Pflegebedarf im Rhein-Berg-KreisDemografischer Wandel als allgegenwärtiges Problem
- Der „Pflegebericht 2019“ birgt Sprengstoff: Mehr pflegebedürftige Menschen, zu wenig Personal.
- Die Anzahl der Pflegebedürftigen im Rheinisch-Bergischen Kreis steigt laut Bericht von 12.567 im Jahre 2017 auf 14.118 im Jahre 2022.
- Die Fachausschüsse ringen um Antworten.
Rhein-Berg – Der Bericht enthält Sprengstoff. Viel Sprengstoff: Neue lokale Prognosen zum demografischen Wandel, der ja eigentlich eher eine „demografische Katastrophe“ ist, wie es der Rösrather CDU-Politiker Erhard Füsser vor Monaten einmal griffig formuliert hat.
So viele Daten, Zahlen und Tendenzen nennt der neue „Pflegebericht 2019“ der Kreisverwaltung auf mehr als 110 Seiten, dass ihn der Fachausschuss für Arbeit und Gesundheit am Mittwochabend auf Antrag der CDU-Fraktion einvernehmlich von der Tagesordnung absetzte: Die einzelnen Mitglieder sollen sich erst noch einmal intensiv damit auseinandersetzen können.
Demografischer Wandel als allgegenwärtiges Problem
Der Trend ist im Prinzip seit Jahrzehnten bekannt: Die Babyboomer, die vor Markteinführung der Pille geboren wurden, kommen allmählich in die Jahre, immer mehr von ihnen werden mit der Zeit Pflege und Betreuung benötigen. Aber bereits vor ihnen, ab sofort, bedürfen die zwischen Mitte der 1930er und Anfang der 1940er Jahre geborenen Jahrgänge der Hilfe.
Dabei sind aber immer weniger Menschen da, die die Pflegearbeit leisten können. Heute schon balgen sich Krankenhäuser auf der einen und Seniorenpflegeheime auf der anderen Seite um qualifiziertes Personal, wie zuletzt bereits Teilnehmer der Pflegekonferenz des Kreises beklagten.
Im Rhein-Berg-Kreis wird es im Jahr 2030 knapp 16.000 Pflegebedürftige geben
Die Anzahl der Pflegebedürftigen im Rheinisch-Bergischen Kreis steigt laut Bericht von 12.567 im Jahre 2017 auf 14.118 im Jahre 2022. Das sind zwölf Prozent mehr innerhalb einiger weniger Jahre – und das, wo es bereits heute Mangel allerorten gibt. Nach 2022 kommt es noch viel dicker: „Im Jahr 2030 werden knapp 16.000 Pflegebedürftige zu versorgen sein und 16.587 Pflegebedürftige im Jahr 2035“, heißt es in dem Bericht weiter.
Empfehlungen für die Zukunft
Der Pflegebericht nennt eine Fülle von Handlungsempfehlungen. So müsse beispielsweise die „professionelle Pflege gestärkt“ werden. Auch wenn der Grundsatz „ambulant vor stationär“ dem Wunsch der Pflegebedürftigen und auch dem Gesetz entspreche, sei die „vollstationäre Dauerpflege“ eine bedarfsgerechte Angebotsform, die es zu erhalten gelte. Wörtlich: „In Anbetracht der steigenden Anzahl Pflegebedürftiger muss das Angebot ausgeweitet werden.“
Daneben müssen laut dem Pflegebericht des Kreises aber auch die „pflegenden Angehörigen in ihrer Rolle gestärkt werden“. Dazu gehöre ein Ausbau der Tagespflegemöglichkeiten und die Sicherung der Kurzzeitpflege. Technische Hilfsmittel und Digitalisierung sollten „gewinnbringend einbezogen werden.
Durch Präventionsmaßnahmen etwa zur Erhaltung körperlichen und geistigen Fitness im Alter soll der Pflegebedarf hinausgezögert werden. Auch brauche es einen Ausbau altengerechter Wohnformen, beispielsweise barrierearme Wohnungen – und zwar auch für ältere Menschen mit geringen finanziellen Möglichkeiten. Die kommunale Wohnraumentwicklung müsse „generationengerecht“ erfolgen. (sb)
Ab Mitte der 2030er erreichen dann die Babyboomer der 1960er Jahre die Altersklasse „80 bis 90 Jahre“ und ab Mitte der 2040er die Altersklasse „90 Jahre und älter“ – der Pflegebedarf steigt weiter. „Der Höhepunkt der Anzahl Pflegebedürftiger wird circa 2055 erwartet und erst ab 2060 ist mit einem deutlichen Rückgang zu rechnen“, schreibt der Bericht weiter. Hinzu kommt, dass die Zahl der stärker Pflegebedürftigen stärker wächst als die Zahl derer mit einem geringen Pflegegrad.
Bericht nennt Zahlen für die verschiedenen Wohnplätze der Sozialplanung
Im Zeitraum 2017 bis 2022 entsteht im Kreis ein zusätzlicher Bedarf von 383 Pflegebedürftigen in der stationären Dauerpflege, 443 Pflegebedürftigen bei ambulanten Pflegediensten sowie 694 Pflegebedürftigen, die ausschließlich Pflegegeld empfangen. Vergleicht man die Jahre 2017 und 2030, wächst die Zahl der Pflegebedürftigen in der stationären Dauerpflege um 1.064, die der Pflegebedürftigen bei ambulanten Pflegediensten um 1.106 und die Zahl derer, die Pflegegeld brauchen, um 1.808.
Der Bericht nennt aber Zahlen nicht nur für das gesamte Kreisgebiet, sondern auch für die verschiedenen Wohnplätze der Sozialplanung und für die einzelnen Kommunen.
So müssen bis 2022 in Bergisch Gladbach 144 zusätzlicher Heimplätze entstehen und 165 Plätze bei Pflegediensten. Rösrath braucht 41 beziehungsweise 49 weitere Plätze, Overath 34/44 Plätze, Kürten 26/33, Odenthal 31/30, Burscheid 24/29, Leichlingen 34/40 und Wermelskirchen 47/52 Plätze.
Ein Mehr an Pflegebedarf steht einem Weniger an Personal gegenüber
Auch innerhalb der Kommunen sind die zusätzlichen Bedarfe unterschiedlich stark ausgeprägt. Kreisweiter Spitzenreiter ist hier der Wohnplatz „Rösrath“, geografisch die Südspitze des Kreisgebietes, für dessen Bewohner laut Prognose bis 2022 genau 26 stationäre Pflegeplätze und 27 ambulante Plätze zusätzlich fällig werden.
Dem großen Mehr beim Pflegebedarf steht ein Weniger an Personal gegenüber. Hier geht der Bericht nicht ins Detail, zeigt aber auf Basis der Bevölkerungsprognose von IT.NRW die Trends auf: „Es zeigt sich, dass die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter abnehmen wird. Von 2020 bis 2035 wird die Altersgruppe um 12,4 Prozent zurückgehen (minus 20.240 Personen). Mitte der 2030er Jahre ist die große Gruppe der »Babyboomer« aus dem Arbeitsleben ausgeschieden. Anschließend stabilisiert sich die Situation auf niedrigerem Niveau“ – und zwar landesweit, nicht nur in Rhein-Berg.
Aber: Kreis profitiert von Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum
Immerhin: „Der Rheinisch-Bergischen Kreis ist durch die Lage am Rande der wachsenden Rheinschiene in einer in Relation zu anderen Regionen weniger negativen Situation, da er aktuell selber vom Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum profitiert. Trotzdem deutet sich eine kritische Situation an, der auf verschiedenen Ebenen entgegengewirkt werden muss.“
Wenn die Mitglieder des Kreissozialausschusses am 11. September zur ihrer nächsten Sitzung zusammenkommen, werden sie viel zu besprechen haben.