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Rhein-Berg„Ärzte haben Angst, mit Patienten über Organspende zu reden“

Lesezeit 4 Minuten

Christian de Buhr.

Rhein-Berg – Zum Tag der Organspende am 1. Juni ist das Thema kontrovers wie lange nicht. Zwar ist die Zahl der Spender (siehe Kasten) wieder angestiegen, aber das reicht nicht. Deshalb will die Bundesregierung eine umstrittene Gesetzesänderung beschließen. Faktencheck mit Christian de Buhr, Oberarzt für Anästhesie und seit zehn Jahren Transplantationsbeauftragter am Evangelischen Krankenhaus in Bergisch Gladbach.

In einer gemeinsamen Gesetzesinitative zur Organspende fordern Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach die sogenannte Widerspruchslösung. Diese besagt im Kern, dass man aktiv widersprechen muss, wenn man seine Organe nicht spenden will. Was halten Sie davon?

Zunächst einmal bin ich dankbar, dass durch diesen Vorstoß das Thema enttabuisiert worden ist. Man kann offener darüber sprechen.

Konnte man das vorher nicht?

Seit dem Skandal um Manipulationen bei Organvergaben in mehreren deutschen Kliniken 2017 hatten wir in der Ärzteschaft regelrecht Angst, mit Patienten darüber zu sprechen. Man wollte nicht in einen Topf mit denen geworfen werden.

Jetzt ist geplant, dass jeder seine Organe automatisch spenden soll, sofern er nicht im Vorfeld widerspricht. Wird das die Akzeptanz erhöhen oder eher die Angst vor einem „Ausverkauf“ schüren?

Ich glaube, dass es diese Art von „Pfändung“ nicht geben wird, ich halte auch nichts davon. Die Politik wird sich auf einen Kompromiss einigen. Zum Beispiel die Idee, dass sich jeder mit 18 Jahren rechtssicher positionieren muss, ob er Spender sein möchte oder nicht.

Oft wird befürchtet, als Spender habe man geringere Überlebenschancen, weil die Klinik scharf auf die Organe ist.

Ich kenne keinen Fall, wo es aufgrund einer Zustimmung zur vorzeitigen Entnahme eines Organs gekommen ist. Es gibt keine Diagnose, die so sorgfältig überprüft wird wie der Hirntod.

Wie funktioniert das?

Voraussetzung ist ein schwerer Hirnschaden. Der Patient liegt im Koma, hat keine selbstständige Atmung mehr. Doch das Herz schlägt weiter, das ist eben das Besondere am Hirntod. Aber es gibt keine Reflexe mehr – auch keine sogenannten Hirnnervenreflexe, dazu zählen zum Beispiel die Reaktion des Auges auf eine Lichtquelle oder des Rachens beim Absaugen. Wenn auch nur einer dieser – zahlreichen – Reflexe noch funktioniert, hat sich die Sache erledigt. Nachdem die Richtlinien verschärft worden sind, müssen zwei Fachärzte mit speziellen Qualifikationen beteiligt sein, und wer die Diagnose gestellt hat, darf später nicht die Organe entnehmen.

Wenn ein Hirntod diagnostiziert ist, wie geht es dann weiter?

Wenn die Organe o.k. sind . . .

 . . gilt das für Patienten jeden Alters?

Es ist ein verbreiteter Irrtum, dass man Organe alter Menschen nicht mehr gebrauchen kann. Aber wenn die Niere gesund ist, kann sie durchaus noch zehn Jahre lang funktionieren. Für einen Empfänger, der sonst sterben würde, sind zehn Jahre ein großes Geschenk.

In Zahlen

9500

Menschen etwa stehen derzeit in Deutschland auf der Warteliste für ein Spenderorgan. Dies sind die offiziellen Zahlen des Bundesgesundheitsministeriums.

955

Organspender gab es 2018 bundesweit. Das entspricht 11,5 Organspenden je eine Million Einwohner.

20

Prozent Anstieg bedeutet das im Vergleich zu 2017, das mit 797 Organspendern den niedrigste Stand seit 20 Jahren hatte.

Entnehmen Sie am Evangelischen Krankenhaus selbst die Organe?

Es findet in unserem OP statt, wird aber von externen Operateuren der Deutschen Stiftung Organtransplantation vorgenommen, die der Verteilungsorganisation Eurotransplant vorgeschaltet ist. Für jedes Organ ist ein Team zuständig, das geht Schlag auf Schlag.

Welche Organe werden entnommen?

Prinzipiell eignen sich Lunge, Herz, Niere, Leber, Teile des Darms und Bauchspeicheldrüse.

Wie viele Fälle hatten Sie bisher?

Wir hatten zwei Organentnahmen in zehn Jahren im EvK. In Frage kamen ein paar Spender mehr, aber die haben nicht zugestimmt. Mit der letzten Organentnahme konnten wir übrigens fünf Empfängern helfen – es waren zwei Lungenhälften, zwei Nieren und die Leber.

Hätten es mehr Spender im EvK sein können?

Ich weiß es nicht. Ich kann mich nicht erinnern, je einen – ausgefüllten – Spenderausweis bei einem Patienten gesehen zu haben. Das wird bei der Aufnahme nicht abgefragt, weil es pietätlos erscheint. Schon deshalb wäre eine rechtzeitige einheitliche Registrierung in einer Spenderdatenbank auf jeden Fall wünschenswert.