladbacher Bus-Bahnhof hat sich das Bensberger Amtsgericht am Dienstag erneut mit einem für die Beteiligten schrecklichen Verkehrsunfall beschäftigen müssen. Angeklagt wegen Gefährdung des Straßenverkehrs war ein Auszubildender (22) aus Overath, dem zwei Tage vor Heiligabend 2023 von einer Verkehrsinsel auf der Kölner Straße – der Hauptstraße in Vilkerath – eine alte Dame vors Auto gelaufen war, der aber selbst bekifft hinterm Steuer saß. Die 79-jährige Fußgängerin, die sich nach Angaben des Sohnes bis dahin selbstständig gelebt hat, sitzt seither im Rollstuhl und muss gepflegt werden.

Sohn Ahmed G. (Namen geändert) schiebt seine Mutter Gülsün an diesem Vormittag in den Sitzungssaal und hilft bei der Verständigung. Gülsün G. hat allerdings keine Erinnerung an die Situation und wird schnell wieder als Zeugin entlassen.

Sie geht einfach, sie bleibt nicht stehen. Ich dachte: „Liebe Frau, warum bleibst du nicht stehen und guckst? Da kann dir was passieren!“
Augenzeugin Ludmilla B.

Zwei weitere Zeugen, ein 54-jähriger Busfahrer, der mit seinem Linienbus hinter dem Unfallfahrer gefahren war, und eine 62-jährige Fußgängerin aus Vilkerath sagen zum einen aus, dass an der Fahrweise des jungen Mannes überhaupt nichts auszusetzen gewesen sei (so Busfahrer Peter P.) beziehungsweise, dass die alte Dame völlig unachtsam über die Straße gelaufen sei – so Zeugin Ludmilla B.

Der 62-Jährigen ist anzumerken, wie sehr sie das damalige Geschehen immer noch belastet. „Ich sah sie gehen. Sie trug ein gelbes Tuch auf dem Kopf. Sie ging und wollte am Übergang über die Straße. Sie geht einfach, sie bleibt nicht stehen. Ich dachte: ‚Liebe Frau, warum bleibst du nicht stehen und guckst? Da kann dir was passieren!‘“ Dann nahm ein Hindernis der Zeugin kurz die Sicht, und dann war es schon geschehen.

Busfahrer kritisiert Uneindeutigkeit von Querungshilfen

Unfallfahrer Jonas G. wirkte auf Ludmilla B. verzweifelt, habe sich die Hände vor den Kopf geschlagen. Die alte Dame wurde mit lebensgefährlichen Verletzungen von einem Notarzt vor Ort behandelt und kam dann in eine Spezialklinik.

Die Polizeibeamten, die Ahmed G. dem Sohn die Nachricht vom Unfall seiner Mutter überbringen, notieren seine Reaktion: „Ist sie wieder ohne zu gucken über die Straße gelaufen? Das macht sie häufiger.“ Sie wohnten seit 40 Jahren in der Straße, sagt der Sohn vor Gericht. Nie sei etwas passiert.

Hätte der junge Fahrer den Unfall nüchtern vermeiden können?

Die Beobachtungen der Zeugen scheinen den 22-jährigen Autofahrer zu entlasten. In einer Verhandlungspause kritisiert zudem der Busfahrer die Uneindeutigkeit von Querungshilfen: Zebrastreifen oder Ampeln wären besser, sie wären eindeutige Ansagen an alle Beteiligten, wie man sich zu verhalten habe.

Jedoch hat andererseits ein von Richter Ertan Güven in den Prozess eingeführtes medizinisches Gutachten belegt, dass der Unfallfahrer Haschisch oder Marihuana zu sich genommen hat. Auch wenn verschiedene Tests („Torkelbogen“) laut Verteidiger keine Auffälligkeiten im Verhalten ergeben haben: Hätte er den Unfall verhindern können, wenn er nüchtern gewesen wären?

Azubi zahlt 2000 Euro an die alte Dame

Die Justiz hat Jonas G. zunächst einen laut Staatsanwalt „sehr moderaten“ Strafbefehl angeboten, den der junge Mann aber abgelehnt hat. Sein Verteidiger macht das Prozessziel deutlich: Es gebe keinen Zusammenhang zwischen dem Cannabis im Blut und dem Unfall. Der Unfall hätte auch einem Nüchternen passieren können. Zwischen Verteidiger und Staatsanwalt beginnt ein kurzes Tauziehen um die Frage, ob noch ein Gutachten zur Vermeidbarkeit des Unfalls in Auftrag gegeben werden sollte.

Am Ende bleibt diese Verfahrensverlängerung aber allen Beteiligten erspart. Azubi Jonas G., der sich von Gülsün G. und ihrem Sohn nach deren Zeugenaussage per Handschlag verabschiedet hat, erklärt sich nach kurzer Beratung mit seinem Verteidiger und seinen Eltern bereit, 2000 Euro, das Dreifache seines Nettomonatslohns, an die alte Dame zu zahlen, und anschließend wird das Verfahren eingestellt. Seinen Führerschein, den er nach dem Unfall abgeben musste, bekommt er sofort zurück – sofort, sobald das aktuell verschollene Dokument wieder aufgetaucht ist.